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News: Nobelpreis für Chemie 1999

Der diesjährige Nobelpreis in Chemie geht an Ahmed H. Zewail 'für seine Studien des Übergangszustands chemischer Reaktionen mit Hilfe der Femtosekundenspektroskopie'. Mit Hilfe ultrakurzer Laserblitze hat er grundlegende chemische Reaktionen in extrem hoher Zeitauflösung beobachtet. Erst durch seine Untersuchungen ist es möglich geworden, wichtige Reaktionen zu verstehen und vorherzusagen.

So manches geht einfach zu schnell im Leben. Viele Abläufe lassen sich erst dann verstehen, wenn man sie aufzeichnen und anschließend in Ruhe und mit angenehmer Geschwindigkeit noch einmal betrachten kann. Ahmed H. Zewail hat mit der Femtosekundenspektroskopie eine Methode entwickelt, die solche Hochgeschwindigkeitsaufnahmen selbst für die mehr als blitzschnellen Vorgänge bei chemischen Reaktionen ermöglicht. Dabei wird das Geschehen mit kurzen Laserblitzen belichtet, die den jeweiligen Zustand der Substanzen abfragen. Zwischen den einzelnen Aufnahmen liegen nur einige Femtosekunden, also 10-15 Sekunden. Im Verhältnis zu einer Sekunde ist dies so wenig wie eine Sekunde im Vergleich zu 32 Millionen Jahren. Zewail hat gewissermaßen die schnellste Kamera der Welt erfunden.

Mal ganz fix und mal recht gemächlich, wie explodierendes Dynamit oder wie ein rostender Nagel – chemische Reaktionen scheinen mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten abzulaufen. Doch bei genauer Betrachtung auf Molekülebene verschwinden die Unterschiede. Die Frage lautet dann nicht mehr, wie schnell, sondern ob überhaupt zwei Partner miteinander reagieren. Stoßen die Moleküle zufällig aufeinander, geschieht für gewöhnlich gar nichts, sie prallen lediglich voneinander ab. Nur wenn sie beim Zusammenstoß über genug Energie verfügen, um bestehende chemische Bindungen aufzubrechen und neue auszubilden, kommt es zur Reaktion – und die läuft dann in jedem Fall ultraschnell ab. Die Ausgangsstoffe müssen also eine bestimmte Aktivierungshürde überwinden, damit überhaupt etwas passiert.

Die Höhe der Hürde hängt von der jeweiligen Reaktion und den Umgebungsbedingungen – besonders der Temperatur – ab. Diesen Zusammenhang drückte schon Svante Arrhenius (Nobelpreis 1903) in einer Formel aus, welche die Reaktionsgeschwindigkeit als Funktion der Aktivierungsenergie beschreibt. Doch seine Gleichung galt für eine große Menge von Teilchen und relativ lange Zeiträume. Erst in den dreißiger Jahren formulierten H. Eyring und M. Polanyi eine Theorie, die auf Reaktionen in mikroskopischen Systemen mit einzelnen Molekülen baute. Darin nahmen sie an, daß die Reaktionspartner ganz kurzfristig einen Übergangszustand einnehmen, der energetisch ungünstig ist und daher sehr schnell überwunden wird. Die Technik, um solche Aussagen experimentell zu überprüfen, lag jedoch in weiter Ferne.

Zewail beschäftigte sich intensiv mit dieser Frage. Gegen Ende der achtziger Jahre führte er eine Serie von Experimenten durch, welche die Geburt des neuen Forschungsgebiets der Femtochemie markieren. Im Prinzip war und ist der Ablauf dabei stets derselbe: In Form von Molekülstrahlen werden die Ausgangsstoffe in einer Vakuumkammer gemischt. Ein intensiver Laserpuls von passender Wellenlänge führt den Molekülen plötzlich genug Energie zu, daß sie reagieren können. Sie werden sozusagen in einem Augenblick in das Geschehen hineingestoßen. Von diesem Startschuß an durchlaufen viele Teilchen zugleich die einzelnen Phasen der Reaktion. Mit einem schwächeren Laser können die spektroskopischen Fingerabdrücke dieser Zwischenzustände festgehalten werden. Denn jede Veränderung der Moleküle bewirkt, daß sie Licht unterschiedlich gut absorbieren können. Mit den passenden Wellenlängen läßt sich darum nachprüfen, welcher Zustand zu welchem Zeitpunkt vorlag. Um die Spektren interpretieren zu können, werden sie mit theoretischen Simulationen verglichen, die auf quantenmechanischen Berechnungen basieren.

