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March for Science: Ein Zeichen gegen postfaktisches Denken

Auch in Deutschland gingen am Samstag Zehntausende auf die Straße, um für den Wert von Forschung zu demonstrieren – ein Novum in der Geschichte der Wissenschaft. Eindrücke aus Heidelberg.
Bis zu 2000 Teilnehmer waren beim March for Science Heidelberg - hier bei der Abschlusskundgebung am Universitätsplatz.

Kurz wirkt es so, als hätte es Donald Trump nach Heidelberg geschafft. Gegen 16:30 Uhr tritt ein Mann mit diesem Namen auf die Bühne am Universitätsplatz der Studentenstadt. "Ich lege großen Wert auf die deutsche Aussprache meines Nachnamens", sagt Andreas Trumpp, ein Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums, ins Mikrofon. Ein kleiner Junge, der in der Menge auf den Schultern seines Vaters sitzt, versteht den Witz nicht sofort. "Papa, ist das DER Trump?", fragt er seinen Vater verwirrt. "Ist der hier?"

Gar nicht so leicht zu beantworten. Physisch ist Donald Trump weit weg. Aber für etliche der etwa 1800 Menschen vor der Bühne ist der amtierende US-Präsident wohl einer der Gründe, weshalb sie an diesem Tag demonstrieren. Weshalb sie einmal längs durch die Heidelberger Altstadt gelaufen sind, als Teil des hiesigen "March for Science", und Pappschilder in die Luft halten, auf denen "Wissenschaft ist keine Meinung" steht oder "Schrödingers Katze ist stinksauer".

Die Heidelberger Kundgebung war einer von weltweit etwa 600 angekündigten Ablegern einer amerikanischen Großdemonstration in der US-Hauptstadt Washington. Dort protestierten am Samstag zehntausende Forscher und Sympathisanten gegen die wissenschaftsfeindliche Politik ihres Präsidenten. In Deutschland gab es an gut 20 Orten so genannte "Satellitenmärsche", die Schätzungen zufolge insgesamt 37 000 Teilnehmer hatten. In Berlin sind den Veranstaltern zufolge etwa 11 000 Wissenschaftsfans auf die Straße gegangen, was die Erwartungen deutlich übertroffen haben soll. Auf Helgoland waren es immerhin 67.

Betreiben die Demonstranten "Faktenkult"?

Im Vorfeld hatten die deutschen Märsche allerdings für intensive Debatten gesorgt. Sollten Wissenschaftler aus Sympathie mit ihren US-Kollegen auf die Straße gehen, obwohl sie das sonst nie tun? Würde man damit ein Wissenschaftssystem hochjubeln, das allerlei Mängel hat, fragte der Biologe Martin Ballaschk in einem Beitrag? Würden die Demonstranten gar "Faktenkult" betreiben, wie der "FAZ"-Feuilletonist Patrick Bahners auf Twitter beschwor? Oder böten die deutschen Satellitenmärsche bloß eine Bühne für billige antiamerikanische Parolen, wie Robin Mishra, der Leiter des Wissenschaftsbereichs der Deutschen Botschaft in Washington, schrieb?

Zumindest die Bedenken Mishras erweisen sich in Heidelberg als unbegründet. Anti-Trump-Plakate sind nirgends zu sehen, als sich die Demonstranten gegen 14:30 Uhr auf dem Friedrich-Ebert-Platz versammeln. Vielleicht hat geholfen, dass die Organisatoren und Unterstützer im Vorfeld klar gesagt haben, dass Protest gegen den US-Präsidenten nicht das Ziel der deutschen Märsche sein soll.

Aber wenn es nicht vorrangig gegen Trump gehen soll, wogegen dann? Die Planer des deutschen Wissenschaftsmarsches hatten dazu einen beeindruckend präzise formulierten Text auf die Homepage der Initiative gestellt. Demnach solle sich die Veranstaltung dagegen richten, dass "wissenschaftlich fundierte Tatsachen geleugnet, relativiert oder lediglich alternativen Fakten als gleichwertig gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen". Eine der Organisatorinnen, die promovierte Biologin Eva Haas, formuliert das Ganze im Gespräch etwas griffiger: "Uns ist wichtig, dass es informierte Diskussionen gibt, dass in der Politik wissenschaftsbasierte Entscheidungen getroffen werden", sagt die 33-Jährige.

"Schweigen ist nicht länger eine Option"

Wer will da schon widersprechen? Ralf Frühwirt jedenfalls nicht. Er arbeitet in der Erwachsenenbildung, sitzt für die Grünen im Kreistag und hat vor langer Zeit mal Erziehungswissenschaften studiert. "Aber auch ich mache mir Sorgen, dass das wissenschaftsfeindliche Klima zu uns herüberschwappen könnte", sagt er, während er auf dem Heidelberger Friedrich-Ebert-Platz auf den Beginn des Marsches wartet. Auch für den Physikstudenten Ben Dangelmayr ist das Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse ein Graus. "Bei Trumps Wahl wurde mir klar, dass Schweigen nicht länger eine Option ist", sagt der 21-Jährige.

