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Aviäre Infektionskrankheiten: Menschenblut im Spätsommer

Vogelviren sind nicht ganz ungefährlich, wie auch der Letzte mittlerweile mitbekommen haben dürfte. Aber: Geht es um den Wechsel zwischen Mensch und Geflügel, ist H5N1 nur ein viraler Dilettant.
<i>Anopheles gambiae</i>
Stimmt schon, wenn heutzutage Vögel tot vom Baum fallen oder leblos am Strand liegen, ist Vorsicht geboten – auch wenn vielleicht mehr gefiederte Freunde an Entkräftung (nicht ansteckend) nach einem harten Winter, nicht aber an H5N1 verendet sind. Jedoch galt bereits vor der Vogelgrippe zu Recht ein "mit toten Vögeln spielt man nicht": Der "Geflügelpest"-Virus ist schließlich nicht der einzige Vogelkrankheitserreger, der uns Menschen – übrigens schon seit sehr langer Zeit – gelegentlich gefährlich werden kann.

Beispiele gefällig? Bitteschön: Das im Augenblick etwas weniger prominente Paramyxovirus etwa löst die "atypische Geflügelpest" oder "Newcastle-Krankheit" aus – auch nichts Angenehmes für den gelegentlichen Fehlwirt Mensch. Vögel übertragen auch eine ganze Reihe mäßig bekannter Bakterien, die selten – aber auch schon sehr lange – ebenso wenig allgemein bekannte fiebrige Erkrankungen ausgelöst haben; die Hasenpest etwa oder den Rotlauf. Nur am Rande erwähnt, weil bei rascher Behandlung eigentlich nie tödlich, seien dann noch Listerien (Infektionen durch unhygienische Nahrungsmittel übertragen), Geflügel-Tuberkulose-Erreger (treffen besonders immungeschwächte Patienten) oder Pasteurella-Infektionen (durch Katzenbiss, aber auch Schnabelhieb). In Möwen- und anderem Gefieder tummeln sich außerdem nicht selten auch verschiedene Campylobacter-Keime, der wohl häufigsten Ursache überhaupt für bakteriell bedingte Magen-Darmerkrankungen.

Das Ende der Menschheit durch Vogelkrankheiten ist dennoch bis auf weiteres nicht nahe. Einige vernünftige Verhaltensmaßregeln sollten eingehalten werden – nicht anfassen eben, nur gut gekocht verspeisen –, damit aber können Sie die oben aufgezählten Gefahren-Liste sämtlich vergessen. Ein paar Vogelgefahren lauern dann, zugegeben, immer noch.

Mückenlarven im Wasser | Mücken entwickeln sich in stehenden Gewässern – wenn die Larven schlüpfen, werden sie zur blutsaugenden Plage und übertragen Krankheiten wie den Malariaerreger oder das West-Nil-Virus.
Etwa jene in Vögeln heimische Erreger, die per Blut saugender Zecke oder Mücke zwischen unfreiwilligen Blutspendern hin- und hertransportiert werden. Der in Nordamerika bekannteste Vertreter – das West-Nil-Virus, auf Menschen übertragen durch die Stechmücke –, sorgte in US-Großstädten schon für allsommerliche, groß angelegte und umstrittene Luftbekämpfungs-Einsätze mit weitflächig versprühten Insektiziden. Geraten die in Wanderdrosseln (Turdus migratorius, der Amsel Nordamerikas) mittlerweile weit verbreiteten Viren per Mückenstich in den Menschen, kann dieser am West-Nil-Fieber erkranken. Immerhin 770 Menschen starben daran, seit das Virus 1999 erstmals in New York nachgewiesen wurde.

Selbst Optimisten glauben indes kaum, dass die gesamte Culex-pipiens-Übertägermücken-Population per Luftschlag ausgerottet werden kann. Kritiker halten die Bekämpfungsstrategie ohnehin für übergroßkalibriges Kanonieren von Spatzen und Aktionismus, ähnlich dem einer Vogelgrippesuche per Tornado-Kampfflugzeug. Wissenschaftler suchen nach Alternativen zum Präventivschlagschlag gegen das lästige Stechinsekt.

