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Erdwärme: Löcher im Vulkan

Superheißer Dampf aus vulkanischen Zonen soll die Erdwärme in die erste Liga der Energiequellen heben. Man muss nur aufpassen, dass man nicht das geschmolzene Gestein anbohrt.
Lavafontäne und Lavastrom des Vulkans Holuhraun in Island. Darüber ungesund bräunliche Aschewölkchen

Eine Fontäne aus heißem Dampf schießt Dutzende Meter hoch in den Himmel. Der gelb gefärbte Schlamm kocht rundum, und es stinkt nach Schwefel: Das Geothermalgebiet Reykjaneshver im Südwesten Islands zeigt, dass das Gestein auch tief unter der Erde nur so brodeln muss. Deswegen leiten dort Bohrlöcher Dampf aus kaum drei Kilometern Tiefe in ein Kraftwerk, das daraus Heizwärme und Strom gewinnt. Nicht weit von der Szenerie ragt nun seit wenigen Monaten ein gut 50 Meter hoher Bohrturm in den Himmel. Arbeiter graben sich hier noch weiter in die Tiefe vor, in möglichst heißes Gestein.

Am 1. Februar 2017 war es schließlich geschafft: Die Forscher des Iceland Deep Drilling Projects meldeten, sie hätten die Bohrung in einer Tiefe von 4659 Metern abgeschlossen, fast doppelt so tief wie alle anderen Bohrlöcher der Insel. Damit gelang es auch zum ersten Mal überhaupt, in tiefem Gestein überkritisches Wasser zu erbohren. In diesem Zustand oberhalb von 374 Grad Celsius und mit einem Druck von 221 Bar verhält sich das Wasser ähnlich wie Dampf, ist aber ungleich energiereicher. Der im neuen Bohrloch angetroffene Dampf ist 427 Grad Celsius heiß, der Druck liegt bei 340 Bar, also laut den Forschern sicher über dem kritischen Punkt. Somit sei der zu erwartende Ertrag enorm: Diese einzelne Bohrung könne 50 Megawatt elektrischer Leistung fördern statt der für kühlere Geothermie typischen drei Megawatt, sagt Wilfred Elders von der University of California in Riverside, der die beteiligten Forscher in Island vertritt.

Für die Bohrbranche sind Temperaturen weit oberhalb von 300 Grad Celsius unbekanntes Terrain, denn Bohren in so heißes Gestein gilt als technisch anspruchsvoll. Selbst eine massive Bohrkrone aus Stahllegierungen kann nur dank des Kühlwassers standhalten, mit dem das Bohrloch geflutet ist – und beim letzten derartigen Versuch auf Island half noch nicht einmal das. Im Sommer 2009 nämlich scheiterte der Vorgänger der Bohrung nahe des isländischen Spaltenvulkans Krafla spektakulär, als der Bohrmeißel in gerade zwei Kilometer Tiefe stecken blieb. Als ihn die Bohrmannschaft samt dem kilometerlangen Gestänge mühevoll ausgebaut hatte, entdeckten sie an der Bohrkrone Tröpfchen vulkanischen Glases: Es war frisch erkaltetes Magma. Die Ingenieure waren zu kühn gewesen und hatten direkt in Gesteinsschmelze gebohrt. Diese ist mit rund 1000 Grad Celsius viel zu heiß für jedes Bohrgerät und dazu zähflüssiger als Teer. »Die Bohrkrone dreht sich dann nicht mehr, und man bleibt einfach stecken«, so Wilfred Elders.

Neue Methoden fürs Vulkangestein

Es dauerte Jahre, bis die Forscher ihre Geldgeber von einem neuen, Millionen Euro teuren Versuch überzeugt und dazu alle damaligen Probleme analysiert hatten. Am Vulkan Krafla waren sie schlicht von dem ungewöhnlich flach im Gestein steckenden Magma überrascht worden. »Unsere allgemeine Vorstellung einer Magmakammer ist wohl zu idealisiert«, sagt David Bruhn. Er verbesserte in Folge mit seinen Kollegen vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam die geophysikalischen Abbildungsverfahren der Tiefe. »Die Methoden wurden besonders für den Bereich Erdöl und Erdgas entwickelt, aber natürlich nicht für Vulkangebiete«, erklärt Bruhn.

Die Potsdamer Forscher versuchten nun in ihrem Hochdrucklabor, die vermuteten Bedingungen im isländischen Gestein nachzustellen. Dazu wurde auf kleine Zylinder isländischen Vulkangesteins nicht nur der Auflastdruck von fünf Kilometern Gestein ausgeübt – sondern gleichzeitig unter hohem Druck das heiße überkritische Wasser hindurchgeleitet, während die Messelektronik an der Außenseite der Probe gekühlt wurde. Die Daten aus dem Labor wurden jetzt auf Island eingesetzt, um den Untergrund noch vor Bohrbeginn zu untersuchen. Denn wenn Erdbebenwellen das Gestein mit überkritischem Wasser oder stattdessen Lavakörper durchlaufen, lässt sich das nun an der Oberfläche feststellen.

Ebenso anspruchsvoll war es, Sensoren für das Bohrloch zu entwickeln. »In einem Düsentriebwerk hat man zwar auch sehr hohe Temperaturen«, sagt Jan Henniges, der sich am GfZ Potsdam mit den Sensoren befasst hat. »Aber da ist vielleicht nur die Sensorspitze dieser Temperatur ausgesetzt und eben nicht das ganze Bauteil.« Es waren deshalb auch keine elektronischen Temperatursensoren, die für das Bohrloch ausgewählt wurden, sondern hitzebeständige Glasfasern, die das gesamte Loch durchlaufen. Aus dem rückgestreuten Licht dieser Fasern ließ sich an der Erdoberfläche auf die Temperatur in verschiedenen Tiefen zurückschließen.

