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Kernphysik: Kernfusion mal ganz anders

Kommt die viel gelobte Kernfusion nun, oder nicht? Die überraschende Antwort lautet: Sie ist schon längst da! Aber nicht als unerschöpfliche Energiequelle, sondern als Lieferant von Neutronen für die unterschiedlichsten Messungen. Die neueste Variante ist dabei zumindest besonders energiesparend - auch wenn sie uns niemals mit sauberem Strom beglücken wird.
Die alten Griechen haben schon gewusst, wie. Zumindest halb. Im Jahre 314 v.Chr. bemerkte der Aristoteles-Schüler Theophrastus, dass der Edelstein Turmalin sich elektrisch auflädt, wenn man ihn erhitzt. Seine Entdeckung bezeichnen Wissenschaftler von heute als pyroelektrischen Effekt, und sie haben ihn mit synthetischen Materialien so weit auf die Spitze getrieben, dass Kristalle wie Lithiumtantalat es auf Spannungen von 100 000 Volt bringen können. Mit dieser "Hochspannung aus dem Feuerzeug" schrumpfen Ingenieure inzwischen einstmals große Apparaturen auf handliche Maße zusammen, indem sie beispielsweise Röntgenstrahlen-Generatoren mit einer ganz gewöhnlichen 9-Volt-Batterie betreiben.

Auch der Physiker Brian Naranjo von der Universität von Kalifornien und seine Kollegen verfolgen ein ähnliches Ziel. Ihnen geht es jedoch nicht um Röntgenstrahlung, sondern um die noch schwieriger zu produzierenden freien Neutronen. Diese Kernteilchen entstehen nur, wenn Atome zerfallen oder fusionieren. Daher umfassen die Generatoren für gewöhnlich eigene Teilchenbeschleuniger oder Plasmakammern, um die nötige Energie zum Verschmelzen von Deuterium mit Tritium zu Helium aufzubringen. Bei der Fusionsreaktion werden die begehrten Neutronen frei und schießen mit hoher Energie in das Probenmaterial. Vom Gepäckscanner am Flughafen bis hin zu Apparaten für die Ölsuche bietet sich ein breites Anwendungsspektrum an, denn Neutronen ignorieren auf ihrem Weg die Elektronenhüllen der Atome weitgehend und wechselwirken vor allem mit den Kernen – so verraten sie präzise, welche Elemente ihnen begegnen. Eine nutzbringende Sache also, allerdings ziemlich aufwändig und komplex.

Dass es auch einfacher geht, hat Naranjos Team nun mit seinem neuen Neutronengenerator auf Fusionsbasis bewiesen. In einer Kammer, die mit einem extrem dünnen Deuteriumgas gefüllt war, erwärmten sie einen pyroelektrischen Kristall um 12,4 Grad Celsius pro Minute. Gemäß der Entdeckung des Theophrastus baute sich dadurch eine Spannung auf, die auf der einen Seite geerdet war, auf der anderen aber mit 50 000 Volt pro Minute ein gewaltiges Potential erzeugte. An dieser positiven Elektrode befand sich eine dünne Wolframspitze, um welche ein elektrisches Feld von etwa 25 Milliarden Volt pro Meter entstand. Das war genug für einen zweiten Effekt, von dem die alten Griechen nichts geahnt hatten: In so starken elektrischen Feldern ionisieren Gase. Seines Elektrons beraubt schoss das positiv geladene Deuterium-Ion weg von der ebenfalls positiven Elektrode und traf mit voller Wucht auf ein festes Ziel aus Erbiumdeuterid (ErD3). Es kam zur Fusion von Deuterium zu Helium – samt Freisetzung von Neutronen.

Die Ausbeute des Mini-Generators nimmt sich noch bescheiden aus: etwa tausend Neutronen pro Minute. Außerdem sprudelt die Quelle nur so lange, wie die Temperatur am Kristall steigt – ein paar Minuten. Für eine kommerzielle Anwendung ist das zu wenig. Aber die Entwicklung steht ja noch am Anfang und reicht immerhin schon aus, um Studenten zu Lehrzwecken mit einer handlichen Neutronenquelle experimentieren zu lassen. So hat die Fusion es wenigstens geschafft, Energie sinnvoll zu verbrauchen. Denn auf die Stromproduktion werden wir wohl noch ein Weilchen warten müssen.

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