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Hirnforschung: Nerven, die nerven

Schmerzt es leise, wenn es juckt? Oder sind beide Wahrnehmungen verschieden? Die Frage kratzt nicht nur Forscher.
Kopfkratzen
Auch wenn noch immer nicht geklärt ist, wozu der Juckreiz überhaupt gut ist – warum uns Mutter Natur also die unangenehme Empfindung in die Gene geschrieben hat – einen guten Grund muss sie gehabt haben. Denn wie sich in mehreren Studien bereits angedeutet hat, ist das Kribbeln der Haut keineswegs ein Schmerz im Kleinformat.

Nein, der Körper hält sogar eigens Leitungen parat, um dem Gehirn zu melden, wo es kribbelt oder kitzelt. Die alte Ansicht, für Juckreiz würden im Grunde dieselben Nervenbahnen beansprucht wie für Schmerz, wollen Forscher um Zhou-Feng Chen von der Washington University in St. Louis nun endgültig widerlegt haben.

Dass die verschieden wahrgenommenen Reize auch zwei unterschiedliche Wege gehen, hatten zum einen bereits Messungen der Neuronenaktivität im Hirn sich kratzender Katzen angedeutet. Zum anderen war im Jahr 2007 eine Gruppe um Zhou-Feng Chen über das Gen GRPR (gastrin-releasing peptide receptor) gestolpert. Tiere, bei denen sie das Gen ausgeschaltet hatten, schienen durch Chemikalien, die im Normalfall heftigen Juckreiz auslösen, wenig zu beeindrucken.

Ganz offensichtlich hatte das GRPR-Gen irgendetwas mit Nerven zu tun, die der Weiterleitung eines "Pruritus", also Juckreiz, dienen. Bislang kannte man sowohl das Gen, das für einen Rezeptor kodiert, als auch die entsprechende Substanz, das Gastrin-Releasing Peptide (GRP), hauptsächlich für die Regulation von Verdauungssäften. Beides kommt allerdings auch in zahlreichen anderen Körperpartien vor – wie zum Beispiel in einigen Strängen des spinothalamischen Trakts, einer der wichtigsten Schmerzleitungen im Rückenmark.

Gekappte Juckreizleitung

Mit einem Trick kappten jetzt Chen und Kollegen genau die Nervenbahnen, deren Zellen das Gen ablesen. Dazu hefteten sie an das strukturell dem GRP ähnliche Protein Bombesin ein Zellgift und injizierten es dann ihren Labormäusen ins Rückenmark. Jede Zelle, die den Rezeptor besaß, öffnete nun der toxischen Substanz Tür und Tor und starb ab, alle anderen blieben verschont. Mehr als drei Viertel aller GRPR-Leitungen fielen dieser Prozedur zum Opfer.

Jetzt blieb eigentlich nur noch die Aufgabe, die Tiere mit möglichst vielen Substanzen zu traktieren, die im Normalfall heftiges Kribbeln auslösen: neben Chemikalien auf der Basis von Histamin oder Serotonin auch Medikamente, bei denen Juckreiz als Nebenwirkung auftritt. In allen Fällen zeigten die Nager nur schwache oder gar keine Reaktion.

Die Gegenprobe bestand aus standardisierten Schmerztests, bei denen die Mäuse ohne GRPR-Neuronenbahnen, ganz wie von Chen und Kollegen erhofft, ebenso sensibel reagierten wie die mit intakten Bahnen. Die Analyse des Schmerzverhaltens beweise, resümieren daher die Forscher, dass Neuronen, die GRPR ablesen, "trotz ihrer wichtigen Rolle bei chronischem und akutem Juckreiz, für eine breite Palette von unterschiedlich wahrgenommenen Schmerzstimuli entbehrlich sind." Oder im Umkehrschluss: Diese Neuronen sind ausschließlich für das Jucken zuständig.

"Leider wissen wir, davon abgesehen, weiter nichts über diese Nervenzellen", sagt Chen – weder was den Mechanismus der Reizleitung angeht, noch worin die Aufgabe des GRPR-Gens besteht. "Vielleicht finden sich in diesen Zellen spezielle Rezeptoren oder Botenstoffe, die man eines Tages zu therapeutischen Zwecken gezielt beeinflussen könnte", hofft der Forscher. Und davon würden nicht zuletzt all diejenigen profitieren, die ihrem Pruritus schon lange nicht mehr durch simples Kratzen Herr werden können.

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  • Quellen
Sun, Y.-G. et al.: Cellular Basis of Itch Sensation. In: Science 10.1126/science.1174868, 2009.

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