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Test der Relativitätstheorie: Neutrinos vs. Einstein

Halten sich die rätselhaftesten Teilchen im Universum an ein Grundprinzip der Relativitätstheorie? Das IceCube-Observatorium ist der Frage nun nachgegangen.
Teilchen und Felder

Eine Grundannahme von Albert Einsteins Relativitätstheorie scheint auch für Neutrinos zu gelten, berichten Wissenschaftler des IceCube-Observatoriums im Fachjournal »Nature Physics«. Gemäß dieser »Lorentz-Symmetrie« folgen alle gleichmäßig bewegten Objekte denselben Naturgesetzen, unabhängig davon, wie schnell und in welcher Richtung sie unterwegs sind.

Das Prinzip hat eine enorme Bedeutung in der modernen Physik. Es geht auf den niederländischen Mathematiker Hendrik Antoon Lorentz zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts machte es Albert Einstein dann zur Basis seiner speziellen Relativitätstheorie. Demnach hat Licht immer dieselbe Geschwindigkeit, egal ob sie ein Astronaut auf einer rasanten interstellaren Reise misst oder ein Wissenschaftler in einem Labor auf der Erde.

Auch andere Messungen sollten in unterschiedlich schnell bewegten »Bezugssystemen« dasselbe Ergebnis haben. Bis heute hat dieses Prinzip etliche Tests überstanden. Experten halten es jedoch für möglich, dass es auch Situationen gibt, in denen die Lorentz-Symmetrie außer Kraft gesetzt ist. So könnten bisher unbekannte Prozesse im Mikrokosmos bevorzugt in einer bestimmten Raumrichtung ablaufen und andere Naturmechanismen damit ein klein wenig aus dem Takt bringen.

IceCube South Pole Neutrino Observatory | Mitten im antarktischen Eis sucht der Detektor IceCube nach rätselhaften Teilchen aus dem All.

Das ist vor allem dann denkbar, wenn die Raumzeit, aus der das Universum besteht, auf der kleinsten aller Größenordnungen eine feine Struktur aufweist. Davon geht beispielsweise die Stringtheorie aus. Eine Folge davon könnten extrem schwache Energiefelder sein, welche die Raumzeit verformen und Prozesse in gewisse Raumrichtungen lenken würden. Hinweise auf eine Verletzung der Lorentz-Symmetrie wären also ein handfester Hinweis auf das Wesen der Quantengravitation – und höchstwahrscheinlich einen Nobelpreis wert.

Entsprechend beliebt ist die Suche nach Verstößen gegen Einsteins Leitgedanken. Die Fahndung im Reich der Neutrinos gilt dabei als aussichtsreich, schließlich waren die geisterhaften Teilchen in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach für Überraschungen gut. Beispielsweise gibt es die flüchtigen, fast masselosen Teilchen in drei verschiedenen Sorten. Auch wechseln Neutrinos im Flug immer wieder zwischen diesen drei Identitäten hin und her.

Myon-Neutrinos, die verschwinden

Diesen Umstand hat sich nun das Team des IceCube-Detektors zu Nutze gemacht und das Reich der Neutrinos nach einer Verletzung der Lorentz-Symmetrie abgesucht. IceCube besteht aus mehr als 5000 Fotosensoren, die in Bohrlöchern im Eis der Antarktis stecken und sich dort über einen Kubikkilometer erstrecken. Die Sensoren weisen Teilchen nach, die bei einem Zusammenstoß von Neutrinos und Atomkernen im Eis entstehen.

Für ihren Test der Lorentz-Symmetrie hielten die Forscher nach der Variante der Myon-Neutrinos Ausschau, die bei Kollisionen von Molekülen in der Erdatmosphäre mit Atomkernen aus dem Weltall entstanden sind. Im Falle einer Verletzung der Symmetrie könnten solche Neutrinos, sofern sie in einer bestimmten Himmelsrichtung unterwegs sind, besonders oft in Tau-Neutrinos umgewandelt werden, spekulieren die Forscher.

Tauchen in den Daten des Südpol-Observatoriums IceCube also aus manchen Himmelsrichtungen weniger Myon-Neutrinos auf als erwartet und wächst dieses Defizit außerdem mit der Teilchenenergie an, wäre das ein Hinweis auf eine Lorentz-Symmetrie-Verletzung. Allerdings zeigt die Analyse des zweijährigen Datensatzes mit mehr als 35 000 Neutrino-Ereignissen keinerlei Anzeichen dafür, berichten die Forscher in ihrer Veröffentlichung.

Sofern Neutrinos Albert Einsteins Theorie widersprechen sollten, ist der Effekt also noch subtiler, als Physiker bisher annahmen. In naher Zukunft wollen sie daher Datensätze mit energiereicheren Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls auf Spuren der Symmetrieverletzung hin absuchen. Ob sie dabei fündig werden? Wer weiß. Vielleicht hält sich die Natur aber auch in jeder denkbaren Situation an das Grundprinzip des mehr als 100 Jahre alten Regelwerks des großen Physikers.

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