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Anthropozän: Neues Erdzeitalter bald offiziell?

Schon bald könnte das »Menschenzeitalter« Anthropozän offiziellen Status erlangen. Doch umstritten bleibt die Frage: Wann begann es eigentlich?
Lichtverschmutzung in Europa

Schon länger reden Fachleute vom »Anthropozän«, wenn sie unsere gegenwärtige Epoche meinen: das Zeitalter des Menschen. Nun hat sich eine einflussreiche Expertengruppe dafür ausgesprochen, diesem Erdzeitalter auch offiziellen Status zu verleihen. Bis 2021 soll der Internationalen Kommission für Stratigrafie ein Entwurf zur finalen Entscheidung vorgelegt werden, berichtet das Wissenschaftsmagazin »Nature News«.

Die 34 Mitglieder umfassende »Arbeitsgruppe Anthropozän« ist von der Internationalen Stratigrafischen Kommission eingesetzt. Dass ihre Mitglieder mehrheitlich den offiziellen Status des Anthropozäns befürworten würden, hatte sich bereits bei einer Probeabstimmung im Jahr 2016 gezeigt. Beim bindenden Votum am 21. Mai 2019 stimmten nun 29 Teilnehmer dafür, vier dagegen. Ein Mitglied nahm nicht an der Abstimmung teil.

Mit der Anerkennung des neuen Abschnitts der Erdgeschichte soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Mensch zum dominierenden Faktor in der Umwelt geworden ist. Und selbst wenn die Menschheit in naher Zukunft verschwindet, werden die Spuren unserer Eingriffe selbst über geologische Zeiträume hinweg erhalten bleiben. Die Benennung folgt somit eher ethischen als forschungspraktischen Erwägungen.

Kritik an diesem Konzept entzündet sich primär an der Frage, was denn als Beginn der Epoche anzusetzen sei. Formal verlangt die Festlegung einer chronostratigrafischen Einheit nach einem eindeutig messbaren Referenzpunkt, genannt Global Stratotype Section and Point (GSSP). Die Fachleute beschreiben dazu, welche messbaren Eigenschaften die Schichten der neuen Einheit charakterisieren. Dies kann beispielsweise das Auftreten bestimmter Fossilien sein oder Veränderungen in der Isotopenzusammensetzung des Gesteins. Dann wählen sie ein möglichst repräsentatives Sedimentgestein aus, in dessen Schichtfolge sich der Übergang zwischen dem neu zu definierenden und dem vorhergehenden Abschnitt zeigt. Die Grenze zwischen beiden markiert dann per Definition den Beginn des neuen Zeitabschnitts. Weil diese Stelle mit einem Nagel oder einer ähnlichen Markierung kenntlich gemacht wird, wird der GSSP auch »Golden Spike« genannt.

Wo liegt nun der »Golden Spike« des Anthropozäns? In ihrer Abstimmung entschieden die Mitglieder, diese Grenze in Schichten zu suchen, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Als naheliegendes Signal gilt das plötzliche Auftreten radioaktiver Elemente, die durch die Atombombentests zwischen 1945 und 1963 weltweit verbreitet wurden. Insgesamt zehn mögliche Orte sind laut »Nature News« in der Diskussion, an denen sich die Schichtgrenzen dingfest machen lassen könnten. Neben einer Höhle in Norditalien zählen dazu ein Abschnitt des Great Barrier Reef sowie ein See in China.

Mit Hilfe der Radionuklide lässt sich der Beginn des Anthropozäns zwar eindeutig definieren. Allerdings ist fraglich, ob damit das Wesen des neuen Erdzeitalters getroffen wird. Kritiker wie Matt Edgeworth von der University of Leicester, der bei der Abstimmung mit Nein votierte, geben zu bedenken, dass die Menschheit schon lange vor den Atombombentests die belebte und unbelebte Natur veränderte. Dieser langsame Übergang schlage sich auch in den Erdschichten nieder. Die Atombombentests als Startsignal willkürlich herauszugreifen, mache es der Wissenschaft eher schwerer als leichter, den Einfluss des Menschen auf die Welt zu begreifen.

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