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Schwarze Löcher: Kosmische Geburtshelfer

Astronomen haben Schwarze Löcher entdeckt, die mehr als zehn Milliarden Mal mehr Materie enthalten als die Sonne. Jetzt rätseln sie darüber, wie diese Riesen entstehen konnten und welche Rolle sie bei der Entwicklung der Galaxien spielen.
Schwarzes Loch mit einströmendem Gas und Gasstrahl

Ende November letzten Jahres berichteten Forscher des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg über die Entdeckung des bislang massereichsten bekannten Schwarzen Lochs. Es sitzt im Zentrum einer Spiralgalaxie namens NGC 1277 und beinhaltet 17 Milliarden Mal mehr Materie als unsere Sonne. Kurze Zeit später legten britische Astronomen nach. Sie hatten zehn Schwarze Löcher mit jeweils 10 bis 40 Milliarden Sonnenmassen gefunden. Angesichts dieser Giganten sprechen Astrophysiker mittlerweile nicht mehr nur von super-, sondern von ultramassereichen Schwarzen Löchern.

Die Funde werfen natürlich fundamentale Fragen auf: Wie groß können diese geheimnisvollen Himmelskörper überhaupt werden? Und vor allem: Auf welche Weise sind sie entstanden, und wie beeinflussen sie die Entwicklung der Galaxien, deren Zentren sie bilden?

Schwarzes Loch mit einströmendem Gas und Gasstrahl | So könnte ULAS J1120+0641 ausgesehen haben: ein sehr weit entfernter Quasar, der von einem Schwarzen Loch "angetrieben" wird, dessen Masse zwei Milliarden Mal größer ist als die der Sonne. Er entstand wohl schon 770 Millionen Jahre nach dem Urknall und ist das hellste Objekt des frühen Universums, das bislang entdeckt wurde.

Seit einigen Jahren sind Astronomen jedenfalls davon überzeugt, dass so gut wie jede Galaxie in ihrem Zentralbereich ein supermassereiches Schwarzes Loch beherbergt – auch unsere Milchstraße. Viele dieser Schwarzen Löcher sind aber schwer auffindbar, weil dichte Staubwolken sie verdecken. Doch mit dem amerikanischen Weltraumteleskop Widefield Infrared Survey Explorer fanden die Suchenden kürzlich im infraroten Spektralbereich mehr als 1,5 Millionen bislang unbekannte Schwarze Löcher. Möglich war dies, weil heißes Gas nahe am Schwarzen Loch die umgebenden Staubwolken erhitzt und diese dann Wärmestrahlung abgeben. Ein indirektes Verfahren also.

Die Strahlung verrät sie

Sehr weit entfernte Schwarze Löcher lassen sich grundsätzlich nur über ihre Außenwirkung nachweisen. Sie ziehen aus der Umgebung Gas an, das sich zunächst in einer Scheibe um den Zentralkörper ansammelt. Ähnlich wie Wasser in einer Badewanne, aus der man den Stöpsel zieht, bewegt sich die Materie auf spiralförmigen Bahnen auf das Schwarze Loch zu und verschwindet schließlich darin. Bei diesem galaktischen Mahl wächst das Schwerkraftmonster. Gleichzeitig erhitzt sich das Gas und beginnt zu leuchten: je größer das Schwarze Loch, desto heller die Strahlung.

Die Forscher nutzen diesen an nahen Objekten kalibrierten Zusammenhang aus, indem sie beispielsweise aus der Intensität der Radio- und Röntgenstrahlung der Gasscheibe die Masse des Schwarzen Lochs ermitteln. So fanden sie auch heraus, dass bereits weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall Schwarze Löcher mit mehreren Milliarden Sonnenmassen existierten – eine kurze Zeitspanne im Universum, dessen Alter auf 13,7 Milliarden Jahre taxiert wird. Wie ihnen das gelang, ist ein großes Mysterium, denn bekannt ist bislang nur ein Prozess, bei dem die hungrigen Schwarzen Löcher entstehen: Wenn massereiche Sterne ihren Brennstoff verbraucht haben, setzt die Energieproduktion aus. Als Folge davon bricht der Zentralbereich des Sterns schlagartig in sich zusammen. Gleichzeitig stößt er die äußere Hülle ab, die nun als Supernova hell aufleuchtet.

Der Kernbereich zieht sich dagegen unaufhaltsam zusammen – theoretisch bis auf einen einzigen Punkt: Ein Schwarzes Loch ist entstanden. Auf diese Weise findet Materie mit etwa der zehnfachen Sonnenmasse ihr kosmisches Grab, wie theoretische Modelle vorhersagen und Beobachtungen an Schwarzen Löchern in unserer Milchstraße bestätigen. In den Zentren von Galaxien ruhen aber Giganten mit mehreren Milliarden Sonnenmassen. Es ist eines der großen Rätsel der Kosmologie, auf welche Weise sie in weniger als einer Milliarde Jahren nach dem Urknall derart schnell anwachsen konnten.

