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News: Lost City

Nicht untermeerische Vulkane, sondern chemische Reaktionen erschufen die bis zu 60 Meter hohen Heißwasser-Schlote von "Lost City" weit weg vom mittelatlantischen Rücken. Im heißen Wasser gedeihen wärmeliebende Bakterien - vielleicht schon seit Anbeginn des Lebens auf der Erde.
Lost City
Als im Dezember des Jahres 2000 die Mitglieder einer ozeanographischen Expedition einen Teil des mittelatlantischen Rückens untersuchten, ahnten sie noch nicht, was für eine Entdeckung ihnen bevorstand: Auf dem Gipfelplateau des Unterwasser-Bergmassivs Atlantis fanden sie in etwa 800 Meter Tiefe rein zufällig eine Ansammlung von bis zu 60 Meter hohen, turmförmigen Schloten, aus denen heißes Wasser entwich. Zu wenig Zeit blieb den Wissenschaftlern damals, um das imposante Schlotfeld, das sie spontan "Lost City" tauften, eingehender zu untersuchen. Es war aber klar, dass es sich aufgrund der geologischen Gegebenheiten und der Entfernung zur aktiven Zone des mittelatlantischen Rückens nicht um vulkanische Erscheinungen handeln konnte.

Gut zwei Jahre später, im April dieses Jahres, war endlich die Nachfolge-Expedition bereit, Lost City genauer in Augenschein zu nehmen. Die wissenschaftliche Crew an Bord des Forschungsschiffes Atlantis bestand aus Ozeanographen, Geologen, Chemikern und Mikrobiologen. Während eines Monats auf hoher See sollten die Forscher unter der Leitung von Deborah Kelley von der University of Washington der "Verlorenen Stadt" ein paar ihrer Geheimnisse entlocken.

Mittlerweile war der Mechanismus geklärt worden, der Lost City erbaut hatte und auch jetzt noch weitere Türme bildet: Wenn Gesteine des Erdmantels – so genannte Peridotite – mit dem Wasser des Meeres in Berührung kommen, ereignet sich eine chemische Reaktion, bei der Wärme freigesetzt wird. Bei dieser als Serpentinisierung bezeichneten Umsetzung nehmen bestimmte Minerale im Mantelgestein Wasser auf und wandeln sich so in das weißliche Serpentin um. Mit dem durch die exotherme Reaktion erhitzten Wasser strömen die Minerale aus dem Meeresboden, wo sie im kalten Wasser ausfallen und sich zu den gespenstisch weißen Schloten von Lost City auftürmen.

Und das schon seit geraumer Zeit: Gretchen Früh-Green von der ETH Zürich und ihre Kollegen fanden auf der diesjährigen Expedition mit der Radiokarbonmethode heraus, dass die Schlote von Lost City schon seit mindestens 30 000 Jahren unentwegt heißes Wasser ausstoßen – und der Vorrat an Mantelgestein ist noch längst nicht erschöpft. Vorsichtige Schätzungen der Wissenschaftler gehen davon aus, dass es noch weitere sechs Millionen Jahre dauern wird, bis das gesamte Gestein des unterseeischen Atlantis-Massivs zu Serpentin umgewandelt sein wird.

Eine gewaltige Energiereserve für untermeerisches Leben, denn die Serpentin-Türme von Lost City beherbergen – ähnlich wie die Umgebung der vulkanischen "Schwarzen Raucher" – chemoautotrophe Bakterien. Sie beziehen ihre Lebensenergie in der Finsternis der Tiefsee allein aus der Umwandlung bestimmter chemischer Verbindungen, die in den Schloten immer frisch nachgeliefert werden. Die Lebensgemeinschaften der Hydrothermalquellen sind also autark und nicht vom Sonnenlicht abhängig, das direkt oder indirekt die meisten anderen Ökosysteme am Leben erhält.

Im Gegensatz zu den gut untersuchten Lebensgemeinschaften der Schwarzen Raucher weiß die Wissenschaft noch fast nichts über das Leben in den Schloten von Lost City. Doch eines ist klar: Die Heißwasser-Quellen bieten Bedingungen, die schon seit Milliarden Jahren unverändert geherrscht haben könnten. Denn die chemische Reaktion von jungem Mantelgestein mit Wasser kann durchaus bereits seit der Entstehung der Urozeane ohne Unterbrechung stattgefunden haben. Doch ganz gleich, ob solche Serpentinschlote an der Entstehung des Lebens beteiligt waren oder nur Rückzugsgebiete für frühe Lebensformen darstellen: Sie werden noch viel über die Evolution des Lebens auf unserem Planeten zu erzählen haben.

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