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Energiewende: Meinung: Wer bremst, verliert

Die Regierung will erneuerbare Energien ausbremsen, um Preise und Stromnetz zu schützen. Doch das Problem liegt woanders, kommentiert Lars Fischer.
Umgeknickter Strommast

Eigentlich ist es ein Grund zum Feiern. Für kurze Zeit, gegen Mittag des 8. Mai 2016, deckte Deutschland nahezu 90 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen. Der plötzliche Überfluss an Wind- und Solarenergie ließ die Strompreise in den Keller fallen – und tiefer: Mehrere Stunden lang bekamen Industrieunternehmen sogar Geld dafür, Strom zu verbrauchen.

Vor allem aber verpufft ein Teil des Stroms wirkungslos: Das Netz kann zu Spitzenzeiten erzeugte Energie zum Teil gar nicht mehr aufnehmen – bezahlt wird sie trotzdem über die EEG-Umlage. Das ist Wasser auf den Mühlen von Kritikern: Nicht nur die Verbraucherpreise könnten durch solche Schwankungen steigen, sogar die Stabilität der Netze selbst sei bedroht. Erneuerbare Energiequellen seien viel zu variabel, um jemals einen großen Anteil an der Stromversorgung zu haben.

Lars Fischer | Lars Fischer ist Wissenschaftsjournalist und Redakteur bei "Spektrum.de".

Nun will die Große Koalition – unter anderem mit Verweis auf die Stromnetze – die Energiewende bremsen. Doch gerade die spektakuläre Ökostrom-Spitze vom Monatsanfang zeigt, dass das die völlig falsche Strategie ist: Das Problem sind keineswegs die erneuerbaren Energien selbst, sondern dass man sich nicht von Anfang an getraut hat, das Stromnetz ebenso entschlossen anzufassen wie die Energieerzeugung.

Dass wir für nicht eingespeisten Ökostrom bezahlen, ist ein winziges Ärgernis, verglichen mit dem Ungemach, das uns vom maroden Stromnetz droht. Das nämlich müsste schon jetzt Versorgungsschwankungen abfangen, indem es Strom innerhalb Europas verschiebt. Das deutsche Stromnetz kann das kaum noch leisten – es ist veraltet und überlastet, bis an den Punkt, an dem sich die Nachbarländer beschweren. Daran wird auch eine Deckelung der Windkraft nichts ändern, im Gegenteil.

Veraltet und überlastet

Die Ökostrom-Spitze am 8. Mai und ein vermutlich ähnliches Ereignis am Pfingstsonntag sind deutliche Signale, die Infrastruktur mit Höchstgeschwindigkeit den nicht mehr ganz so neuen Gegebenheiten anzupassen. Der Netzausbau allerdings fällt bisher vor allem durch Verzögerungen und politische Querschüsse auf. Es ist ein klassisches Déjà-vu-Erlebnis: Beispiele wie der Berliner Großflughafen lassen auch für dieses große Infrastrukturprojekt Böses erahnen.

Da passt es nur ins Bild, dass andere Lösungen, mit denen man die absehbaren Verzögerungen überbrücken könnte, derzeit blockiert sind – nicht nur technisch, sondern auch politisch. Ein System aus vielen dezentralen Kleinspeichern könnte das Netz ebenfalls stabilisieren. Wenn man, wie am 8. Mai dieses Jahres, als Verbraucher sogar teilweise Geld dafür kriegt, Strom abzunehmen – warum baut dann Bauer Heinz nicht einfach noch einen Schuppen voller Batterien oder einen anderen Zwischenspeicher neben seine Biogasanlage und verdient Geld mit der Preisdifferenz?

Die Antwort ist einfach: Dezentrale Speichertechnologien sind heute nicht rentabel, und das liegt auch an der Politik. Die Strompreise seien so reguliert, dass es sich nicht lohnt, Strom zu speichern und wieder einzuspeisen, beklagen Wissenschaftler. Dieses grundlegende Hindernis hemme wiederum die technische Entwicklung solcher Kleinsysteme.

Es bleibt also nichts anderes übrig, als mit dem Netzausbau in die Puschen zu kommen. Die Zeit drängt. Von 2010 bis 2015 hat sich der durchschnittliche Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von 17 auf 33 Prozent beinahe verdoppelt. Nach einer weiteren Verdoppelung, im Bereich zwischen 60 und 70 Prozent des Stromverbrauchs, könne das bestehende Netz die Schwankungen bereits nicht mehr ausgleichen, warnen Energieforscher auf Nachfrage.

Bis dahin dauert es zwar noch eine ganze Weile – aber am Berliner Großflughafen wird schließlich auch schon zehn Jahre gebaut, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Das können wir uns beim Netzausbau nicht erlauben.

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