Das Ergebnis ist eine exakte Beschreibung aller Umgruppierungen, Schwingungen und sonstiger Veränderungen, die während der Reaktion ablaufen. In seinen frühen Versuchen entdeckte Zewail zunächst vor allem unbekannte Zwischenprodukte der Reaktionen. Doch jede Verbesserung der zeitlichen Auflösung führte dazu, daß er neue Glieder der Ereigniskette identifizieren konnte. Die technische Realisierung der Messungen verlangte größte Genauigkeit. Elektronische Schaltungen sind zu langsam, um den zweiten Laserblitz einige Femtosekunden (fs) nach dem ersten anzusteuern. Eine Lösung des Problems besteht drin, den zweiten Blitz mit Spiegeln einen kleinen Umweg nehmen zu lassen – einen sehr kleinen Umweg, denn das Licht legt in 100 fs gerade eine Strecke von 0,03 Millimetern zurück.

Zewails Leistung liegt darin, die zeitliche Auflösung so weit zu treiben, daß keine chemische Reaktion mehr schneller stattfinden kann.

Die ersten Versuche

In seinem ersten Versuch untersuchte Zewail den Zerfall von Jodcyanid (ICN). Es gelang seinem Team, den Übergangszustand genau in dem Augenblick zu beobachten, als die Verbindung zwischen dem Jod und dem Kohlenstoff zerbrach. Insgesamt dauerte die Reaktion 200 fs.

In einem anderen Experiment wandte Zewail sich der Spaltung von Natriumjodid (NaI) zu. Normalerweise liegen die Natrium- und Jodionen in einem Gleichgewichtsabstand von 0,28 nm vor. Der anregende Laser überführte sie jedoch in eine aktivierte Form, die den Partnern mehr Raum für Schwingungen der Atome ließ. Je nach Abstand variierte zugleich die Art der Bindung: Bei kurzer Distanz war sie kovalent, bei einer Entfernung von 1 bis 1,5 nm dagegen ionisch. Waren sie 0,69 nm voneinander entfernt, fielen sie mit großer Wahrscheinlichkeit in ihren Grundzustand zurück oder trennten sich dauerhaft voneinander.

Für die Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid, H+CO2 -> CO + OH, hat Zewail nachgewiesen, daß der Zwischenzustand HOCO mit 1000 fs recht langlebig ist.

Auf der Suche nach der Frage, ob in einem Molekül mit zwei gleichartigen Bindungen die beiden zugleich oder nacheinander aufbrechen, hat er den Zerfall von Tetrafluordijodethan (C2I2F4) zu Tetrafluorethylen (C2F4) und zwei Jodatome beobachtet.

Er stellte fest, daß die beiden C-I-Bindungen eine nach der anderen gelöst werden, obwohl sie im Ausgangsmolekül gleichwertig waren.

Forschung ist vor allem dann interessant, wenn die Resultate unerwartet sind. Zewail untersuchte die, wie man meinen kann, einfache Reaktion zwischen Benzol, einem Ring mit sechs Kohlenatomen (C6H6), und Jod (I2), einem Molekül, das aus zwei Jodatomen besteht. Wenn die beiden Moleküle einander nahe genug kommen, bilden sie einen Komplex. Durch den Laserblitz wird erreicht, daß ein Elektron vom Benzol in das Jodmolekül übertragen wird, das dadurch negativ, das Benzol dagegen positiv geladen wird. Die negativen und positiven Ladungen haben zur Folge, daß Benzol und das nächste Jodatom sich gegenseitig schnell anziehen. Die Bindung zwischen den beiden Jodatomen dehnt sich aus, wenn eins der beiden vom Benzol angezogen wird. Das eine Atom löst sich dann und fliegt weg. All das geschieht binnen 750 fs. Zewail entdeckte indes, daß das dies nicht die einzige Art und Weise ist, wie einzelne Jodatome gebildet werden können: Manchmal fällt das Elektron auf das Benzol zurück. Aber in dem Augenblick ist es für die Jodatome bereits zu spät: wie ein ausgedehntes Gummiband, das zerreißt, zerbricht die Bindung zwischen den beiden Atomen, und sie fliegen beide in verschiedene Richtung.

