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Klimageschichte: Kollateralnutzen

Dürren, Fluten, Plagen: Wenn das Klima durcheinander gerät, kommen mehr Katastrophen über die Menschheit - das legen zumindest viele Studien nahe. China dürfte sich vielleicht aber auch freuen: Dort könnte es zukünftig ruhiger zugehen.
Der Jangtse ist Chinas Fluch und Segen: Er versorgt hunderte Millionen Menschen mit Wasser, bildet eine der wichtigsten Transportadern des Landes, ermöglicht Industrie und fördert die Landwirtschaft durch fruchtbare Sedimente. Der drittlängste Fluss der Erde kann aber auch Tod und Verderben bringen wie 1998, als er stärker als normal über die Ufer trat, fünf Millionen Häuser vernichtete und 3000 Menschenleben forderte. Schon zu normalen Zeiten steigt sein Pegel im Juni und Juli – dem Höhepunkt des jährlichen Wasseranfalls – um 15 Meter: Bis zu 70 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde kann der Strom dann transportieren, 1870 erreichte der Jangtse mit einer Durchflussrate von 105 000 Kubikmetern pro Sekunde sogar einen persönlichen Rekord. Zum Vergleich: Der Rhein schüttet im Schnitt 2330 Kubikmeter pro Sekunde in die Nordsee.

Mündung des Jangtse | An seiner Mündung schüttet der Jangtse durchschnittlich über 30 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ins Ostchinesische Meer. In besonders niederschlagsreichen Zeiten kann sich diese Menge verdreifachen.
Andererseits suchen auch immer wieder ausgedehnte Trockenzeiten das Reich der Mitte heim, und der Fluss verkümmert zu einem relativen Rinnsal. Zumindest früher in der langen Geschichte des Landes verhungerten dann Tausende von Menschen, stürzten ganze Dynastien und versank die Nation in Anarchie und Aufständen. Die Menschen litten unter Seuchen und Insektenplagen wie den gefürchteten Raubzügen der Wanderheuschrecken. Einige Studien in letzter Zeit bestätigen jedenfalls den Zusammenhang zwischen Klimakalamitäten und zusammenbrechenden Großreichen inklusive Kollaps der öffentlichen Ordnung.

Wenn das Wetter Dynastien stürzt

Zusammengenommen bietet dieser Wechsel aus unterschiedlichen Katastrophen keine guten Aussichten für die heutige Volksrepublik, soll doch der Klimawandel derartige Extremereignisse qualitativ und quantitativ verstärken – zumindest legen das verschiedene Klimamodellierungen nahe. Doch Vorsicht ist geboten, meinen nun Forscher um Zhibin Zhang von der Chinesischen Academie der Wissenschaften in Peking und Achim Bräuning von der Universität Erlangen. Sie haben sich tausend Jahre chinesischer Klimageschichte angesehen und im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen Temperaturen, Dürren, Fluten und Heuschreckenausbrüche untersucht.

Sie profitierten dabei von den emsigen Chronisten der alten Kulturnation, die während der Zeiten der Ming-, Tang- oder Han-Dynastien akribisch Buch führten, wann der Jangtse sein Bett verließ und die Feldfrüchte wegen Trockenheit verdorrten oder von der Wanderheuschrecke (Locusta migratoria manilensis) vertilgt wurden. Die zu den Perioden dazugehörigen Temperaturdaten lieferten wiederum Eisbohrkerne, Baumscheiben oder Seesedimente, deren Jahreslagen und -ringe je nach vorherrschenden warmen oder kalten Phasen mehr oder weniger mächtig ausfielen.

Ihr Ergebnis dürfte die heute Herrschenden einigermaßen beruhigen – nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit. Denn offensichtlich hängen Dürre, Fluten und Insektenplagen eng zusammen und unterliegen einer starken Periodizität, die zwischen 160 und 170 Jahre dauert: Phasen, in denen die Bevölkerung besonders stark leidet und die von ebenso langen Zeitabschnitten relativer Ruhe abgelöst werden.

Winterliche Schneebedeckung | Versinken große Teile Eurasiens im Winter im Schnee, schwächt dies im Sommer den Ostasiatischen Monsun: Trockenheit ist die Folge.
Momentan bewegt sich China offensichtlich wieder in stabileren Verhältnissen – und dies verdankt das Land den gegenwärtig herrschenden wärmeren Durchschnittstemperaturen: Wie der Blick in die Vergangenheit zeigt, neigte das Klima stets zu den Extremen, wenn die Temperaturen sanken. Auf den ersten Blick klingt dies paradox, da kältere Luft eigentlich weniger Wasserdampf aufnehmen und transportieren kann, weshalb man Trockenheit, aber nicht Überschwemmungen erwarten sollte. Doch scheint sich während kühlerer Epochen die Taifunaktivität im südlichen China zu verstärken. Die Stürme bringen schwere Regenfälle mit sich, die an Land auf eine schütterere Pflanzendecke treffen, die zudem weniger Feuchtigkeit ausschwitzt. Die Böden sind schneller wassergesättigt und können das herabstürzende Nass schlechter speichern – es rauscht schneller zu Tal und in die anschwellenden Flüsse wie den Jangtse.

Rosige Aussichten?

Auf der anderen Seite schwächeln zu diesen Zeiten der Indische und Ostasiatische Monsun – vor allem, wenn sich im Himalaja und in großen Teilen Eurasiens ausgedehnte Schneedecken breitmachen und die Zirkulation beeinträchtigen: In den Sommermonaten wird dann weniger Feuchtigkeit vom Meer ins Landesinnere transportiert, und das Pendel schlägt ins andere Extrem der Trockenheit aus. Eng verbunden sind damit nach den Erkenntnissen von Zhang und Bräuning die Massenvermehrungen der Wanderheuschrecken, die besonders in Jahren nach Überflutungen perfekte Bedingungen vorfanden und nutzten – und zu extrem schädlichen landwirtschaftlichen Plagen heranwuchsen, die Kaiserreiche zu Fall bringen konnten.

Für die Zukunft könnte dies bedeuten, dass China vielleicht von seiner mittlerweile führenden Rolle als Kohlendioxidproduzent profitiert – das Reich der Mitte hat 2007 die USA als größten Verschmutzer überholt, wenn man die Gesamtmenge der Emissionen betrachtet. Die im Zuge der Erderwärmung steigenden Temperaturen dürften folglich die Zahl der wetterbedingten Naturkatastrophen in China verringern. Mit einer Ausnahme: Im anfälligen Delta des Jangtse drohen mehr Fluten – ausgerechnet dort soll es zukünftig mehr aus häufigeren Sommergewittern gießen.

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  • Quellen
Zhang, Z. et al.: Periodic temperature-associated drought/flood drives locust plagues in China. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2008.1284, 2008.

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