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Evolution: Maßgeschneiderte Atmung setzte sich durch

Tauchender Pottwal

Was haben Forellen, Hirschmäuse und Pottwale gemeinsam? Sie alle steigerten im Lauf der Evolution den Sauerstofftransport von ihren Lungen oder Kiemen zum Muskelgewebe und schufen sich dadurch einen Überlebensvorteil. Diese Anpassung erlaubte den Walen längere Tauchzeiten, Forellen konnten unter Stress schneller flüchten, und Hirschmäuse verbreiteten sich in den unterschiedlichsten Höhenlagen. Drei Studien zeigen jetzt, welche Veränderungen der Transportproteine Hämoglobin und Myoglobin dafür nötig waren.

Um seinen Energiebedarf zu decken, benötigt der Körper Sauerstoff. Dessen Transport zum verbrauchenden Gewebe übernehmen zwei respiratorische Pigmente: Im Blut bindet der Sauerstoff an das in roten Blutkörperchen enthaltene Hämoglobin, das ihn dann im Muskel an das Myoglobin weitergibt. Ein ganz spezielles Myoglobin erlaubt es zum Beispiel Pottwalen, bis zu 90 Minuten lang ihren Atem anzuhalten. Scott Mirceta und Michael Berenbrink von der University of Liverpool untersuchten, wie sich der Muskelfarbstoff solcher Tauchspezialisten im Lauf der Evolution entwickelt hat [1].

Die Muskeln von Pottwalen enthalten bis zu 30-mal mehr Myoglobin als die von Landtieren, weshalb sie auch eine tiefrote, fast schwarze Farbe haben. Das verschafft dem Wal den entscheidenden Vorteil: Je mehr Myoglobin ein Muskel enthält, desto mehr Sauerstoff kann er aufnehmen und desto länger reicht ein Atemzug. Doch bei derart hohen Konzentrationen müsste das Myoglobin eigentlich verklumpen – wodurch es funktionsunfähig würde.

Der Vergleich des Myoglobins von 130 Säugetierspezies zeigte, wie gute Taucher das vermeiden. Den Forschern fiel auf, dass die Ladung des Transportproteins mit der Tauchfähigkeit der Tiere zunahm. Die Besten unter ihnen – wie zum Beispiel Pottwal und Seeelefant – besaßen nicht nur die höchsten Myoglobinkonzentrationen im Muskel, das Protein war bei ihnen auch am stärksten positiv geladen. Gleich geladene Moleküle stoßen sich elektrostatisch ab, und so schlossen die Forscher, dass die Ladung die einzelnen Proteine voneinander fernhielt.

Aus der Ladung seines Myoglobins lässt sich also voraussagen, wie lange ein Tier die Luft anhalten kann. Die Forscher rekonstruierten deshalb die Veränderung des Myoglobins quer über den Säugetierstammbaum der letzten 200 Millionen Jahre und ermittelten sogar die Tauchzeiten bereits ausgestorbener Arten.

Myoglobingehalt als Maß des Tauchvermögens | Je höher die Konzentration des sauerstoffbindenden Proteins, desto dunkler das Muskelgewebe. Von links nach rechts: Schwein, Kuh, Wal.

In der zweiten Studie fanden Chandrasekhar Natarajan und Jay Storz von der University of Nebraska in Lincoln heraus, dass Hirschmäuse in den Rocky Mountains ein andere Hämoglobinvariante besitzen als ihre Verwandten im Flachland der Great Plains [2]. Der Blutfarbstoff besteht aus vier Untereinheiten, die an insgesamt zwölf Stellen variieren können. Die Hochland-Hirschmäuse besitzen die Kombination an Hämoglobinketten, die den Sauerstoff am leichtesten bindet. Das ermöglicht den Tieren, unter dem in großen Höhen herrschenden Sauerstoffmangel zu überleben. Im Vergleich zu dem der Flachland-Hirschmäuse benötigt das Hämoglobin der Bergbewohner für die gleiche Sättigung nur drei Viertel der Sauerstoffkonzentration. Die anderen, weniger sauerstoffaffinen Varianten sind offensichtlich während der Evolution der Tiere ausgesondert worden.

Hirschmaus (Peromyscus maniculatus) | Die kleinen Säugetiere konnten sich durch Anpassung der Sauerstoffaffinität ihres Hämoglobins in verschiedenen Höhenlagen ansiedeln.

Jodie Rummer und ihre Kollegen von der University of British Columbia in Vancouver beschäftigten sich mit dem Hämoglobin von Strahlenflossern wie Forellen und Lachsen [3]. Dieses erwies sich auf Grund seiner hohen pH-Empfindlichkeit als besonders effektiv: Die Forscher maßen den Sauerstoffgehalt im Blut von Regenbogenforellen mittels implantierter Sensoren. Sie versetzten das Wasser mit Kohlendioxid und erzeugten so eine Stresssituation. Das Team beobachtete eine milde Übersäuerung des Bluts – gleichzeitig aber erhöhte sich der Sauerstoffgehalt im Muskel um ganze 65 Prozent. Das Hämoglobin der Forellen deponierte also gerade in anstrengenden Situationen, wie etwa während der Flucht vor einem Fressfeind, besonders viel Sauerstoff im Muskel. Rummer schätzt, dass auf diese Weise bei gleicher Durchblutung bis zu doppelt so viel Sauerstoff in den Muskel gelangen kann.

Die Studie löst ein lang bestehendes Rätsel der Physiologie: Fische schaffen es, Sauerstoff entgegen eines Konzentrationsgradienten, also in Richtung der höheren Konzentration, aus dem Blut in ihre Schwimmblase zu pumpen. Mit Hilfe des so genannten Root-Effekts kontrollieren sie ihren Auftrieb und sparen beim Schwimmen Energie. Zu diesem System gehört allerdings ein komplexes Gefäßnetz namens Rete mirabile, das erst 150 Millionen Jahre später entstand als das spezielle Root-Effekt-Hämoglobin. Der Sinn des Root-Effekts war also vermutlich zunächst die größere Leistungsfähigkeit der Muskeln unter Stress. Diese wiederum ist ein Grund für den enormen Erfolg der Knochenfische: Sie stellen fast die Hälfte der Wirbeltierspezies.

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  • Quellen
[1] Mirceta, S. et al.: Evolution of Mammalian Diving Capacity Traced by Myoglobin Net Surface Charge. In: Science 340 (6138), 2013
[2] Natarajan, C. et al.: Epistasis Among Adaptive Mutations in Deer Mouse Hemoglobin. In: Science 340 (6138), S. 1324–1327, 2013
[3] Rummer, J.L. et al.: Root Effect Hemoglobin May Have Evolved to Enhance General Tissue Oxygen Delivery. In: Science 340 (6138), S. 1327–1329 , 2013

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