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Wetter: Kommt die amerikanische Kälte bald zu uns?

Der rekordverdächtige US-Wintereinbruch beeinflusst auch unser Wetter - aber anders, als in sozialen Netzwerken momentan gemutmaßt wird.
Niagarafälle im Winter (Januar 2017)

Früher oder später schwappt jeder Trend aus den USA nach Europa herüber – selbst extreme Kälte. Das möchte man zumindest meinen, wenn man Hobbymeteorologen in sozialen Netzwerken Glauben schenken möchte. Und immerhin gibt es für diese Ansicht einige Gründe, schließlich entstehen viele unserer Sturmtiefs in der Labradorsee vor der amerikanischen Atlantikküste, und schon so mancher Hurrikan endete ebenfalls als Orkan an europäischen Gestaden, nachdem er an der US-Ostküste entlanggezogen war. Doch gilt das auch für extreme Kaltluftvorstöße, wie gerade einer seit Weihnachten große Teile Kanadas und der USA so fest im Griff hat, dass sogar die Niagarafälle zufrieren? Hier liegt der Fall jedenfalls deutlich anders: Ein Wintereinbruch aus Richtung Westen droht uns mit Sicherheit nicht – im Gegenteil.

Die eisigen Zustände in Nordamerika hängen mit dem Jetstream zusammen, der seit einiger Zeit über Nordamerika stark nach Süden ausbeult und dieses Strömungsmuster noch einige Zeit stabil aufrechterhalten wird. Dadurch kann Kaltluft ebenfalls konstant und ungehindert weit nach Süden strömen. Sie ist arktischen Ursprungs und zapft auf ihrem Weg die stark ausgekühlten Luftpakete der kanadischen Landmasse an. Die Prognosen verdichten sich, dass der starke Kälteeinbruch noch mindestens bis zum Wochenende andauert: Für den Zeitraum um den 4. und 5. Januar 2018 berechnet das europäische Wettermodell selbst tagsüber rekordverdächtig tiefe Höchsttemperaturen, so der Meteorologe Ryan Maue von "weather.us".

Ein Teil dieser bitterkalten Luftmassen strömt dabei natürlich auch vom Kontinent auf den Nordatlantik und verschärft dort den Temperaturunterschied zum deutlich wärmeren Ozean und den Luftmassen, die sich hier mit subtropischem Ursprung gen Norden bewegen. Im Kontaktbereich der "Wetterküche" der Labradorsee verwirbeln sie in großem Umfang: Sie sind der Hauptmotor, der hier die Entwicklung zahlreicher Sturmtiefs antreibt, welche mit dem weiteren Verlauf des Jetstreams nach Westen ziehen und schließlich Europa erreichen. Mit sich im Gepäck bringen sie ergiebigen Niederschlag, der gegenwärtig meist bis in höhere Lagen (1500 Meter) als Regen fällt. Selbst im Binnenland sorgen diese Tiefs immer wieder für stürmische Bedingungen wie am Mittwoch (4. Januar), wenn in Südwestdeutschland Böen von teilweise mehr als 150 Kilometer pro Stunde auftreten können.

Eine Umstellung der Großwetterlage könnte erst ab dem Wochenende auftreten, was für den Nordosten der USA jedoch erst einmal weiteres Ungemach bedeutet: Vor der US-Ostküste entwickelt sich zum Donnerstag und Freitag hin ein so genannter Nor'easter, ein mächtiges Sturmtief mit hurrikanartigem Wind und heftigen Schneefällen. In der Folge zieht dieser Sturm weiter nach Norden in Richtung Neufundland und schneidet der Kaltluft damit vorerst den Weg zum Atlantik ab. Folglich erlahmt die Sturmbildung auf dem Atlantik, weil eine der wichtigsten Antriebskräfte dafür zumindest geschwächt wird, schreibt der Deutsche Wetterdienst. Ein Wintereinbruch in Mitteleuropa steht deshalb aber nicht zwangsläufig vor der Tür, die weiteren Prognosen sind dafür noch zu ungenau.

Doch selbst, wenn sich statt der eher milden Meeresluft aus Westen arktische Kaltluft aus Norden zu uns aufmachen sollte. Mit minus 30 oder gar minus 40 Grad Celsius müssen wir hier zu Lande dennoch nicht rechnen. Das liegt an der unterschiedlichen Geografie Nordamerikas und Europas. Über der riesigen Landfläche Kanadas kann sich im Winter eine enorme Menge Kaltluft ansammeln, die – wenn der Jetstream nach Süden ausbeult – fast ungehindert bis zum Golf von Mexiko abfließen kann. Kein Gebirge hält diesen arktischen Schwall auf, denn die Rocky Mountains wie die Appalachen verlaufen in Nord-Süd-Richtung und bilden keine quer verlaufende Barriere, wie die Alpen es in Europa wären. Uns "schützen" hingegen das Nordpolarmeer und die Nordsee, die selbst im Winter verglichen mit der Luft noch relativ warm sein können. Sie erwärmen jeden arktischen Hauch und verhindern dadurch Extremwerte von Norden her.

Wenn, dann droht in unseren Breiten eher die die "sibirische Peitsche": eisige Luft, die sich aus Osten her ausbreitet, was dann allerdings überwiegend mit hohem Luftdruck und Sonnenschein tagsüber einhergeht. Doch laut Deutschem Wetterdienst steht uns vorerst auch von dieser Seite keine Kälte ins Haus: "Dafür hat die stürmische Westlage bis weit nach Russland zu 'gute' Arbeit geleistet und die kontinentale Kaltluft weit nach Osten verdrängt. Zudem fehlen über Osteuropa Schneedecken, die eine rasche Neubildung von zumindest bodennaher Kaltluft erlauben würden." In den vergangenen Jahren kam es daher ebenfalls vor, dass die Verhältnisse umgekehrt waren wie im Jahr 2012. Damals blieb der Winter in den USA streckenweise aus, während vor allem in Osteuropa hunderte Menschen bei Werten von bis zu minus 30 Grad Celsius erfroren – extrem ausgekühlte Luft aus Sibirien konnte bis Mitteleuropa vordringen, weil der Jetstream über Europa einen Bogen nach Südwesten machte. Selbst in Libyen schneite es damals.

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