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News: Kleine Welt, selbstbestimmt

Kennst Du den Typen da? Über sechs Ecken bestimmt, behauptet eine hartnäckige These - ihr zufolge ist jeder Mensch mit jedem anderen überraschend eng verbunden. Ein Großversuch per E-Mail testete nun erneut die Vermutung.
Die Welt ist klein wie ein Dorf, und eigentlich kennt irgendwie jeder jeden: Eine Alltagsweisheit, die vor längerer Zeit auch bereits wissenschaftliche Bestätigung erfahren hat. Schon 1967 sah Stanley Milgram von der Harvard University in seiner zum Klassiker aufgestiegenen "Small-world"-Studie den Beweis, dass zwei beliebige Menschen auf der Welt nur sechs Bekanntschaften voneinander entfernt sind – man könnte also zwischen ihnen eine Kette aus fünf Personen spannen, bei der jeder seinen jeweiligen Nachbarn kennt.

In Milgrams Experiment sollten zufällig ausgewählte Personen im mittleren Westen der USA Briefe an einen ihnen unbekannten Menschen in Neuengland verschicken, dessen Name und Beruf sie kannten, von dem sie allerdings keine Adresse besaßen. Trotzdem erreichten viele Schreiben, nach durchschnittlich fünf bis sieben Zwischenschritten, ihr Ziel – über eine Kette von Bekannten und deren Bekannte.

Streng wissenschaftlichen Ansprüchen genügte das Experiment nicht wirklich, unter anderem aus statistischen Gründen: Die Stichprobenzahl war viel zu gering. Spätere Versuche, die Ergebnisse Milgrams zu bestätigen, scheiterten zudem häufig.

Offenbar litt Milgrams Studie auch unter methodischen Fehlern, wie etwa Judith Kleinfeld von der University of Alaska vor rund zwei Jahren anmerkte. Einen Nerv hatte die Untersuchung dennoch getroffen – vielleicht deswegen, wie Kleinfeld vermutete, weil man sich geradezu danach sehne, in einer kleinen, überschaubaren Welt zu leben statt in einer unübersichtlich komplexen.

Ein psychologische Problem also? Auch – aber nicht nur, meint nun Duncan Watts von der Columbia University im Rückblick auf die Ergebnisse seiner Studie, in der er Milgrams Experimentidee mit moderner Methodik in größerem Maßstab nachvollzog. Watts rekrutierte gut 61 000 Freiwillige aus 166 Ländern, die per E-Mail verschiedene Unbekannte erreichen sollten – beispielsweise einen Archivar in Estland oder einen Professor an der US-amerikanischen Ostküste.

Etwa 24 000 Kommunikationsketten starteten daraufhin tatsächlich, nur 384 davon endeten aber bei ihrem ausgewählten Zielobjekt. Diese erfolgreichen Ketten bestanden allerdings, wie bei Milgrams klassischer Studie, tatsächlich typischerweise aus nur fünf bis sieben Kommunikationsschritten. Deutliche Unterschiede offenbarten sich zwischen den einzelnen zu kontaktierenden Personen: Der amerikanische Professor wurde weitaus am häufigsten angeschrieben.

Offenbar, so Watts, war er in das Netzwerk der Teilnehmer – viele entstammten dem studentisch-akademischen Umfeld Nordamerikas – besser eingebunden als andere. Die allgemein enttäuschend geringe Erfolgshäufigkeit deute wohl darauf hin, dass die Motivation der Teilnehmer, die Nachricht sinnvoll weiterzuleiten, eine entscheidende Rolle für Erfolg und Misserfolg des Kommunikationsversuches gespielt hat.

Ähnliches hatte vor zwei Jahren auch schon Kleinfeld im Zusammenhang mit Milgrams unbekannteren Vorversuchen in den 60er Jahren erkannt: Erst als Milgram damals offiziell aussehende Sendungen mit Goldprägung und allerlei Brimborium verschicken ließ, stieg auch der Anteil der erfolgreichen Kontakte.

Eine etwaige globale Allgemeingültigkeit des Small-world-Phänomens beweist oder widerlegt dies alles in allem demnach nicht. So lässt sich auch nach dieser Studie nur ein eher vages Zwischenfazit ziehen: Vielleicht leben wir zwar tatsächlich in einer kleinen Welt mit überraschend kurzen Kommunikationswegen – wir müssen uns nur dessen bewusst sein und ausreichend motiviert und ausgebildet, um diese auch zu beschreiten.

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