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Himmelskörper: Kleinere Revolution

Das irdene Kern der Gasriesen im Sonnensystem verhüllt sich scheu unter dicken Lagen schillernd-fotogener Atmosphärenschichten. Schade, finden Forscher - denn ein oberflächlicher Blick auf die Showseite verrät viel weniger über die Kindheit des Sonnensystems als das unscheinbare Innere von Saturn und Co.
Saturn, durch Falschfarbfilter geknipst
Es seien immer die Details, die am Ende entscheiden, meinte schon Autor Arthur Conan Doyle durch den Mund von Superdetektiv Sherlock Holmes. Morris Podolak zitiert die beiden gerne: Auch der Wissenschaftler vertraut auf die enthüllende Aussagekraft vermeintlicher Kleinigkeiten. In diesem Fall heißt "Kleinigkeit" in Zahlen "sieben Minuten" – um etwa diese, haben zwei Planetologen errechnet, dreht sich das felsige Innere des Saturn schneller unter den Wolkenschichten als er theoretisch müsste. Genau gesagt: Eine innere Rotation des festen Kerns unseres sonnenfernen Ringplaneten ist in 10 Stunden, 32 Minuten und 35 plus/minus 13 Sekunden absolviert. Beeindruckt?

Podolak findet gute Gründe, es zu sein – eben nach einem genauen Blick auf die Konsequenzen der Messung, die von John Anderson und Gerald Schubert von der Universität von Kalifornien in Los Angeles vorgelegt wurde. Bereits seit langem ist Saturn erklärter Sonnensystemmeister im Schnell-Pirouettieren: Der Gasriese dreht sich offensichtlich so rasend um sich selbst, dass die Fliehkräfte ihn deutlich aus der ideal-runden Form drücken; schon im kleinen Fernrohr auf der Erde erkennt man abgeflachte Pole und eine ausgedehnten Leibesmitte. Bei luftig-durcheinanderwirbelnden und sturmdurchtosten Gasriesen fehlt allerdings ein fester Referenzpunkt, anhand dem eine Rotation genau festzumachen ist – gemittelte Geschwindigkeitsmessungen beruhen auf wiederkehrenden Feldmustern der herumgezerrten Magnetosphäre.

Saturn, von innen beleuchtet | Blicke unter seine eigenen oberen Wolkenschichten lässt Saturn kaum zu. Im Februar 2006 machte Cassini aus 1,6 Millionen Kilometern Abstand aber eine Serie von Aufnahmen mit seinem Mapping-Spektrometer, das Daten in 352 unterschiedlichen Wellenlängen sammeln kann. Die Fototechniker kombinierten daraus das Licht von 1,07 Mikrometern, 2,71 Mikrometer und 5,02 Mikrometern Wellenlänge und zeigen es in dieser Aufnahme als blau, grün und rot. Der Ring des Planeten erscheint so als dünne, blaue Linie knapp oberhalb des Äquators. Die blau-grünen Bereiche im unteren rechten Bildquadranten verraten Licht, welches von den oberen Wolkenschichten zurückgeworfen wird, rote Regionen dagegen die Wärmestrahlen aus dem Inneren des Saturn – sie sind besonders auf der Nachtseite deutlich. Insgesamt durchleuchten sie die oberen Wolkenschichten je nach deren Dicke von innen heraus. Überrascht waren die Forscher beim Blick auf die Daten anfangs davon, dass Wolken und Dunst auf der Nordhemisphäe deutlich dichter erscheinen – wohl ein saisonaler Effekt. Der kommende Frühling der Nordhalbkugel sollte dies in den nächsten Jahren ändern, spekulieren die Nasa-Wissenschaftler.
Mit der Drehgeschwindigkeit des festen Kerns haben solche Messungen zunächst nicht viel zu tun, sie geben allerdings eine gewissen Rahmen vor, innerhalb dessen die Rotation auch des Kerns des Gasriesen abgeschlossen sein muss. Genau diese Idealvorgabe wird nun aber eben um rund sieben Minuten unterboten, fanden Anderson und Schubert mit Hilfe von kombinierten Messdaten, welche zwischen 1979 und 2006 die Raumsonden Pioneer 11, Voyager 1 und 2 sowie Cassini von Schwerkraft, Windgeschwindigkeiten und Radio-Signal-Echos am Saturn gesammelt hatten [1]. Und eine so deutlich schnellere reale Rotation gegenüber der theoretischen Annahme lässt sich zwanglos nur dadurch gut erklären, dass der Kern des Saturns kleiner sein muss als bislang vermutet.

