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Zellmechanik: Motorprotein mit Schaltgetriebe

Huckepack in der Zelle: Das Motorprotein Kinesin transportiert kleine Zellbestanteile und hangelt sich dabei am Zellskelett entlang. Das Getriebe des Nanotraktors schaltet dabei unerwartet flexibel zwischen drei Gängen - je nach Nutzlast und Energievorrat.
Kinesin
Manche Zellorganellen brauchen Hilfe – etwa die Zellkraftwerke, die Mitochondrien: Sie sind zu groß, um zu ihrem Zielort zu gelangen, indem sie einfach durch die Zelle diffundieren. Das Eiweiß Kinesin transportiert solche sperrigen Ladungen, indem er an röhrenförmigen Proteinfäden, Mikrotubuli genannt, entlangwandert. Max-Planck-Wissenschaftler am Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben jetzt rechnerisch gezeigt, wie genau der Kinesin-Nanotraktor die Energie in Bewegung umsetzt.

Kinesin | Nanotraktor ganz groß: Das Motorprotein Kinesin in der Röntgenstrukturanalyse. Das Bild zeigt das Motorprotein mit einem gebundenen ADP Molekül. Mit den beiden Motorköpfen bindet sich Kinesin an die Mikrotubuli und transportiert so Zellorganellen.
Kinesin hat zwei identische Motorköpfe, die wie Beine an den Proteinfäden entlangschreiten. Mit jedem Schritt legt das Motorprotein acht Nanometer zurück, acht Millionstel Millimeter. Für 100 Schritte braucht es nur etwas mehr als eine Sekunde. Die Energie für einen Schritt gewinnt der Motor, indem seine Motorköpfe Adenosintriphosphat (ATP), den Energieträger der Zelle, in Adenosindiphosphat (ADP) sowie eine Phosphatgruppe (P) spalten.

"Jeder der Köpfe hat eine Bindungstasche, die generell drei Zustände einnehmen kann: Sie kann leer sein, ein ATP oder ein ADP Molekül enthalten", sagt der Wissenschaftler Steffen Liepelt. Kombiniert man diese Zustände miteinander, ergeben sich neun Varianten, von denen sieben in der Praxis wichtig sind – die zwei Kombinationen mit den identischen Zuständen 'leer-leer' und 'ATP-ATP' spielen keine Rolle. Wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Motorköpfe eine dieser Varianten einnehmen, und wie die nachfolgenden mechanischen und chemischen Veränderungen jeweils zur Fortbewegung der Motorköpfe auf dem Untergrund beitragen, haben die Wissenschaftler nun ermitteln können.

Ausgangspunkt war dabei die Beobachtung, dass ein Kopf mit ADP sehr lose am Filament haftet. "Besser binden die Köpfe, wenn sie ATP enthalten oder wenn sie ganz leer sind", sagt Liepelt. "Im ersten Gang" stehe zunächst ein fest mit dem Untergrund verbundener, leerer Kopf vor einem abgelösten Kopf mit ADP." Diese Kinesin-Spagatstellung sei wie eine gespannte Feder: "Bindet der vordere Kopf nun ein ATP Molekül, wird ein Gelenk im Motorprotein gelöst und der hintere Kopf wandert nach vorne", erklärt der Forscher – der erste Schritt ist getan.

Früher oder später aber verliert der Kopf, der jetzt vorne steht, sein ADP, bleibt leer zurück und bindet damit fester an das Filament. Den hinteren, mit ATP gefüllten Kopf ereilt irgendwann ein ähnliches Schicksal: Das ATP spaltet sich in ADP und Phosphat. Das Phosphat löst sich ab, sodass hinten also wieder der lose gebundene Kopf mit ADP steht – der Kreislauf ist geschlossen und der Motor ist bereit für den nächsten Schritt.

"Ist die Last zu groß, hilft auch das Warten im Kriechgang nicht mehr"
(Steffen Liepelt)
Ist die Kraft am Kinesin jedoch zu groß, schaltet Kinesin automatisch in den Rückwärtsgang: "Denn die Last zerrt am Kinesin und der hintere Kopf kann sich nicht nach vorne bewegen", so Liepelt. Dann kann es passieren, dass der hintere lose Kopf sein ADP verliert, bevor er einen Vorwärtsschritt machen kann. Damit ist er leer und geht eine festere Bindung mit dem Filament ein. Am vorderen Kopf zerfällt unausweichlich das ATP Molekül. Übrig bleibt nur ein schwach gebundener Kopf, der ADP enthält. Bindet ein weiteres ATP an den leeren hinteren Kopf, wird das Motorprotein erneut destabilisiert und der lose vordere Kopf wird aufgrund der anliegenden großen Last nach hinten gezogen. Insgesamt hat das Kinesin damit einen Rückwärtsschritt gemacht.

In dem Modell reagiert Kinesin auch auf Veränderungen in der Umgebung: Wenn besonders viel ADP vorhanden ist, dann schaltet Kinesin in einen weiteren Gang, bei dem es deutlich langsamer vorankommt. In diesem dritten Gang kommt es häufiger vor, dass beide Köpfe gleichzeitig ADP binden. Um jetzt einen Schritt zu machen, muss der Motor warten, bis ein Kopf sein ADP wieder verliert und für ATP frei wird. "Ist die Last allerdings zu groß, hilft auch das Warten im Kriechgang nicht mehr", sagt Liepelt: "Beide losen Beine des Motorproteins verlieren die Haftung, und Kinesin löst sich einfach vom Filament". Wenn eine Zelle viel Energie verbraucht und somit viel ADP produziert hat, arbeitet der Motor des Kinesin also langsamer und schont damit den gesamten Energiehaushalt.

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