Weitere Versuche

Eine häufig untersuchte Modellreaktion im Bereich der organischen Chemie ist die Ringöffnung des Cyclobutans, um Ethylen zu erhalten, oder die Umkehrung: zwei Ethylenmoleküle, die sich zu Cyclobutan vereinigen. Man kann sich denken, daß die Reaktion direkt über einen Übergangszustand mit einer einfachen Aktivierungsgrenze abläuft. Alternativ könnte dies auch durch ein Zweischrittsystem in der Weise geschehen, indem zuerst eine Bindung zerbrochen und Tetramethylen als Zwischenprodukt gebildet wird. Tetramethylen wird seinerseits nach der Überwindung einer weiteren Aktivierungsgrenze in das endgültige Produkt verwandelt.

Zewail und seine Mitarbeiter konnten mit Hilfe der Femtosekundenspektroskopie nachweisen, daß sich das Zwischenprodukt in der Tat bildete und daß es eine Lebensdauer von 700 fs hatte.

Eine andere Art der Reaktion, die mit Hilfe der Femtosekundentechnik untersucht werden kann, ist die durch Licht verursachte Umwandlung eines Moleküls von einer Struktur zu einer anderen, die sogenante Photoisomerisierung. Die Umwandlung von Stilben, das unter anderem aus zwei Benzolringen besteht, zwischen den Formen cis und trans wurde von Zewail und seinen Mitarbeitern beobachtet.

Sie zogen die Schlußfolgerung, daß sich die beiden Benzolringe während des Prozesses zueinander synchron drehen. In jüngster Zeit hat man ein ähnliches Verhalten auch bei dem Molekül Retinal beobachtet, dem Farbstoff in Rhodopsin, dem Pigment in den Stäbchen auf der Netzhaut. Der grundlegende photochemische Schritt für unsere Wahrnehmung des Lichts ist die cis-trans-Isomerie um eine Doppelbindung im Retinal. Mit Hilfe der Femtosekundenspektroskopie haben andere Forscher entdeckt, daß der Prozeß in 200 fs abläuft und daß eine gewisse Schwingung beim Reaktionsprozeß bestehenbleibt. Die Geschwindigkeit der Reaktion deutet darauf hin, daß die Energie des absorbierten Photons zuerst nicht umverteilt wird, sondern direkt zur aktuellen Doppelbindung lokalisiert wird. Dies würde den hohen Wirkungsgrad (70 Prozent) der Umwandlung und damit die gute Nachtsehfähigkeit des Auges erklären.

Studien im Femtosekundenbereich werden rundum in der Welt betrieben, nicht nur an Molekülstrahlen, sondern auch an Prozessen auf Oberflächen, so zum Beispiel um Katalysatoren zu verstehen und zu verbessern, in Flüssigkeiten und Lösungsmitteln, um hier die Mechanismen der Lösung von Stoffen und chemische Reaktionen zwischen ihnen in einer Lösung zu verstehen, sowie bei Polymeren, um zum Beispiel neues Elektronikmaterial zu entwickeln. Kenntnisse der chemischen Reaktionsmechanismen sind ebenfalls wichtig, um Reaktionen zu steuern. Oft folgt auf eine gewünschte chemische Reaktion eine Reihe unvorhergesehener, konkurrierender Reaktionen, die zu einer Mischung von Produkten führt und damit zu einem Bedarf an Trennung und Reinigung. Wenn man dagegen die Reaktion dadurch kontrollieren kann, daß man Reaktivität in ausgewählten Verbindungen in Gang bringen kann, könnte man auch dies vermeiden.

Kurzbiographie

Ahmed H. Zewail wurde 1946 in Ägypten geboren. Er studierte an der Universität von Alexandria, wo er seinen Master of Science erwarb. Danach wechselte er an die University of Pennsylvania, an welcher er 1974 promovierte. Nach zwei Jahren an der University of California in Berkeley erhielt er eine Anstellung am California Institute of Technology, wo er seit 1990 die Linus-Pauling-Professur für Physikalische Chemie innehat. Zewail ist ägyptischer und US-amerikanischer Staatsbürger.

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