Wie klein genau, muss nun noch errechnet werden – trotzdem aber setzt genau an dieser Stelle schon das freudige Erstaunen von Podolak ein, der an der Universität von Tel Aviv an Planetenmodellen arbeitet. Ein kleinerer Kern des großen Gasriesen Saturn ist nämlich genau das, was einer Splittergruppe von Forschern bisher gefehlt hatte, um die von ihnen verfochtene Meinung zur Entstehung des Sonnensystems wirklich glauben zu können: die bis dato eher weniger populäre "Scheiben-Instabilitäts-Hypothese". Nach ihr entstanden die Planeten, die heute um die Sonne kreisen, in der Folge von zufälligen lokalen Verdichtungen der herumtreibenden Materie in der frühen Staub-Gas-Scheibe um die junge Sonne. In einer solchen Verdichtung kommt es ab einer bestimmten Massekonzentration zu einem gravitativen Kollaps, so die Scheiben-Instabilitäts-Theoretiker: et voilá, ein Proto-Planet.

Entstanden wäre dabei ein Gebilde, das schon ziemlich den heutigen Gasplaneten ähnelte. Im Laufe der Zeit würden die festen Bestandteile der ursprünglichen Verdichtung sich dann wohl noch als Kern im Zentrum sammeln. Dieser feste Kern wäre aber wahrscheinlich eher klein: vielleicht ein paar Erdmassen, nicht mehr. Vieles, was bisher etwa am Jupiter gemessen wurde, passt rechnerisch zu dieser planetaren Evolutionshypothese: Der Kern des gigantischen Gasriesen hat demnach wohl gerade mal zwischen fünf und weniger als einer Erdmasse. Passt eigentlich wunderbar.

Saturn, der zweitgrößte Planet des Sonnensystems, war dagegen bislang immer ein Argument gegen das Verdichtungs-Modell und eines für eine konkurrierende Idee, die "Kern-Aggregations-Hypothese": Alle Messungen vor Anderson und Schubert vermuteten einen festen Kern von 10 bis 20 Erdmassen in seinem Inneren. Nach der Aggregations-Hypothese entstanden die Planeten durch wiederholte Kollisionen immer größerer Planetisimale, wobei die größten der zusammen gebackenen Crash-Konglomerate dann massereich genug wurden, um Helium und Wasserstoff aus den Resten der protoplaneteren Staubscheibe um die Sonne anzuziehen, zu binden und dabei die heutige Gasriesenform zu gewinnen. Etwa 15 Erdmassen müssten die frühen Kerne aber dann mindestens gehabt haben, um ausreichend anziehend wirken zu können – und auch heute noch sollten davon zehn Erdmassen übrig sein. Der innen leichtere Saturn bringt damit also die Kern-Aggregations-Hypothese ins Wanken.

Und dies auch, wie Podolak bemerkt, wenn genaue Zahlen zur neuen Kleinheit des Saturnkerns noch gar nicht vorliegen. Man sollte das im Auge behalten, findet der Sherlock-Holmes-Fan. Bis dahin bleibt er erst einmal interessiert an den neuen theoretischen Möglichkeiten – und weigert sich höchstens, wie sein detektivisches Vorbild, "zu wild zu spekulieren, bevor die Fakten auf dem Tisch liegen" [2].

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