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Angemerkt!: Klonsalat

Nachdem koreanische Forscher menschliche Stammzellen aus klonierten Embryonen erzeugt haben, kündigt Bundeskanzler Schröder einen biopolitischen Kurswechsel an - um gleich darauf wieder zurückzurudern.
Embryonenforschung
"Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen ist verboten." Ein klarer Satz. Und er hat vielleicht kein Blut, dafür aber umso mehr Schweiß und Tränen gekostet. Nach zähem Ringen hatte sich der Bundestag am 30. Januar 2002 auf einen Kompromiss zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen geeinigt, der einerseits Embryonenforschung grundsätzlich verbietet, andererseits aber über die so genannte Stichtagsregelung ein Hintertürchen für "hochrangige Forschungsziele" offen lässt.

Die Tinte des daraufhin verabschiedeten Stammzellgesetz war noch nicht trocken, als schon erste kritische Stimmen laut wurden. Zunächst von Wissenschaftlern, wie dem Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle, dann aber auch zunehmend aus der Politik. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte bereits im Jahr 2000 vor "ideologischen Scheuklappen und grundsätzlichen Verboten" in der Genforschung gewarnt; seine Forschungsministerin Edelgard Bulmahn wand sich, als es im vergangenen Jahr um eine klare Position für ein internationales Klonverbot ging.

Die neuesten Nachrichten aus Südkorea – Forscher um Woo Suk Hwang hatten Zellkerne schwerkranker Patienten in menschliche Eizellen verpflanzt und aus der sich entwickelnden Blastozyste Stammzellen gewonnen – veranlassten den Bundeskanzler, erneut auf einen Kurswechsel zu drängen. Vor der heiklen Bundestagswahl 2006 traut sich die Bundesregierung zwar noch nicht so richtig, falls aber die Wahl gewonnen werden sollte, dann, so heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, soll therapeutisches Klonen und eine unbeschränkte Stammzellforschung auch in Deutschland möglich sein. Schröder habe schon SPD-Chef Müntefering auf seiner Seite und rechne fest mit der Rückendeckung von Wirtschaftsminister Clement, Justizministerin Zypries und Forschungsministerin Bulmahn.

Die entsprechenden Regelungen aus Stammzell- und Embryonenschutzgesetz müssten dann allerdings wieder gekippt werden. Doch, halt! War alles nicht so gemeint! Gefragt nach einem geplanten Kurswechsel beim Embryonenschutz betont Regierungsgsprecher Béla Anda: "Das ist nicht der Fall." Und auch Bulmahn lässt flugs verkünden: "Die Gesetzesbasis für die Grundlagenforschung in Deutschland ist ausreichend." Eine Überprüfung der gesetzlichen Regelungen in zwei Jahren möchte Anda dann aber wiederum doch nicht ganz ausschließen: "Deutschland ist bereit, sich in diesem sensiblen Bereich zu bewegen." Ja, was denn nun?

Wir sollten nicht vergessen, es sind Wahlkampfzeiten – harte Zeiten insbesondere für die Sozialdemokraten, denen ihr Stammland am Wochenende verlustig zu gehen droht. Alt-NRW-Landesvater Clement hatte sich immer mit Verve für Stammzellforschung eingesetzt, und da mit Kohle wohl kein Staat mehr zu machen ist, könnte ja eine moderne Biopolitik ein paar Stimmen bringen.

Oder auch kosten. Der grüne Koalitionspartner in Nordrhein-Westfalen und im Bund zeigt sich schließlich wenig begeistert von einem Kurswechsel, und die rot-grüne Klientel könnte entsprechend verschnupft reagieren. Alles gute Gründe für ein klares "Jein!".

Dabei ist der Anlass für diesen Schlingerkurs gar nicht so dramatisch, wie in allen Gazetten jetzt beschrieben. Die koreanischen Forscher haben nur fortgeführt, was ihnen vor einem Jahr bereits gelungen war. Damals hatten sie erstmals menschliche Zellen kloniert, jetzt konnten sie das Verfahren optimieren und mit Zellen von Patienten wiederholen. Bis das therapeutische Klonen wirklich therapiefähig wird, vergehen nach Ansicht von Hwang noch mindestens zehn Jahre.

Schröder weiß das natürlich auch. Insofern ist seine halb wieder zurückgenommene Andeutung von einem biopolitschen Kurswechsels nichts anderes als ein losgelassener Versuchsballon, ob sich bei dem heiklen Thema noch großer Widerstand regt. Denn auf Dauer wird der deutsche Stammzellkompromiss nicht haltbar sein. Er war es auch schon unmittelbar nach seiner Verabschiedung nicht – nur traut sich keiner, das klar zu sagen.

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