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Antarktis: Neue Eiszeit in Sicht?

Es scheint paradox, doch für das Schwinden der antarktischen Schelfeismassen sind womöglich nicht die weltweit ansteigenden Temperaturen verantwortlich, sondern die riesigen Eisströme. Sie gewährleisten den ständigen Nachschub vom vereisten Festland. Doch im Zuge der seit 10 000 Jahren immer dünner werdenden Eismassen im Inland drohen die Ströme einzufrieren. Die Folge wären veränderte Meeresströmungen, die im Extremfall in eine neue Eiszeit führen.
In den mächtigen Eisschilden der westlichen Antarktis ist soviel Wasser gespeichert, dass ihr Abschmelzen den Meeresspiegel um fünf bis sechs Meter anheben könnte. Seit nunmehr 30 Jahren sorgen sich die Wissenschaftler deshalb darum, wie sich die globale Erwärmung auf diese Eismassen auswirken wird. Auf einer Tagung der American Geophysical Union (15. bis 19. Dezember 2000 in San Francisco) stellten Slawek Tulaczyk und Marion Bougamont vom Department of Earth Sciences der University of California in Santa Cruz ein neues Modell vor, nach dem vielleicht nicht die Folgen global ansteigender Temperaturen zu fürchten sind, sondern vielmehr die Gefahr, dass von der Antarktis eine neue Eiszeit ausgehen könnte.

Als Auslöser nennen die Forscher das Erlahmen antarktischer Eisflüsse. Diese rund 500 Kilometer langen und 20 bis 100 Kilometer breiten Ströme befördern riesige Mengen von Eis und Geröll ins Meer. So entstanden die großen Schelfeismassen im Rossmeer, die ständigen Nachschub vom Festland erhalten. Kommen die Ströme jedoch zum Erliegen, hätte dies bedeutsame Folgen. Das Schelfeis könnte mangels Nachschub schwinden und die Meeresströmungen beeinflussen. "Im Extremfall könnten diese Veränderungen vom heutigen Klima des Interglazials in eine neue Eiszeit führen", meint Slawek Tulaczyk.

Doch wie kann es sein, dass die Eisströme nachlassen? Müssten sie sich im Zuge der weltweit ansteigenden Temperaturen nicht eher verstärken? Den Modellen der beiden Forscher zufolge ist das Erlahmen der Eisströme Folge der 10 000 Jahre langen Geschichte der antarktischen Eismassen. Seit dem Maximum der letzten Eiszeit sind sie kontinuierlich geschrumpft. Dadurch kam es innerhalb der Eisströme zu veränderten Temperaturgradienten, die erst jetzt langsam eine kritische Schwelle überschreiten, wodurch das Eis-Wasser-Gemisch vollständig gefrieren könnte.

Denn dass sich die Ströme überhaupt mit einer Geschwindigkeit von einem bis zwei Metern pro Tag in Richtung Meer bewegen können, liegt an der Energiezufuhr aus dem Erdinneren und an der Reibungswärme innerhalb der Ströme. Diese Wärme wird nach oben abgeleitet, sodass sich innerhalb der Eisströme ein Temperaturgradient einstellt. Je dünner die Eismassen werden, desto steiler wird auch dieser Temperaturgradient, das heißt es wird immer mehr Energie in die kälteren Eisschichten nahe der Oberfläche abgeführt. Je größer die Energiemenge ist, die nach oben entweicht, umso kälter wird es an der Sohle der Eisströme, wo flüssiges Wasser den Fluss gewährleistet. Ist das Eis einmal ausreichend dünn, gefriert das Wasser und der Strom steht still.

Dass die Modelle der Forscher mehr als theoretischer Natur sind, zeigen Beobachtungen vor Ort. So gibt es in der Antarktis einen Strom, der schon vor 150 bis 200 Jahren erstarrte, ein anderer verlangsamte sich während der letzten vier Jahrzehnte um 50 Prozent. Auch die zehnjährigen Temperaturprofile innerhalb antarktischer Eisströme von Barclay Kamb und Hermann Engelhardt von der Division of Geological & Planetary Sciences des California Institute of Technology stützen die Ergebnisse von Tulaczyk und Bougamont. Demnach könnte einer der großen Ströme, der Ice Stream C, innerhalb der nächsten 100 Jahre vollständig einfrieren.

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