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Ernährung: Der Neandertaler und die Mittelmeerdiät

Neandertaler gelten als große Fleischesser. Während Befunde aus Belgien dies bestätigen, liefern Exemplare aus Spanien ein ganz anderes Bild ab: Sie bevorzugten eher vegetarisch.
Ein Neandertalergebiss aus der El-Sidron-Höhle in Spanien

Der Befund klingt wie ein Klischee: Im Norden bevorzugte man Fleisch, weiter im Süden bereicherten auch Pflanzen stark den Speiseplan. Das zumindest lesen Anthropologen um Laura Weyrich von der University of Adelaide aus dem Zahnstein von insgesamt fünf Neandertalern in Belgien und Spanien heraus. In dem ausgehärteten Material fanden die Forscher DNA-Spuren, aus denen sie die jeweilige Nahrungsquelle ableiteten. Zumindest die Bewohner der belgischen Spy-Höhle bevorzugten extrem fleischlastige Kost: In ihren Plaques wiesen Weyrich und Co Spuren von Wollnashörnern und Mufflons nach, Hinweise auf Pflanzen entdeckten sie dagegen nicht. Dazu passen weitere Knochenfunde im Umfeld der Neandertalerkiefer, die erlegten großen Pflanzenfressern zugeordnet werden konnten. Frühere Untersuchungen in einer weiteren Höhle in Belgien deuten zudem darauf hin, dass Neandertaler nicht vor dem Verzehr von Artgenossen zurückschreckten, wenn es der Hunger erforderte.

Völlig gegensätzlich scheinen sich da zumindest einige Neandertaler in der spanische Höhle El Sidrón ernährt zu haben. In ihrem Zahnstein fand sich zur Überraschung der Wissenschaftler überhaupt kein Beweis für Wildbret – obwohl die asturischen Neandertaler eigentlich als sehr fleischaffin galten. Stattdessen offenbarte sich eine reichhaltige Pflanzendiät. So delektierten sich diese Menschen unter anderem an Pilzen und Pinienkernen, die heute ebenso von Homo sapiens verzehrt werden. Etwas außergewöhnlicher ist hingegen, dass im Zahnstein auch Überreste von Moosen sowie Westlichen Balsampappeln auftauchten.

Pappeln gehören allerdings zu den Weidengewächsen und enthalten in ihrer Rinde Verbindungen der Salizylsäure, die als Grundbestandteil von Aspirin bekannt ist. Der Wirkstoff löst Krämpfe, hemmt Entzündungen und lindert Schmerzen, weswegen wohl zumindest einer der spanischen Neandertaler auf der Rinde herumkaute. "Wir haben Hinweise darauf, dass er sich selbst behandelte. Sein Zahnstein bewahrte DNA-Sequenzen von Enterocytozoon bieneusi, das Magen-Darm-Probleme inklusive heftiger Durchfälle auslösen kann. Außerdem weist er ein Loch in seinem Kiefer auf, das durch einen Zahnabszess zu Stande kam. Er hatte wahrscheinlich heftige Schmerzen", erklärt der an der Studie beteiligte Antonio Rosas vom Nationalen Naturkundemuseum Spaniens. Vielleicht kannten diese Höhlenbewohner zudem schon die Wirkung antibakterieller Substanzen; das lassen DNA-Spuren des Schimmelpilzes Penicillium vermuten.

Dank des Zahnsteins aus El Sidrón konnte Weyrichs Team letztlich sogar das bislang älteste, fast vollständige Genom eines Mikroorganismus vorstellen: Methanobrevibacter oralis lebte in den Mundhöhlen von Neandertalern. Dieser Stamm und derjenige im Mund von Homo sapiens haben sich vor 112 000 bis 143 000 Jahren auseinanderentwickelt, so die Analyse. Der bisherige Altersrekord für ein Bakteriengenom lag bei 48 000 Jahren. Insgesamt glich die Mundflora der asturischen Neandertaler eher jener von Schimpansen als der von modernen Menschen, wobei sie weniger potenziell pathogene Mikroben trugen als wir heute.

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