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News: Konserven taugen nichts

Nach einem Jahr ist alles zu spät. Bis zu diesem Alter erfassen Kleinkinder problemlos die typischen Charakteristika von Sprachen - doch nur von lebenden Vorbildern.
Chinesischunterricht
"Was Hänschen nicht lernt...", sagt der Volksmund zu Recht. Auch wenn Hans durchaus noch im hohen Alter lernfähig bleibt – ein sicherlich entscheidender Evolutionsvorteil der Art Homo sapiens –, ist Hänschen ihm dabei weit überlegen. Insbesondere in einer Disziplin schlägt Hänschen Hans um Längen: Beim Erlernen von Sprachen.

Kindern fällt es kinderleicht die eigene Muttersprache zu erlernen, und wenn sie das Glück hatten, zweisprachig aufzuwachsen, werden sie sich auch in diesem Idiom nie wieder mit Vokabelheft und Grammatikfibel plagen müssen. Dabei spielt sich die entscheidende Phase, das haben Forscher mittlerweile herausgefunden, im Alter zwischen sechs und zwölf Monaten ab. Denn bis dahin besitzen alle Kinder die Fähigkeit, Vokale und Konsonanten sämtlicher Sprachen zu erfassen und zu unterscheiden.

Ist den Kindern bis zum Alter von einem Jahr nur eine Sprache zu Ohren gekommen, dann geht ihnen diese Fähigkeit unwiederbringlich verloren. Charakteristische Laute, so genannte Phoneme, die in der eigenen Muttersprache nicht vorkommen, werden schlicht nicht mehr gehört – und können später nur mit viel Mühe erlernt werden. Bekanntes Beispiel ist die Unterscheidung zwischen den Konsonanten "r" und "l": Klingen sie für uns Europäer wie selbstverständlich völlig verschieden, fällt es fernöstlichen Asiaten schwer, hier irgendeinen Unterschied herauszuhören – es sei denn, sie sind zweisprachig aufgewachsen.

Doch wie intensiv muss das zweisprachige Training sein? Müssen die Kleinen tagtäglich mit dem zweiten Idiom konfrontiert werden, oder genügen kleinere Lerneinheiten? Patricia Kuhl von der University of Washington in Seattle ging dieser Frage nach. Zusammen mit Feng-Ming Tsao und Huei-Mei Liu gab sie neun Monate alten Amerikanern Chinesischunterricht: Innerhalb von vier Wochen hörten sich 16 Knaben, die in ihrem jungen Leben bisher nur englisch vernommen hatten, zwölfmal für jeweils 25 Minuten Mandarin, also die chinesische Umgangssprache, an. Ihre Lehrer waren chinesische Muttersprachler, zwei Männer und zwei Frauen, die den kleinen Schülern Kindergeschichten vorlasen und ihnen Spielzeug auf chinesisch präsentierten.

Anschließend mussten die Schüler ihren Lernerfolg unter Beweis stellen. Neunmonate alte Kinder lassen sich allerdings nicht direkt befragen, die Forscher wussten jedoch eine typische Eigenschaft der Kleinen zu nutzen: ihre kindliche Neugier. Den Kindern wurde immer dann ein Spielzeug präsentiert, sobald sie unterschiedliche Laute hörten. Entsprechend drehten sie dann erwartungsvoll ihren Kopf.

Und tatsächlich reagierten sie auch auf chinesische Phoneme, die im Englischen ununterscheidbar sind. Die Kontrollgruppe, die nur englischsprachige Kindergeschichten genossen hatte, ließen die chinesischen Laute kalt.

Damit genügt also bereits eine kurze Lernphase, um neunjährigen Kindern typische Charakteristika einer fremden Sprache beizubringen. Und dieser Lernerfolg, so fanden die Forscher heraus, hält bis zu zwölf Tagen an.

Unabdingbar ist jedoch ein lebendes menschliches Wesen als Sprachlehrer, wie ein zweites Experiment belegte: Die Forscher wiederholten ihren Sprachunterricht, indem sie weiteren zwölf Kleinkindern Videos beziehungsweise Tonbänder mit ihren chinesischen Lehrern vorspielten. Doch der Unterricht aus der Konserve fruchtete nicht; die Kinder missachteten die chinesischen Phoneme.

Die soziale Komponente ist also entscheidend für den Spracherwerb von Kleinkindern – und vermutlich auch darüber hinaus, wie die Forscher spekulieren: "Auch wenn es Hinweise gibt, dass Vokabeln über Fernsehprogramme gelernt werden können, lassen sich die komplexeren Aspekte einer Sprache, wie Phonetik und Grammatik, nicht über das Fernsehen aneignen."

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