Der Protest gegen "postfaktisches Denken" war auch laut einer nicht repräsentativen Erhebung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) eines der Hauptmotive vieler Demonstranten auf den deutschen Science-Märschen. Außerdem trieb demnach der Wunsch viele Marschierende auf die Straße, dass die Erkenntnisse der Forschung mehr Gewicht in öffentlichen und politischen Debatten erhalten. Die Onlineumfrage, an der bis Sonntagmittag mehr als 350 Personen teilnahmen und deren Auswertung auf "wissenschaftskommunikation.de" vorgestellt wird, offenbart allerdings auch andere Beweggründe. So trieb manche Teilnehmer beispielsweise der Widerstand gegen populistische Strömungen auf die Straße oder das schlichte Anliegen, die eigene Leidenschaft für Wissenschaft zum Ausdruck zu bringen.

"Uns ist wichtig, dass in der Politik wissenschaftsbasierte Entscheidungen getroffen werden"
Eva Haas, Biologin

Für Michael Cantz war auch die Situation von Forschern in Ländern wie Ungarn oder der Türkei ausschlaggebend. "Hier zu Lande ist ja schon noch das Bewusstsein da, dass Wissenschaft Teil einer zukunftsgerichteten Politik ist", sagt der emeritierte Pathologieprofessor, der mit seiner Frau zum Heidelberger Marsch dazugestoßen ist. "Ich finde es aber wichtig, dass die Öffentlichkeit protestiert, wenn wie in Ungarn Universitäten geschlossen werden", sagt er.

Schrullige Science-Nerds als liebenswürdige Helden

Da fängt auf dem Friedrich-Ebert-Platz auch schon die Band an zu spielen. Als Erstes stimmt sie den Titelsong der Sitcom "Big Bang Theory" an. Mancher Physikprofessor sagt, dass die Serie so stark zur Popularisierung von Wissenschaft beigetragen hat wie wenig andere Dinge in der jüngeren Vergangenheit. Nicht in dem Sinne, dass Zuschauer hier etwas über den Urknall lernten. Stattdessen macht die Sitcom schrullige Science-Nerds zu liebenswürdigen Helden. Das dürfte akzeptanzsteigernd für die Wissenschaft insgesamt wirken – auch in Gesellschaftsschichten, denen die akademische Welt eher fremd ist.

Dies ist ja ohnehin eine der wichtigsten Fragen, die im Hintergrund der Märsche steht: Wie überzeugt man jemand davon, dass eine wissenschaftliche, also abwägende und undogmatische Denkweise den Menschen meist näher an die Wirklichkeit heranbringt? Sollten Wissenschaftler stärker Gesicht zeigen? Sollten sie sich für den Gemeinderat bewerben, Abendvorträge halten, in Schulen gehen? Ist das vielleicht sogar wichtiger als eine Demonstration, die kurz in der Tagesschau auftaucht, dann aber bei den meisten schnell in Vergessenheit gerät?

March for Science in Heidelberg | Eindrücke vom Heidelberger March for Science.

Auf dem Heidelberger Marsch ist das eher kein Thema. Gegen 15 Uhr setzt sich der Menschenzug auf dem Friedrich-Ebert-Platz in Bewegung und läuft durch die verregnete Fußgängerzone der 150 000-Einwohnerstadt. Bunte Regenschirme und Pappschilder wippen über dem Kopfsteinpflaster auf und ab. Einige Demonstranten stimmen einen Sprechchor an: "Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Fakten klaut", rufen sie. Am Rand schauen neugierige Menschen aus den Geschäften. Kurze Frage an einen Dönerverkäufer: Ist Wissenschaft wichtig? "Klar, muss gefördert werden, da bin ich dafür!", ruft er. Eine Friseurin sagt: "Ohne Wissenschaft keine neuen Ideen, keine Medikamente." Nur die Verkäuferin in der Bäckerei zuckt mit den Schultern: "Ich halt mich da raus."

Weder die Friseurin noch der Dönerverkäufer schließen sich allerdings der Demonstration an. Ohnehin hat man den Eindruck, dass hier generell wenige Friseure, Dönerverkäufer und Bäcker den Marsch begleiten – laut der erwähnten KIT-Umfrage haben mehr als 70 Prozent der Menschen, die im deutschen Sprachraum von Kiel bis Wien für Wissenschaft demonstrierten, einen Hochschulabschluss, 90 Prozent Abitur.

