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Indianische Gesellschaft: Mütter entschieden die Pueblo-Herrschaft

Gab es in der Pueblo-Indianerkultur Herrscher und Beherrschte? Genanalysen sollten die alte Streitfrage klären - und kommen zu einem überraschenden Befund.
Panoramaaufnahme der archäologischen Fundstätte von Pueblo Bonito

Die Pueblo-Kultur blühte an verschiedenen Zentren im Südwesten Nordamerikas lange vor der Ankunft der Europäer – und verging vor rund 1000 Jahren, wohl durch innere Streitigkeiten und Kriege. Davor leitete allerdings über Jahrhunderte eine Elite die Pueblo-Gesellschaft, die ihre herausgehobene Stellung offensichtlich stets von Mutter zu Mutter weitergab, wie Archäologen nun durch Genanalysen aus Herrschergrabstätten der Chaco-Canyon-Kultur ermittelten. Die Chaco-Indianer werden damit unter alten Kulturen weltweit eher zur Ausnahme. Das Forscherteam hofft mit den Untersuchungen aber vor allem einen Streit beilegen zu können, den Fachwissenschaftler bislang über die Organisation der Pueblo-Gesellschaft ausgetragen hatten.

In historischen und vorgeschichtlichen Zeiten haben sich Machtstrukturen deutlich häufiger über die väterliche als über die mütterliche Linie tradiert. Doch es gibt durchaus Abweichungen von diesem Schema. Dazu zählen Historiker zum Beispiel – angelehnt zunächst an die antiken Berichte von Heredot – die matrilinear organisierte Kultur der Lykier sowie einzelne von Ethnologen beschriebenen Stämme etwa in Westafrika oder dem Himalaja-Gebiet. In solchen Gesellschaften herrschten nicht zwangsläufig Frauen, ihrem Geschlecht wurde aber eine in jedem Fall eine wichtige Funktion beigemessen.

Ruinen von Pueblo Bonito | Die Ruinen von Pueblo Bonito im Chaco-Canyon-Gebiet: Hier lag eines der Zentren einer Kultur, die über Jahrhunderte blühte. In einem der Räume bestattete ein über offensichtlich lange Zeit bedeutender Familienklan seine Angehörigen. Dabei wurden Macht und Einfluss womöglich über die mütterliche Linie weitergegeben.

Dies trifft nach den neuen Analysen auch auf die Chaco-Kultur zu: Die Forscher um Douglas Kennett hatten DNA aus den Knochen von 14 Toten analysiert, die mit reichen Grabbeigaben in einem Raum des zentralen Pueblo Bonito beigesetzt worden waren. Zudem ermittelten sie mit Radiokarbondatierungen, wann die Menschen gestorben waren. Dabei ergab sich, dass die ältesten Verstorbenen zu Beginn der lokalen Pueblo-Kulturblüte um 800 n. Chr., die jüngsten dagegen in der Chaco-Endzeit um das Jahr 1130 gelebt hatten. Wie die Mitochondrien-Genanalysen zeigen, waren zumindest neun der Verstorbenen über die mütterliche Linie verwandt. Noch genauere Genanalysen waren wegen des Erhaltungszustands des Erbguts nicht in jedem Fall möglich; in zwei Fällen identifizierten sie aber die Toten als Mutter und Tochter sowie einen Enkel und seine Großmutter.

Die Grabstätte – der deutlich auffallendste derartige Raum in der alten Chaco-Stadt – war sicherlich eine Gruft für einen über Jahrhunderte gesellschaftlich herausgehobenen Familienklan, spekulieren die Forscher auf der Basis ihrer Ergebnisse; eine Herrscherelite, die ihre Stellung stets über die Mütter weitergab. Dies bedeute zudem, dass die Organisation der Pueblo-Gesellschaft wohl weniger egalitär war als bisher von einigen Forschern vermutet, sondern deutlich hierarchische Züge trug: Sonst hätte kaum ein Klan jahrhundertelang eine bedeutende Grabstelle monopolisieren können. Ob die Pueblo-Kultur egalitär oder hierarchisch gestaltet war, ist ein alte Streitfrage unter Altamerikanisten.

Skeptiker kritisieren die aus den Genanalysen gezogenen Schlussfolgerungen als spekulativ. Ohnehin gelten Rückschlüsse von Genanalysen auf soziologische Strukturen einer ausgestorbenen Kultur als problematisch, wenn nicht noch andere Indizien gründlich miteinbezogen werden. Trotzdem dürften weitere Analysen von weiteren, an weniger prächtigen Orten bestatteten Chaco-Toten das Bild vervollständigen, hoffen die Forscher um Kennett – vor allem, wenn sich dabei andere oder identische matrilineare Strukturen abzeichnen.

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