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Schulpolitik: Mehr Mut zu fachübergreifendem Unterricht!

Baden-Württemberg schafft Biologie in der gymnasialen Unterstufe als eigenständiges Fach ab - das ist gut so. Denn fachübergreifendes Denken ist wichtiger denn je. Deshalb darf dieser Schritt auch nicht der letzte in diese Richtung sein.
Antje Findeklee

Die medialen Wogen kochen hoch. Lehrer und Akademiker sind empört: "Die Grünen schaffen die Biologie ab" – ausgerechnet die Grünen. Im Schul-Musterländle Baden-Württemberg. Mit einem Ministerpräsidenten, der selbst Biologielehrer ist. Doch so prägnant die Schlagzeile ist, so falsch ist sie auch: Abgeschafft wird nur der Name, nicht der Inhalt – der wandert in den Gymnasien in einen Fächerverbund namens "Naturphänomene und Technik", der als Zusammenführung von Biologie und dem bereits seit einigen Jahren laufenden, stark experimentell geprägten Fach "Naturphänomene" in der Unterstufe einen umfassenderen, fachübergreifenden Blick auf das Leben, die Umwelt und den Menschen bieten soll. Hintergrund ist die Angleichung der Bildungspläne für die verschiedenen Schularten.

In der Kritik wird der Verlust des Namens gleichgesetzt mit einem Verlust an Inhalten. Diese sind in so genannten Arbeitsfassungen formuliert und derzeit, so betonen die Verantwortlichen in Stuttgart vehement, ausdrücklich noch in der Probephase und werden laufend überarbeitet. Die Verwunderung bis Fassungslosigkeit über den Empörungssturm ist ihnen deutlich anzuhören. Ihre Vision ist es, angelehnt auch an die Erfahrungen aus dem Fach "Naturphänomene", die Kinder in den 5. und 6. Klassen noch mehr als bisher schon über den experimentellen, spielerischen Weg für Naturwissenschaften zu begeistern – und für die entsprechenden Arbeitsweisen. Ob sich diese hehren Ansprüche in die Tat umsetzen lassen, wird im aktuellen Schuljahr an 17 Schulen erprobt und evaluiert.

Anspruch und Wirklichkeit

Wenn die Entwürfe so funktionieren wie geplant, wäre das für den Unterricht ein immenser Gewinn. Immer wieder wird in Biologiekreisen beklagt, heutigen Absolventen fehle es an Grundlagen in der Ökologie oder Artenkenntnis (ein Schwerpunkt des neuen Bildungsplans), von Arbeitgeberseite kommt auf Grund des Fachkräftemangels der Wunsch nach mehr technischer Ausbildung. Unabhängig vom Fachgebiet bekommt meist auch das Transferdenken schlechte Noten. Der geplante fachübergreifende Ansatz in Baden-Württemberg würde dem genau entgegenwirken. Die Kinder, die in diesem Alter noch nicht in fachlichen Schubladen denken, würden der tatsächlichen Realität von Mensch und Natur entsprechend an Themenkomplexe herangehen. Ein Gänseblümchen im Schulgarten bietet eben nicht nur Biologie, sondern über seinen Lebensraum auch Chemie, Physik und Geowissenschaften. Zucker ist eben nicht nur Chemie, sondern über die Ernährung auch Humanbiologie. Windenergie ist eben nicht nur Physik und Technik, sondern durch die Diskussion über Auswirkungen auf Vögel, Fledermäuse und Menschen auch Biologie und Medizin. Naturwissenschaften sind per se vernetzt – also gehören sie auch vernetzt unterrichtet. Und ob das nun unter dem Begriff "Biologie" oder "Naturphänomene und Technik" stattfindet, sollte eigentlich egal sein – denn entscheidend ist nicht, was draufsteht, sondern, was drin ist.

Und dann bitte den nächsten Schritt: Was für die Naturwissenschaften und Technik gilt, lässt sich auch für andere Disziplinen denken. Wie wäre es, wenn beim Thema "Mittelalter" zeitgleich in den Sprachen, Musik und Bildender Kunst entsprechende Werke behandelt würden, während in Geschichte, Gemeinschaftskunde/Geografie (oder den entsprechenden Fächerverbünden) sowie Religion beziehungsweise Ethik die Lebensbedingungen, politischen Umstände, Ideen und Visionen besprochen würden? Dann wäre die Schule endlich eine lebendige Erfahrungswelt, die ein umfassendes Bild liefert statt nur einzelne, zeitversetzt präsentierte Puzzleteile, die sich die Schüler selbst zusammenbauen müssen – was vielen nicht mehr gelingt. Ein solcher Ansatz sei zu aufwändig, heißt es seit Jahren. Und so bringt man den Kindern weiter Denkschubladen bei, statt ihren einst für alle Facetten offenen Blick auf die Welt zu erhalten und zu fördern. Dabei schult fachübergreifender Unterricht genau das, was unser Nachwuchs für die Zukunft so dringend braucht: den Blick über den Tellerrand.

PS: Ich würde der Stuttgarter Bildungskommission allerdings empfehlen, das Begriffsmonster "Naturphänomene und Technik" zu entschärfen – "Mensch, Natur und Technik" würden es doch auch tun. Und das entspräche den Inhalten ebenfalls.

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