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Meeresbiologie: Lausige Überfahrt

Ihre Zukunft ist ungewiss. Denn den Glattwalen wurde Jahrhunderte lang nachgestellt, sodass sie heute zu den am stärksten bedrohten Walarten zählen. Über ihre Vergangenheit wissen aber blinde Passagiere etwas zu berichten: Walläuse.
Wallaus
Er schwimmt langsam, hält sich oft in Küstennähe auf, und sein toter Körper treibt auf dem Wasser – alles Eigenschaften, die den Nordkaper zum "richtigen" Wal machen. Der right whale – so die englische Bezeichnung – genießt daher die traurige Ehre, als erste Walart das Jagdfieber des Menschen geweckt zu haben. Schon im Mittelalter stellten Walfänger den bis zu 18 Meter langen Tieren vor der spanischen Küste nach.

Mit entsprechenden Ergebnis: Die Bestände schrumpften dramatisch; bereits im 19. Jahrhundert galt die Art als gefährdet. Seit 1937 ist der Nordkaper geschützt, doch illegale Jagden sowie Kollisionen mit Schiffen bedrohen die Giganten der Meere weiterhin. Meeresforscher schätzen, das heute im Nordatlantik nur noch etwa 350 Tiere übrig geblieben sind.

Eubalaena australis | Auf der Luftaufnahme eines Südkaperweibchen mit ihrem Jungen vor der argentinischen Küste ist der Lausbewuchs auf den Kopf der Tiere deutlich zu erkennen.
Dabei stellte sich inzwischen heraus, dass es sich bei dem zur Familie der Glattwale zählenden Nordkaper eigentlich um zwei Arten handelt: Wie genetische Tests bestätigten, unterscheidet sich die im Nordpazifik existierende Population – die lediglich aus etwa 200 Tieren besteht – deutlich von der im Nordatlantik lebenden Art Eubalaena glacialis. Der Pazifische Nordkaper hört jetzt auf den Namen Eubalaena japonica. Neben dem in den Gewässern der Südhalbkugel heimischen Südkaper (Eubalaena australis) – dem es mit schätzungsweise 8000 bis 10 000 Tieren noch verhältnismäßig gut geht – besteht die Gattung Eubalaena damit aus drei Arten.

Wie und wann kam es nun zu dieser Aufspaltung in drei Spezies? Genetische Vergleiche, die gerne für Stammbaumanalysen herangezogen werden, helfen hier nur wenig weiter – zu gering sind die Populationsgrößen, um die Evolution der Meeressäuger zu erhellen. Doch die Tiere führen blinde Passagiere mit sich: Walläuse.

Walläuse | Dicht an dicht sitzen die Walläuse auf der Haut ihres Wirtes.
Mit echten Läusen haben diese Parasiten wenig zu tun – es handelt sich um Krebse –, ihre Lebensweise ähnelt aber durchaus den Vorbildern aus der Welt der Insekten. Zu Scharen sitzen sie auf der Haut ihres Wirtes: Bis zu 7500 der zentimetergroßen Tiere klammern sich mit ihren Zangen auf einem einzigen Wal fest und laben sich hier an Hautfetzchen. Vor allem die Stirnseite des Wals ist bei den Parasiten sehr beliebt, wo sie eine regelrechte weiße Mütze bilden.

Und was sie für Genetiker besonders interessant macht: Sie können nicht schwimmen. Wie Kopf- und Kleiderlaus des Menschen vermögen sie daher nur über direkten Kontakt ihren Wirt zu wechseln und teilen damit zwangsläufig die Geschichte ihres Gastgebers. Durch ihre große Zahl und ihre schnelle Vermehrungsrate häufen sie Mutationen an und weisen damit eine entsprechend hohe genetische Diversität auf. Bei den Plagegeistern des Menschen konnten Genvergleiche schon einiges über die menschliche Evolution erzählen. Jetzt versuchten die Forscher um Zofia Kaliszewska von der Harvard-Universität das Gleiche bei den Läusen der Glattwale.

Wallaus | Walläuse gehören nicht – wie die echten Läuse – zu den Insekten, sondern zu den Krebsen.
Bisher gingen die Wissenschafter davon aus, dass jeweils drei Wahllausarten – Cyamus ovalis, C. gracilis und C. erraticus – auf allen drei Glattwalspezies heimisch sind. Der Vergleich der mitochondrialen DNA offenbarte jedoch eine frühe Aufspaltung auf insgesamt neun Arten – jeweils spezialisiert auf den Atlantischen und den Pazifischen Nordkaper sowie den Südkaper.

Diese Aufspaltung muss nach den Schätzungen der Wissenschafter vor fünf bis sechs Millionen Jahren erfolgt sein. Das deckt sich interessanterweise mit Erkenntnissen der Geologen: Damals entstand die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika und trennte damit die Nordkaperpopulationen im Atlantik und Pazifik voneinander. Außerdem bildeten sich zu der Zeit die warmen Äquatorialströme aus, was den Glattwalen vermutlich wenig behagte. Denn mit ihrer dicken Fettschicht vertragen die Meeressäuger kein warmes Wasser – die Südkaper blieben fortan von ihren nördlichen Verwandten isoliert.

Gestrandeter Südkaper | Ein an der argentinischen Küste gestrandeter Südkaper: Das Tier kam wahrscheinlich bei einer Schiffskollision ums Leben.
Mindestens ein Südkaper muss die Überfahrt nach Norden jedoch später noch einmal geschafft haben: Die nahe Verwandtschaft zwischen nördlicher und südlicher Cyamus-ovalis-Variante lässt darauf schließen, dass vor ein bis zwei Millionen Jahren ein Wal den Nordpazifik erreicht hat und hier seine parasitäre Fracht weitergeben konnte.

Und noch etwas können die Forscher aus ihrer Lausanalyse schließen: Die nördlichen Läuse zeigen eine vergleichbar hohe genetische Diversität wie ihre südlichen Pendants. Das bedeutet, dass ihre jetzt seltenen Wirte im Nordatlantik und -pazifik einst ebenso zahlreich gewesen sein müssen wie die Südkaper. Erst der Mensch führte die beiden Nordkaper-Arten an den Rand der Existenz.

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