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Elektro-Hirnstimulation: Kaum mehr als ein Placebo-Effekt?

Die elektrische Gleichstromstimulation gilt als Geheimtool zur neuronalen Leistungssteigerung. Doch das Ergebnis einer Studie an Leichen ist ernüchternd. Alles nur Einbildung?
Das Gehirn unter Strom

Die Stimulation des Gehirns mit Gleichstrom ist verblüffend einfach. Statt kostspieliger Apparaturen oder Psychopharmaka genügen im Grunde genommen eine Haushaltsbatterie und Elektroden, die man sich auf die Schädeldecke legt. Im Internet kann man sich sogar entsprechende Selbstbauanleitungen herunterladen. Anders dagegen die Wirkung: Die sei außergewöhnlich komplex und viel versprechend, erklären Befürworter der Technik. Studien haben ergeben, dass sich mit der elektrischen Stimulation die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern lasse. Auch zur Therapie psychischer oder neurologischer Störungen wird auf das Verfahren zurückgegriffen. Forscher nehmen an, dass das Verfahren unter anderem die Plastizität des Gehirns erhöht, so dass beispielsweise neue Gedächtnisinhalte leichter abgespeichert werden können.

Auf der anderen Seite wächst die Zahl der Kritiker dieser so genannten transkraniellen Gleichstromstimulation, kurz tDCS für "transcranial direct current stimulation". Das Verfahren sei, auch in seiner Langzeitwirkung, nicht gut untersucht, zeige keine wirklich eindeutig nachweisbaren Effekte und sei von Anfang an im grauen Gesundheitsmarkt für fragwürdige Medizinprodukte ausgeschlachtet worden.

Ihnen liefert nun eine Untersuchung von György Buzsáki von der New York University argumentative Munition, wie das Magazin "Science" berichtet. Auf der Jahrestagung der Cognitive Neuroscience Society in New York erklärte der Forscher, die elektrische Stimulation wirke sich praktisch gar nicht auf die Nervenzellen im Gehirn aus.

Er hatte für seine noch unpublizierte Studie Verstorbenen 200 Messelektroden ins Gehirn implantiert und eine übliche tDCS-Apparatur angelegt. Bei den gebräuchlichen Stromstärken von ein bis zwei Milliampere war in den Nervenzellen des Gehirns keine nennenswerte Regung messbar: Der elektrische Strom brachte keine Zellen zum Feuern. Erst wenn er die Stromstärke auf vier Milliampere hochdrehte, war eine entsprechende Regung zu beobachten. Doch vier Milliampere erzeugen einen "beängstigenden" Schwindel, wie sein Selbstversuch ergab.

"Bullshit und schlechte Wissenschaft"

Ein entsprechendes Experiment ist bei lebenden Versuchspersonen kaum durchführbar, der hochriskante chirurgische Eingriff wäre nicht vertretbar. Darum sind die neuronalen Auswirkungen der tDCS noch immer nicht vollständig verstanden. Ob die Versuche an den Leichen diese Lücke schließen können, ist unsicher. Möglicherweise wirkt sich die Elektrostimulation auf ein lebendes Gehirn ganz anders aus. Kritiker von Buzsákis Experiment, die "Science" zitiert, wenden zudem ein, dass der Effekt der tDCS nicht darauf beruhen müsse, dass Nervenzellen tatsächlich zum Feuern gebracht werden. Es könne schon ausreichen, ihre Erregungsschwelle – und damit indirekt die Gehirnaktivität – zu beeinflussen.

Der Neurowissenschaftler Vince Clark von der University of New Mexico in Albuquerque beispielsweise, der selbst in Studien an tDCS und der verwandten Wechselstromtechnik tACS positive Effekte beobachtet hatte, erklärt, unabhängige Forschergruppen hätten seine Ergebnisse repliziert. Dass 90 Prozent des elektrischen Stroms an der Schädelaußenseite hängen bleiben, wie es Buzsáki beobachtete, sei bereits vermutet worden. "Aber wenn es funktioniert, dann heißt das, dass zehn Prozent eben ausreichend sind."

Anders äußert sich Vincent Walsh vom University College London, der selbst viel zum Hype um die Stimulationstechnik beigetragen hat. Die Forschung an tDCS sei ein "Meer aus Bullshit und schlechter Wissenschaft" und hätte kritische Untersuchungen wie die von Buzsáki "dringend nötig".

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