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Erdbebenvorhersage: Mondsüchtige Megabeben

Wenn Erde, Mond und Sonne in einer Linie stehen, bebt die Erde besonders stark, sagt ein japanischer Forscher. Doch damit fangen die Fragen erst an.
Mond über einer bunt beleuchteten Hängebrücke im Hafen von Tokio

Die Gezeiten lassen nicht nur Wasserberge entstehen. Die Gravitation von Sonne und Mond verformt auch die Erdkruste selbst im täglichen Rhythmus von Ebbe und Flut. Nun will eine Arbeitsgruppe einen Zusammenhang zwischen den stärksten Gezeiten und den zerstörerischsten Erdbeben gefunden haben. Demnach treten bei Voll- und Neumond, wenn Sonne, Mond und Erde in einer Linie stehen, besonders oft Beben mit Magnituden von 8,2 oder höher auf.

Seit Jahren spekulieren Fachleute über einen solchen Zusammenhang, die Suche danach war allerdings bisher nur von mäßigem Erfolg gekrönt: Belastbare Zusammenhänge zeigten sich bis jetzt nur in Einzelfällen oder in sehr spezifischen Kontexten. So weiß man, dass tiefe Erschütterungen in Subduktionszonen mit zunehmendem Gezeitenstress exponentiell häufiger auftreten – dagegen gibt es gerade bei den häufigeren und deswegen gut statistisch auswertbaren schwachen Beben keinen klaren Zusammenhang mit den Gezeiten.

Das ist umso verwunderlicher, als ein Zusammenhang eigentlich naheliegt – seit Wissenschaftler im 18. Jahrhundert entdeckten, dass Erdbeben durch Spannungen entlang von Verwerfungen zu Stande kommen, vermuten Fachleute einen Zusammenhang mit den Kräften von Sonne und Mond.

In der aktuellen Veröffentlichung betrachtete die Arbeitsgruppe um den Seismologen Satoshi Ide von der Universität Tokio nicht den täglichen Rhythmus von Ebbe und Flut, sondern jene Zeiten besonders hoher Gezeitenspannungen, die man am Meer als Springtiden kennt. Sie fallen mit den so genannten Syzygien zusammen, bei denen Sonne, Mond und Erde in einer Linie stehen und die gemeinsame Gravitation der beiden Himmelskörper zu besonders starken Gezeiten führt. Neu an dem Ansatz ist allerdings, dass die Wissenschaftler nicht nach spezifischen Perioden zwischen Beben und Syzygien suchten, sondern gleichsam von Hand den Zusammenhang zwischen den gezeitenbedingten Spannungen auswerteten: Sie wiesen den 15 Tagen vor dem Beben einen "Spannungswert" zwischen 1 und 15 zu, abhängig von der theoretisch berechneten Gezeitenspannung an jenem Tag.

Ob Ides Team dabei tatsächlich erfolgreich war, hängt davon ab, wie man die Ergebnisse betrachtet. Pickt man sich die stärksten Beben des untersuchten Zeitraums heraus, liegen zehn der zwölf Beben bei den fünf höchsten Spannungswerten, sie fanden also bei besonders starken Gezeiten statt. Auch bei der Gesamtheit der Beben mit einer Magnitude von mehr als 7,5 ist der Anteil der Beben bei den höchsten Spannungswerten noch leicht höher als erwartet. In der gesamten Stichprobe verschwindet der Effekt jedoch: Die Analyse umfasst über 10 000 Beben weltweit mit Magnituden oberhalb von 5,5 – und deren Verteilung ist vom Zufall, wie die Arbeitsgruppe scheibt, nicht zu unterscheiden.

Die Forscher interpretieren den Befund so: Wenn die Gezeitenbelastung hoch ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erdbeben eine besonders hohe Intensität erreicht. Vorläufig allerdings stellen sich dadurch mehr Fragen, als die Studie beantwortet. Zuerst einmal, ob der gefundene Zusammenhang nicht doch nur ein Glückstreffer in einer passend gewählten Untergruppe ist – andere Syzygien-Analysen brachten negative Ergebnisse. Aber auch die für den Zusammenhang verantwortlichen Mechanismen sind unklar. Dass der Mond Erdbeben verursacht, klingt zwar plausibel. Allein, die von ihm ausgelöste Veränderung der Spannungen im Gestein ist 1000-fach kleiner, als sie sein müsste, um größere Beben auszulösen.

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