Riskanter Weg ins Vulkangestein

Der neue Bohrversuch begann schließlich im letzten Sommer auf der Reykjanes-Halbinsel südwestlich von Islands Hauptstadt. Mit fast 50 seismischen Messstationen untersuchten Geophysiker das Gestein vorab, um den Kontakt mit Magma dieses Mal zu vermeiden. Das Team bohre in einem alten Lavafeld aus dem Jahr 1241, versuchte im Herbst der Projektleiter Gudmundur Ómar Fridleifsson vom isländischen Energieversorger HS Orca damals zu beschwichtigen. »Ich hoffe auf sehr heißes, aber festes Gestein«, sagt er. Nervös waren die Forscher trotzdem, denn derlei Hoffnung ist auf Island mit Vorsicht zu genießen.

Erdwärmekraftwerk | Klassische Geothermie ist in Island weit verbreitet – solche Kraftwerke geben aber zu wenig Leistung ab, um im Konzert der bedeutendsten Energieträger mitzuspielen.

Fragte man die Geologen nach den Risiken ihrer Branche, erzählten sie vom Alltag auf der Vulkaninsel. In den 1970er Jahren sei einmal Lava aus einem Bohrloch herausgeflossen. Auch spürbare Erdbeben können hier gelegentlich auftreten. Aber man arbeite immerhin nicht mitten in einer Großstadt wie Basel, fügte Fridleifsson hinzu – dort hatte ein durch die Bohrung verursachtes Erdbeben der Stärke 3,4 das Aus für ein ganzes Geothermieprojekt bedeutet. Von der neuen Tiefenbohrung liegt der nächste größere Fischerort dagegen zwölf Kilometer entfernt. Dazu gibt es auf Island ohnehin mehrmals im Jahr derartige Erdbeben.

Probleme bereitete den Forschern während der Bohrphase der letzten Monate vor allem das Gestein, das sie durchbohrten. In einer Tiefe von 3060 Metern verschwand ein großer Teil ihres Kühlwassers durch Poren seitlich im Fels. Zwar versuchte die Bohrmannschaft, die Wände des Lochs mit Zement abzudichten, scheiterte damit aber – und nahm den Wasserverlust von da an einfach in Kauf. Nun, nach Abschluss der Bohrung, sorgen sich die Forscher, ob sie ihr kilometertiefes Loch auch dauerhaft intakt halten können: Die enormen Temperaturunterschiede, der Druck und gelöste Stoffe und Partikel aus der Tiefe greifen Rohre und Dichtungen an. Wie in einem ständig angeschalteten Wasserkocher dürfte es auch Ablagerungen geben, die die Rohre verstopfen. Im schlimmsten Fall könnten sie brechen – und damit eine dauerhafte Energiegewinnung aus überkritischem Wasserdampf verhindern.

Die Hoffnungen in den neuen Vorstoß sind derweil gewaltig. Denn bisher liefert die Erdwärme weltweit kaum mehr als die Leistung von zwölf Atomkraftwerken – was sich dank überkritischem Wasserdampf vervielfachen ließe. Auch in Japan und Neuseeland gibt es Pläne, Gestein mit überkritischem Wasserdampf nahe Vulkanen anzubohren.

Die nächsten Schritte

Beim Iceland Deep Drilling Project werden die Forscher nun zunächst vorsichtig mit dem erschlossenen überkritischen Dampf experimentieren. Sie müssen etwa den Anteil gelöster Stoffe prüfen – und wie er die Rohre angreift oder zusetzt. Wie wirtschaftlich die Produktion am Ende ist, werde nicht vor Ende 2018 feststehen, heißt es in der Pressemitteilung der Betreiber.

Allerdings existieren längst Ideen, mit dem Bohrloch mehr zu tun als nur den jetzt schon hervorschießenden Dampf einem Kraftwerk zuzuleiten. Die Geologen denken etwa darüber nach, mit Hochdruck noch mehr Wasser ins fast fünf Kilometer tiefe Gestein zu pumpen, um dabei weiträumig Risse und Klüfte zu öffnen und das Gestein in großer Tiefe durchlässiger zu machen, was den Ertrag weiter erhöhen könnte. Langfristig ließe sich mit dieser Strategie vielleicht ein grundlegendes Problem der Erdwärmenutzung abschwächen: Denn der Wärmeertrag aller flacheren Bohrlöcher verringert sich mit der Zeit, weil das Gestein durch sie schneller abgekühlt wird, als neue natürliche Erdwärme aufsteigt. Ließe sich nun aber weit darunter ein gut durchlässiger Durchlauferhitzer erzeugen, ließen sich mit einem Schlag ganze Felder existierender altersschwacher Bohrungen wiederbeleben.

Der Geologe Andri Stefansson von der Universität Island hält aber auch ein anderes Szenario für möglich: Könnten Bohrlöcher, die in die Wurzelzone der Erdwärme vordringen, nicht das vulkanische Gestein viel schneller erkalten lassen – und so die kontinuierlich nach oben strömende Erdwärme zu schnell ausbeuten? »Es ist eines der langfristigen Ziele des Iceland Deep Drilling Project, diese Frage zu beantworten«, sagt Andri Stefansson. »Unsere heutige Antwort auf die Frage lautet: Wir wissen es nicht.«

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