— The Hill (@thehill) 22. April 2017

Was nicht heißt, dass hier ein Großteil der Akademiker auf die Straße strömt. Die etwa 1800 Teilnehmer, die der Heidelberger March for Science laut Angaben der Organisatoren hatte, sind zwar knapp doppelt so viele, wie sie im Vorfeld erwartet hatten. Aber in einer Stadt, in der es eine "Elite"-Universität mit mehr als 30 000 Studierenden gibt, außerdem vier Max-Planck-Institute und andere große Forschungseinrichtungen? Da hätte sich mancher sicherlich mehr Teilnehmer erhofft.

Wissenschaft als Hüterin der Aufklärung

Das kann man wohl auf ganz Deutschland übertragen: Schätzungen zufolge haben am Samstag allein in Deutschland zehntausende Menschen für die Wissenschaft demonstriert. Das gab es in dieser Form noch nie und ist deshalb auch bemerkenswert. Andererseits gibt es hier zu Lande knapp drei Millionen Studierende und mehr als 350 000 Wissenschaftler. Der überwältigende Großteil von ihnen ist am Samstag offenbar zu Hause geblieben. Lag das vielleicht am durchwachsenen Wetter – oder wussten sie einfach nichts von der geplanten Großkundgebung?

In Heidelberg kommt die Menge schließlich auf dem Universitätsplatz an. Hinter der großen Bühne prangt ein Schriftzug über dem Eingang des Universitätsgebäudes: "Dem lebendigen Geist". Das gibt den Ton vor. Erst spricht die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, dann der Rektor der Universität Heidelberg Bernhard Eitel. Auch sie sagen Sachen, denen man schwer widersprechen kann: Wissenschaft ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Sie ist Teil einer offenen, liberalen Gesellschaft und gehört zur Demokratie. Bürger sollten sich wehren, wenn Populisten die Freiheit der Wissenschaft bedrohen oder Forschungsergebnisse instrumentalisieren. Das gibt natürlich Applaus.

Kurze Verschnaufpause bei zwei Männern mit Aluhüten, die mit einem Schild zur Demonstration gekommen sind, auf dem "Alternative Fakten wegimpfen" steht. Was bitteschön macht die Satire-Gruppe "DIE PARTEI" auf so einer ernsten Veranstaltung? Einer der Männer mit Aluhut, er heißt Dennis Hebbelmann, lächelt unschuldig. "Wer heute sagt, er ist für Wissenschaft, kann damit billig Sympathien und Stimmen abgreifen", sagt er. "Da dürfen wir als kleine populistische Partei hier natürlich nicht fehlen."

Dann geht es aber schon weiter mit dem Jubeln. Eine Referentin bezeichnet Wissenschaft als den "Olympiastützpunkt für die Freiheit des Geistes". Krebsmediziner Trumpp tritt auf und erzählt von den Fortschritten der Krebsmedizin. Eine junge Astrophysikerin schwärmt von der Neugierde, die sie antreibt – und von der wissenschaftlichen Methode, die Wahrheit hervorbringe.

Kritische Zwischentöne

Manchen Zuhörern geht das dann doch ein wenig zu weit. Und das nicht bloß, weil Forscher ja in Wirklichkeit eher Hypothesen und in Wahrscheinlichkeiten formulierte Prognosen produzieren als Wahrheiten. "Die Welt ist komplizierter, als die Wissenschaft sie abbilden kann", sagt die Soziologin Nicole Bögelein, die ein wenig aufgebracht wirkt. "Jedes Modell ist eine Vereinfachung, die instrumentalisiert werden kann", sagt sie. Warum sie dennoch zur Demonstration gekommen ist? "Damit Typen wie Trump, die einfach lügen, nicht damit durchkommen."

Gegen 17 Uhr kommt die Sonne zwischen den Wolken hervor. Aber der Universitätsplatz hat sich schon halb geleert. Da schallen plötzlich kritische Zwischentöne über den Science March Heidelberg hinweg, zum ersten Mal an diesem Tag. Beatrice Lugger ist Direktorin am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation und sagt ziemlich deutlich, was ihrer Meinung nach in diesem Bereich schiefläuft bisher. Zum Beispiel: Wissenschaftler sähen sich oft als Hüter der Wahrheit, was einen Dialog mit der Gesellschaft erschwere. Oder: Es sei ausgesprochen gefährlich, so zu tun, als liefere Wissenschaft stets eindeutige Ergebnisse.

Nächster Punkt: "Wenn Wissenschaftler Laien mit Zahlen und Fakten überschütten, bringt das wenig." Forscher sollten auch Emotionen zeigen und dadurch ihren persönlichen Bezug zu ihrem Forschungsthema vermitteln, findet Lugger. Und vor allem sollten sie nicht mehr über Kollegen die Nase rümpfen, die in der Öffentlichkeit auftreten. Auf dem Science March hat das schon ganz gut geklappt, könnte man sagen. Und dann applaudieren die verbleibenden Wissenschaftler auch noch so laut, dass man für die Zukunft regelrecht optimistisch sein könnte.

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