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News: Monarch ohne Winterresidenz

Die zunehmend genaueren Simulationen des Klimawandels können inzwischen auch Einzelschicksale im Ökosystem prognostizieren. Und machen damit einmal mehr deutlich, dass alles irgendwie zusammenhängt.
Verglichen mit einem trüben Totensonntag im deutschen November erscheint in Mexiko das Gedenken der Verstorbenen als brodelnder Tanz des Lebens: Man labt sich an totenkopfförmigem Pan-de-muerto-Kuchen, Zuckergebäck und sargähnlicher Schokoladendekoration, schmückt Friedhöfe mit duftenden Blumen und bereitet sich auf einen Kurzbesuch der verstorbenen Ahnen vor. Die Legende sagt, dass diese wie jedes Jahr Anfang November zurückkehren, um mit den Hinterbliebenen zu tanzen und zu speisen. Sie kommen, so der Volksglaube, dabei in Form eines Schmetterlings – des Monarchfalters Danaus plexippus.

Und tatsächlich, stets zu Beginn der kalten Jahreszeit, meist pünktlich zu den "Día-de-Los-Muertos"-Festivitäten, erscheinen Schwärme von D. plexippus in Mittelamerika. Auch fernab jeder Mystik und wissenschaftlich belegt haben die Insekten eine weite Reise hinter sich: Von den ersten Frühjahrsfaltern im Süden des nordamerikanischen Kontinents ausgehend, breiten sich Monarchen-Generationen übers Jahr bis zur kanadischen Grenze aus. Im Herbst dann beginnt ein Falterzug gen Süden zu den mexikanischen Winterquartieren der Schmetterlinge.

Bei der Wahl der winterlichen Zufluchtsorte zeigen sich die Monarchen dabei sehr wählerisch: Ein Überleben der harten Jahreszeit garantiert ihnen nur ein spezielles Waldhabitat, in dem Abies religiosa dominiert, eine Nadelbaumspezies der "Oiamel"-Tannenflora des südwestlichen Nordamerikas. Solche Rückzugsräume sind rar und erfordern daher den enormen Reise-Aufwand der Schmetterlinge. Nur westlich der Hauptstadt Mexikos, in Höhenlagen um zwei- bis dreieinhalbtausend Meter, hielten sich größere Waldgebiete des eiszeitlichen Tannen-Relikts. Im Winter kann es in solchen Oiamel-Nadelwäldern zwar recht kalt werden, meist aber bleibt es zugleich trocken – wesentliche Voraussetzung für das Überleben der Falter, für die nasses Frostwetter den Tod bedeuten kann.

Die ohnehin seltenen Oiamel-Habitate, und damit die überlebenswichtigen Rückzugsgebiete der Monarchfalter, schrumpften in den letzten Jahrzehnten unter menschlichem Einfluss weiter: Auch Abies-religiosa-Wälder sind durch industriellen Holzeinschlag und Rodungen zur Ackerlandgewinnung bedroht. Doch damit nicht genug, wie eine Untersuchung der Ökologin Karen Oberhauser von der Universität Minnesota nun belegt.

Oberhauser und ihre Kollegen simulierten softwaregestützt in einem so genannten "ökologischen Nischen-Modell", welche mikroklimatischen Entwicklungen in den lokalen Oiamel-Habitaten Mexikos in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind. Ihrem Modell zufolge werden die durchschnittlichen Temperaturen zwar relativ gleich bleiben, gleichzeitig aber Stürme und Niederschläge deutlich vermehrt auftreten. Nasse Winter werden demnach offenbar zur Norm werden – und das, so Oberhauser, dürfte das Ende der Monarchfalter Mexikos bedeuten: Schon heute sinkt die Zahl überlebender Schmetterlinge nach feuchten Wintern dramatisch, etwa im nassen Jahr 2002 um nahezu 80 Prozent.

Zu erwarten sei laut Oberhauser zudem, dass im Zuge des Klimawandels auch die Sommerquartiere der Schmetterlinge, den kontinentalen Temperaturentwicklungen folgend, sich mehr und mehr gen Norden verlagern. Dann aber müssten die kommenden Herbstgenerationen der Falter immer noch weitere Strecken zu ihren immer unsicherer werdenden südlichen Winterresidenzen zurücklegen. Neue Ausweichquartiere sind indes nicht vorhanden: ganz schlechte Karten, alles in allem, für Monarchen der Zukunft.

Und so steht zu befürchten, dass in einem halben Jahrhundert ein ausgestorbener Falter als Ahne der mexikanischen Toten dienen muss. Auch eine Facette globaler Erwärmungskonsequenzen. Den Wert einer einzelnen Spezies, so Oberhauser, könne man eben "nicht nur in Dollars ausdrücken".

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