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Humangenom: Multikulti in der Südsee

Kilometerweite Sandstrände, Palmen, Sonne, garantierte Ruhe vor allen anderen Touristen: So hätte wohl vor 50 000 Jahren ein Reiseleiter die Inseln im Osten Indonesiens angepriesen, hätte der wandernde Homo sapiens damals schon Prospekte gekannt. Seit dann aber Menschen Melanesien besiedelten, mischten sich ihre Gene auf auch heute noch vielsagende Weise.
Melanesien: östlich von Neuguinea
Auf ein wirklich paradiesisches Eldorado treffen ausdauernde Ahnenforscher unter der Sonne der pazifischen Inselwelt. Besonders Melanesien, die Sammelbezeichnung für die östlich von Indonesien und nördlich Australiens gelegene Archipelwelt von Neuguinea bis Samoa, hat an genetischen Verwicklungen der Menschheit interessierten einiges zu bieten – und beweist ganz nebenbei einmal mehr, wie sinn- und zweckfrei es ist, Menschen in künstliche Schubladen namens "Rassen" einzusortieren.

Für die, die trotzdem zu müssen glauben, könnten Jonathan Friedlaender von der Temple University und seine Kollegen quasi im Vorbeimarschieren in Richtung auf ihr eigentliches Forschungsziel gleich etwa fünf bis sechs neue "Menschenrassen" präsentieren, die auf den unterschiedlichen Inseln Melanesiens zu Hause sind. Denn der üblicherweise dunkelhäutige Melanesier – im sinnarmen genetischen Durchschnitt ja bekanntermaßen mit Europäern verwandter als mit Afrikanern – mischt sich seit etwa 35 000 Jahren offensichtlich auf eine durch die insulare Kleingeografie stark mitbestimmte Art und Weise. Dies sorgt für eine Bonanza der Genealogen und enorme genetische Bandbreiten.

Um das zu ermitteln, hatten Friedlaender und Co genetisches Material von Melanesiern aus 32 Populationen gesammelt und darin 1223 Sequenzen aus hypervariablen Abschnitten der mitochondrialen DNA verglichen. In den Abschnitten finden sich mitteilsame minimale Abweichungen von Mensch zu Mensch – so genannte SNPs (single nucleotide polymorphisms), definitionsgemäß Positionen in der Erbgutsequenz, die bei mindestens einem Prozent der Individuen mit einem anderen DNA-Baustein besetzt sind als beim Rest der Bevölkerung. Solche Ein-Buchstaben-Variationen werden häufig gekoppelt in kleinen Gruppen als so genannte Haplotypen vererbt – und unterschiedliche Haplotypen verraten Genetikern wie Friedlaender damit unterschiedliche mütterliche Abstammungslinien, denn die SNPs in den hochvariablen Sequenzen werden allein von der Mutter mit ihren Mitochondrien an die Nachkommen weitergegeben.

Die Herkunft der Melanesier sauber aufzudröseln erwies sich im melanesischen Haplotypen-Mischmasch als lohnende Schwerstarbeit. Eindeutig aber scheint, dass die Solomonen und das Bismarck-Archipel – die Neuguinea östlich benachbarten Inselwelten – offenbar in zwei Wellen besiedelt worden sind. Die ersten Siedler müssen dabei vor 30 000 bis 50 000 Jahren eingetroffen sein (was ganz gut zu archäologischen Befunden passt), und erhielten dann wahrscheinlich 3500 bis 8000 Jahre vor unserer Zeit eine Blutauffrischung durch eine zweite Einwandererwelle. Dieser mischte seine typische Haplotypenausstatung aus der südostasiatisch-taiwanesischen Ecke in den Melanesier-Mix.

Spannender als der Blick auf das große genetische Ganze ist für die Forscher aber die kleinteilige Verbreitung der verschiedenen Gen-Sippen. Logisch erscheint dabei, dass die Bevölkerung, je näher es an die Küsten herangeht, immer mehr an fremden Einflüssen ins Erbgut aufgenommen hat. Im unzugänglichen Hochland größerer Inseln aber finden sich einheitlichere Linien, die ausreichend lange voneinander isoliert waren, um sich heute stark voneinander zu unterscheiden – und je hügliger und unzugänglicher einzelne Inselareale, desto größer auch die genetische Differenz der hier verstreut hausenden Melanesier. Zudem trennt nicht nur die Geografie, sondern auch die Sprache: entlang heute noch existenter Sprachgrenzen trennen sich ebenfalls genetische Gruppen.

Insgesamt, so die Forscher, zeigt die Auswertung eine extreme, dabei aber durchaus nachvollziehbare genetische Variabilität bei den Bewohnern Melanesiens. Ursache des heutigen Fleckenteppichs sind gleichermaßen die sehr lange Besiedlung der Region und die nachfolgende lange Isolationsdauer einzelner Abstammungsgruppen sowie die dadurch ausgiebige genetische Drift und nachfolgende selektive Durchmischung durch einen zweiten Schwung genetisch andersartiger Neuankömmlinge, die aber nur die gut erreichbaren Küstenbewohner ernsthaft betraf.

Melanesien ist also ziemlich bunt und dürfte ein spannendes Betätigungsfeld bleiben: Schließlich hatte Friedlaenders Team nur die mütterlichen Abstammungslinien ausgewertet. Ob die Melanesier nun sehr unterschiedlich oder sehr ähnlich sind, ist dabei übrigens eine Frage des Standpunktes: Zwar lassen sich ihre Abstammungslinien anhand der Haplotypen unterscheiden – und damit auch ihre Vermischung –, und außerdem aufzeigen, dass und in welche Populationen sie zerfallen. Natürlich aber sind gleichzeitig 99,9 Prozent ihrer DNA-Bausteine mit denen aller anderen Menschen identisch – und die Sequenz-Abweichungen zwischen einzelnen Individuen im Mittel größer als die Abweichungen zwischen den gerade erst so mühsam herausgearbeiteten Populationen. Es bleibt, so gesehen, ähnlich inhaltslos von Insel- wie von Menschenrassen zu sprechen.

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