Eine symbiotische Beziehung

Beobachten lässt sich diese frühe Entstehungsphase leider nicht. Astrophysiker sind deshalb auf die Rechenkraft von Computern angewiesen, mit denen sie die Urverhältnisse simulieren. Thomas Greif vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, USA, etwa hat sich auf die derzeit favorisierte Theorie verlegt: den Kollaps von Megasternen kurz nach dem Urknall. Das Universum enthielt demnach anfangs nur die leichten Elemente Wasserstoff und Helium, keine schweren Substanzen wie Kohlenstoff, Stickstoff oder Eisen. Das hatte die scheinbar paradoxe Folge, dass die ersten Sterne durchschnittlich 100-mal schwerer waren als die heutigen. "Sie verbrannten ihren Brennstoff rasend schnell, explodierten bereits nach wenigen Millionen Jahren und kollabierten zu den ersten Schwarzen Löchern mit vielleicht 100 Sonnenmassen", so Greif. Diese zogen weitere Materie aus der Umgebung an und wuchsen stetig. Doch das Szenario hat einen Haken.

Die Megasterne leuchteten so hell, dass ihre Strahlung das meiste Gas aus ihrer Umgebung wegschob. Und bei den finalen Supernovae rissen die Explosionswolken den Rest der umgebenden Materie mit sich fort. Die Folge: Die aus den Megasternen entstandenen Schwarzen Löcher fanden keine Nahrung. Sie wurden geboren, um zu hungern, wie der Theoretiker Jarrett Johnson vom Los Alamos National Laboratory es kürzlich auf den Punkt brachte.

Dieses Problem ließe sich nach Meinung einiger Theoretiker umgehen. Sie nehmen an, dass im frühen Universum lokal Bedingungen geherrscht haben könnten, die zur direkten Entstehung eines Schwarzen Lochs mit bis zu 100 000 Sonnenmassen geführt haben könnten – ohne das Zwischenstadium eines Sterns. Hierzu wäre es notwendig gewesen, dass sich riesige Gaswolken zusammenballten und unter dem Einfluss der Schwerkraft so schnell kontrahierten, dass im Zentrum dieser Wolke keine Zeit für das Einsetzen der Kernfusion blieb. Sobald diese nämlich anspringt, produziert der Stern Energie, und der entstehende thermische Druck stoppt den weiteren Kollaps des Gases zu einem Schwarzen Loch. "Dafür müssten aber sehr spezielle Bedingungen geherrscht haben", kommentiert Greif den Stand der Forschung. "Bislang lässt sich dieses Szenario noch nicht mit ausreichender Genauigkeit vollständig simulieren, so dass wir nicht wissen, ob es überhaupt funktioniert haben könnte."

Centaurus A | Gasströme schießen aus dem zentralen Schwarzen Loch von Centaurus A.

Klar ist derzeit nur, dass sich die riesigen Schwarzen Löcher zeitgleich mit den ersten Galaxien entwickelt haben. So stellt sich unweigerlich die Henne-Ei-Frage: Was war zuerst da, die Schwarzen Löcher oder die Galaxien? Haben die dunklen Riesen vielleicht sogar wie Kondensationskeime gewirkt, um die herum sich die Sternsysteme gebildet haben? Schwarze Löcher gewissermaßen als kosmische Geburtshelfer – eine faszinierende Idee, die sich derzeit weder beweisen noch widerlegen lässt.

Förderer oder Unterdrücker der Geburtenrate

"Die Entdeckungen zeigen, dass es eine symbiotische Beziehung zwischen Schwarzen Löchern und ihren Galaxien gibt – und das seit dem Anbeginn der Zeit", kommentiert Kevin Schawinski vom Yale Center for Astronomy and Astrophysics in Connecticut die Situation. Diese Symbiose betrifft zum Beispiel die Entstehung neuer Sterne.

In Spiralgalaxien wie unserer Milchstraße bilden sich im Innern dichter Staubwolken jedes Jahr einige wenige Sterne. Es gibt auch Galaxien, in denen die Geburtsrate 1000-mal höher ist. Schwarze Löcher können hierbei offenbar eine bedeutende Rolle spielen. Die sie umgebenden Gasscheiben leuchten nicht nur sehr hell, sondern von ihnen strömt auch ein vermutlich überwiegend aus Wasserstoff bestehender Teilchenwind ab. Auf welche Weise das im Einzelnen geschieht, ist nicht geklärt, aber der Wind weht durch die Galaxie – mit zweierlei Folgen, wie eine Gruppe um Mathew Page vom University College London herausfand.

Mit den beiden Weltraumteleskopen Herschel und Chandra fanden die Forscher heraus, dass die Sternentstehungsrate in einer Galaxie mit steigendem Teilchenwind und wachsender Masse des Schwarzen Lochs zunimmt. In diesem Fall schiebt der Wind umgebendes Gas zusammen, das sich dann weiter zu Sternen verdichtet. Bläst der Wind aber zu stark, dann nimmt die Sternentstehungsrate abrupt ab. Vermutlich verdichtet der Wind das Gas dann nicht, sondern fegt es aus der Galaxie hinaus. Damit fehlt das Baumaterial für die Sternentstehung.

Von einem genauen Verständnis dieser komplexen Vorgänge sind die Forscher aber noch weit entfernt. So ist es unklar, welche Faktoren für eine Verstärkung oder Abschwächung des Teilchenwinds verantwortlich sind. Unbestritten ist mittlerweile allerdings, dass Schwarze Löcher nicht nur äußerst kuriose Erfindungen der Natur sind, sondern einen wichtigen Einfluss auf die kosmische Entwicklung hatten und noch haben.

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