Einer der Ansatzpunkte für Forschung ist ein Rätsel: Warum nur breitet sich das Virus in Amerika viel schneller in Menschen aus als in Europa? Auch auf dem alten Kontinent bieten üppige Vogelreservoirs und die gleiche Mückenspezies der viralen Ausbreitung auf Menschen doch eigentlich eine gute Grundlage – dennoch erkranken Alteuropäer nur sporadisch. Marm Kilpatrick vom Consortium for Conservation Medicine in New York und seine Kollegen suchten nun nach Antworten.

Dazu sammelten sie im Laufe des Jahres mehrmals Wanderdrosseln und Mückenspezies an sechs Sammelplätzen an der amerikanischen Ostküste. Bei allen Insekten, die gerade erst Blut gesaugt hatten, bestimmten die Forscher per DNA-Analysen den jeweiligen unfreiwilligen Spender des Mücken-Mahls. Zudem führten sie penibel Buch über die Wanderbewegungen der Drosselgesellschaft.

Eindeutiges Resultat: Im Laufe des Jahres ändern Mücken offenbar radikal ihren Geschmack. Von Mai bis Juni fielen die Plagegeister zunächst besonders heftig über die Wanderdrossel her. Rund die Hälfte aller untersuchten Insekten hatte sich an Drosselblut delektiert, obwohl Turdus migratorius selbst nur knapp fünf Prozent aller am Untersuchungsort vertretener Vogelspezies ausgemacht hatte. Im Laufe des Sommers verließ die Wanderdrossel die Nistplätze und erhöhte dabei im Schnitt ihre Verbreitung und Anzahl noch – dennoch aber wurden nun plötzlich nicht mehr, sondern im Gegenteil plötzlich weniger Vögel gestochen. Stattdessen nahm der Anteil an Mücken deutlich zu, die sich von Menschenblut ernährt hatten.

Von Ende Juli und bis in die Mitte des Augusts, dann wieder im späten September stach Culex pipiens bevorzugt Homo sapiens – was sehr gut mit den offiziellen West-Nil-Fieber-Krankheitsstatistiken übereinstimmt, so Kilpatrick und Kollegen, denn zur Stechsaison erhöhte sich auch die Infektionsrate. Ganz ähnliches finden die Wissenschaftler auch in anderen Teilen der USA: Im Juni und Juli schießen auch die Fallzahlen im Westen der Vereinigten Staaten in die Höhe – eben dann, wenn die dort tätige Culex-tarsalis-Mücke bevorzugt Menschen anfliegt.

Die Daten erlaubten den Wissenschaftlern nun, eine saisonale und regionale Gefährdungsprognose für das West-Nil-Fieber zu entwickeln. Kontinentweit steigt im Laufe des Jahres die Gefahr von Infektionen recht plötzlich, sobald die Mückenpopulation flächendeckend ihre Vorliebe ändert.

Und allein dieses Timing der Mücken führte nach Ansicht der Wissenschaftler auch zur größeren Gefährlichkeit amerikanischer gegenüber europäischer West-Nil-Überträger: Der plötzliche Überfall in einer nicht immunisierten Bevölkerung sorgt für die jährlich epidemieartigen Fallzahlen. Dass die amerikanischen Virenstämme nachweislich virulentere Mischformen sind oder die neuweltlichen Vogelarten wegen ihrer vergleichsweise mangelnden Immunität auch über längere Zeiträume größere Virenreservoirs für Neuinfektionen bereitstellen, sei dagegen fast vernachlässigbar.

Bleibt festzuhalten, dass das ursprünglich afrikanische Vogel-Menschen-Virus auch in Amerika nur deswegen besonders gefährlich ist, weil seine Ausbreitung und sein Überträger dort auf besondere Bedingungen trifft und zudem nur schwer zu kontrollieren ist: Das West-Nil-Virus lässt sich eben – anders als der dafür nicht geschaffene H5N1 – von einem fliegenden Blutsauger von Wirt zu Wirt transportieren. So sind manchmal eben auch Vögel lebensgefährlich. Dies allerdings sind sie schon lange, heute kaum mehr als sonst, nicht mehr als andere Tiergruppen und – nicht zu vergessen – weniger als der Mensch für den Menschen: für uns lebensbedrohliche, maßgeschneiderte Infektionen lauern in Artgenossen schließlich weitaus häufiger. Bei allen Schlagzeilen bleibt also unser Tipp von gestern auch heute und morgen aktuell: Keine Panik!

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