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Gesellschaft: Meinung: Deutsche vertrauen der Wissenschaft doch

Weniger als die Hälfte aller Deutschen glaubt der Wissenschaft laut dem Wissenschaftsbarometer 2016. Ein Misstrauensvotum für die Forschung? Martin Ballaschk widerspricht.
Herz und Hirn auf einer Goldwaage

Johanna Wanka und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) freuen sich über die Ergebnisse einer Umfrage zur öffentlichen Meinung gegenüber der Wissenschaft, die die Organisation Wissenschaft im Dialog (WiD) nun vorlegte. In einem Kommentar für die "Süddeutsche Zeitung" sieht der Wissenschaftsjournalist Hanno Charisius allerdings keinen Grund zur Freude. Ein "Alarmsignal für die aufgeklärte Gesellschaft" sei das Ergebnis, denn in bestimmten Themenbereichen gaben die Befragten an, wissenschaftlichen Aussagen zu misstrauen:

"Das Vertrauen in die Wissenschaft sinkt laut WiD-Erhebung nämlich rapide, wenn man genauer nachfragt: 53 Prozent der Menschen trauen noch den Aussagen von Wissenschaftlern zu erneuerbaren Energien. Das Vertrauen sinkt auf 46 Prozent, wenn es um die Entstehung des Universums geht, und auf 40 Prozent beim Klimawandel. Und nur 17 Prozent glauben den Forschern, wenn es um Grüne Gentechnik geht, also um gentechnisch veränderte Pflanzen."

Diese Einschätzung teile ich nur begrenzt – ich sehe das nicht als "Alarmsignal". Nach den Rohdaten fragte die Umfrage auch nur diese vier Themen ab, und zwar genau so: "Wie sehr vertrauen Sie den Aussagen von Wissenschaftlern zu folgenden Themen? Erneuerbare Energien, Entstehung des Universums, Klimawandel, Grüne Gentechnik." Klimawandel, Energiewende und Agro-Gentechnik sind unmittelbar gesellschaftsrelevant, aber politisierte und damit polarisierende Themen. Es ist bekannt, dass bei der Beantwortung solcher Fragen die persönlichen Überzeugungen der Befragten eine große Rolle spielen.

Martin Ballaschk

Der Konflikt zwischen Weltbild und Wissenschaft

Die Ergebnisse einer ähnlichen Befragung in den USA sorgten in den USA im letzten Jahr für große Furore. Die befragten US-Bürger misstrauten den Wissenschaftlern vor allem bei der Evolutionstheorie und dem Klimawandel. Hier prallt das kulturelle, soziale oder religiöse Weltbild auf die harten Fakten der Wissenschaft. Im Zweifel entscheiden sich die Leute für ihre eigenen Überzeugungen, erklärte damals Sozialpsychologe Dan Kahan von der Yale University.

"Kahan sagt, dass die Bevölkerung der Wissenschaft vertraut. Sie tendiert aber dazu, Informationen sehr stark zu selektieren, und zwar so, dass sie ihre eigenen Überzeugungen unterstützt", fasste "Nature" damals seine Einschätzung zusammen. Kahan forscht seit vielen Jahren an dem Spannungsfeld "Kulturelle Kognition" zwischen Glauben und Fakten.

Antworten nach dem Bauchgefühl

Gerade die Ablehnung der gentechnischen Forschung überrascht mich aus diesem Grund überhaupt nicht, denn wie die EU-weiten Eurobarometer-Umfragen zeigen, misstraut die Mehrheit der Europäer und Deutschen der Technologie. Das Thema der Gentechnik in der Landwirtschaft wird regelmäßig von Organisationen und Politikern instrumentalisiert und vereinnahmt. Umgekehrt gibt es großes Vertrauen in die Erforschung erneuerbarer Energien, ein Thema mit großem gesellschaftlichem Rückhalt. Wie viel die Befragten über die Themen wussten, um sie wirklich einordnen zu können, wurde nicht abgefragt. Wie viel ist die Frage nach dem Vertrauen dann überhaupt wert?

Neutralere, weniger vorbelastete, aber immer noch gesellschaftsrelevante Themen würden wohl irgendwo zwischen den Werten für die erneuerbaren Energien und die Grüne Gentechnik liegen: Wie sehr vertrauen die Befragten den Wissenschaftlern, wenn es um neue Krebstherapien, die Ernährungsforschung oder neue Werkstoffe geht?

Kopf hoch!

Ganz ehrlich: Ich finde die Ergebnisse direkt ermutigend. Dass es eine gewisse Wissenschaftsverdrossenheit in unserer gar nicht so aufgeklärten Gesellschaft gibt, davon bin ich eigentlich immer ausgegangen. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen sich politischen Agenden ja häufig unterordnen, und der Rückgang des Vertrauens in die Wissenschaft wird zumindest immer wieder postuliert. Insofern hätte ich ein "Alarmsignal" schon fast erwartet.

Ganz so schlecht kann es um das Vertrauen in die Wissenschaft aber nicht stehen, denn die meisten Befragten fanden, dass die Wissenschaft zu wenig Einfluss auf die Politik hat. Wissenschaft scheint also immerhin mehr Vertrauen als "die Politik" zu genießen. Außerdem wächst laut Umfrage gleichzeitig das Interesse an wissenschaftlichen Themen, "ein gutes Zeichen", findet auch Hanno Charisius.

Es ist also nicht alles schlecht, eher im Gegenteil. Mein Fazit: Kopf hoch und weiter an einer verbesserten Wissenschaftskommunikation arbeiten!

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