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News: Keine Vetternwirtschaft

Männliche Seitenfleckleguane tun sich mit ihren Nachbarn zusammen, um ihre Paarungschancen zu erhöhen. Ganz entgegengesetzt der klassischen Theorie von der Sippenselekions kooperieren sie, ohne miteinander verwandt zu sein.
Die Welt ist voller Egoisten, Evolutionsbiologe werden das bestätigen. Schließlich gilt es, vor allem die eigenen Gene zu verbreiten. Deshalb wird im Tierreich auch nur jenen Artgenossen geholfen, deren Erbanlagen den eigenen möglichst ähnlich sind: den Angehörigen der eigenen Sippe. Tatsächlich scheint diese Theorie der "Sippenselektion“ die meisten Beispiele für soziales Verhalten erklären zu können.

Nicht so bei den Seitenfleckleguanen (Uta stansburiana). Ihr Paarungsverhalten zeigt, dass auch die Kooperation mit nicht verwandten Artgenossen Evolutionsvorteile haben kann.

Ein regelrecht buntes Treiben herrscht bei diesen Reptilien, wenn es darum geht, möglichst viele Weibchen für die Paarung zu ergattern. Die Männchen dieser Leguanart besitzen entweder einen gelben, blauen oder orangefarbenen Fleck an ihrer Kehle. Die Kehlfleck-Farbe scheint dabei eng mit unterschiedlichen Paarungsstrategien verknüpft zu sein, mit denen die Männchen versuchen, sich gegenseitig auszubooten.

Mit diesen Strategien beschäftigen sich Barry Sinervo und Jean Clobert von der University of California in Santa Cruz bereits seit den achtziger Jahren. Die Männchen mit orangefarbenem Kehlfleck bezeichnen sie als "Thronräuber“ (engl. usurper). Sie sind die aggressivsten von allen und rauben den anderen Männchen ihr Territorium, um sich dann mit den dort lebenden Weibchen zu paaren. Die "Leisetreter“ (engl. sneaker) mit ihren gelben Kehlflecken ahmen das Erscheinungsbild von Weibchen nach. Von den Thronräubern unbemerkt, schleichen sie sich in ein Revier ein und ergaunern sich ihre Paarungspartnerinnen sozusagen durch die Hintertür.

Männchen mit blauer Kehle lassen sich davon jedoch nicht austricksen. Sie sind die "Wächter“ (engl. mate guarders) und behalten ihre Weibchen gut im Blick. Im Kampf gegen die orangefarbenen Thronräuber ziehen sie zwar den Kürzeren und verlieren ihr Revier – samt den Leguan-Damen –, dafür kommen aber die Leisetreter unter den wachsamen Augen nicht zum Zuge. Wie bei einem "Schere-Stein-Papier"-Spiel gewinnt hier orange gegen blau, blau gegen gelb und gelb gegen orange, sodass keine der verschiedenen Varianten in einer Population dominiert.

Leguan-Männchen mit blauem Kehlfleck legen jedoch noch ein weiteres Verhaltensmuster an den Tag, das die Effektivität ihrer „Bewachungs-Strategie“ zu erhöhen scheint. Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler, als sie die Verhaltens- und Verbreitungsdaten aus zehn Jahren analysierten. So ließen sich einige Wächter bevorzugt in der Nachbarschaft anderer Wächter nieder und kooperierten mit ihnen. Durch die geteilte Bewachung der Weibchen blieb mehr Zeit für die Nachwuchsproduktion – und so erhöhten die blaukehligen Männchen ihren Fortpflanzungserfolg durchschnittlich um das Dreifache gegenüber gleich gefärbten Einzelgängern.

Sinervo und Clobert vermuteten daraufhin, dass es sich, ganz nach dem Prinzip der Sippenselektion, um verwandte Männchen handeln müsse. „Um so überraschter waren wir, als unsere Stammbäume zeigten, dass dies bei den kooperativen Männchen nicht der Fall war“, erklärt Sinervo.

DNA-Analysen zeigten jedoch Verblüffendes: Obwohl nicht verwandt, waren sich die Männchen dennoch genetisch so ähnlich, dass es sich bei der Wahl ihres Nachbarn nicht um reinen Zufall handeln konnte. Offenbar ist der Genort, auf dem die Farbe des Kehlflecks codiert liegt, mit mehreren Genen gekoppelt, die für das Paarungs- und Siedlungsverhalten der Leguane verantwortlich sind. „Es ist, als ob das gesamte Genom eng mit diesem einen Master-Genort verknüpft wäre und sich bei den Männchen, je nach Kehlfleckfarbe, drei verschiedene 'Genom-Typen' heraus kristallisieren“, meint Sinervo. Die Allele für das "Nachbarschaftsverhalten“ sind vermutlich mit dem Allel für den blauen Kehlfleck gekoppelt, weshalb diese Männchen bevorzugt aneinander grenzende Territorien wählen.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wenn Thronräuber mit einem Männchen in Nachbarschaft leben müssen, das ihnen genetisch sehr ähnlich ist. Da sie sich ständig bekämpfen, kommen sie seltener dazu, sich zu paaren. Das Allel für den orangefarbenen Kehlfleck ist demnach vermutlich an eine Art „Einzelgänger-Allel“ gekoppelt, das diese Männchen dazu bewegt, sich nicht neben dem Territorium eines anderen aggressiven Thronräubers niederzulassen.

Die Konkurrenz zwischen den Männchen schafft bei den Leguanen also einen Selektionsdruck, der ein bestimmtes morphologisches Erscheinungsbild mit bestimmten Verhaltensweisen verknüpft. Sinervo und Clobert sehen in dieser Art von "morphotypischer Selektion“ eine neue Erklärung dafür, wie sich soziales und kooperatives Verhalten entwickelt haben könnten.

„Wir haben hier eine ganz heiße Spur gefunden, wie neue Arten entstehen könnten“, freut sich Sinervo. Denn hätten die Weibchen die Wahl, würden sie sich vermutlich mit jenen Männchen paaren, die ihnen genetisch am ähnlichsten sind – und dann würde sich der Genpool der drei Genomtypen über kurz oder lang wohl endgültig trennen und drei eigenständige Arten entstehen. "Da die 'Leisetreter' und 'Thronfolger' aber immer wieder auch Weibchen der anderen Farbtypen begatten, bringen sie alles durcheinander", erklärt der Forscher. Und fügt noch hinzu: "Die kooperativen blaukehligen Männchen leben monogamer als ihre Artgenossen. Sie sind sozusagen die sensiblen Leguanmännchen der Zukunft.“

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