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Sprachenvielfalt: Nord-Süd-Ausdehnung macht Länder polyglott

Europa und Nordafrika

Schaut man sich die weltweite Verteilung der Sprachen an, fallen sofort einige Ungleichverteilungen ins Auge: Während in Indien etwa deutlich über 100 Sprachen gesprochen werden, sind auf einem gleich großen Gebiet weiter nördlich in Sibirien gerade einmal eine Hand voll in Gebrauch. Das gleiche Muster wieder holt sich in anderen Teilen der Welt. Je näher ein Gebiet dem Äquator liegt, desto höher ist im Allgemeinen die dortige Sprachenvielfalt.

Warum das so ist, haben Forscher noch nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich spielen naturräumliche Begebenheiten eine Rolle, bessere Lebensbedingungen in äquatornahen Gebieten beispielsweise. Sie könnten das Bevölkerungswachstum ankurbeln, was sich dann wiederum auf Größe und Kultur der ortsansässigen Bevölkerungsgruppen auswirkt.

Hier dürften allerdings auch andere Faktoren hineinspielen, die nur zufällig mit dem Breitengrad korrelieren, etwa die koloniale Vergangenheit südlicher Länder. Wissenschaftler der Stanford University sind daher nun einem ähnlichen Verteilungsmuster auf der Spur, das möglicherweise genaueren Aufschluss über die Entstehung der heutigen Sprachenvielfalt gibt: das Verhältnis der Ost-West-Ausdehnung eines Landes zu seiner Nord-Süd-Ausdehnung.

Damit folgen Amanda Robinson und Team einer Intuition des amerikanischen Evolutionsbiologen und Völkerkundlers Jared Diamond. In seinem 1997 erschienenen Buch "Arm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften" vertrat er die Auffassung, dass Völker vorwiegend entlang der Breitengrade expandieren. Kontinente mit starker Nord-Süd-Ausdehnung wie etwa Amerika würden deshalb eine höhere kulturelle Diversität aufweisen, während Eurasien mit seiner starken Ost-West-Achse eher zum kulturellen Einheitsbrei neigt – einer Vielzahl (früh-)geschichtlicher Wanderbewegungen sei Dank.

Mit lediglich drei Kontinenten – Afrika, Amerika und Eurasien – als Datenbasis lasse sich Diamonds Hypothese jedoch nur schwer statistisch überprüfen, meinen Robinson und Kollegen, weshalb sie nun eine entsprechende Untersuchung auf Ebene der Nationalstaaten vornahmen. Sollte die Hypothese stichhaltig sein, dürfte sie sich auch in kleinerem Maßstab zeigen, so ihre Überlegung.

Sie errechneten dafür zum einen das Verhältnis der Ost-West- zur Nord-Süd-Ausdehnung von 147 Ländern. Zum anderen ermittelten sie, wie viele der früher dort gesprochenen Sprachen bis heute überlebt haben. Eine hohe Überlebensrate der jeweiligen Landessprachen spräche in ihrem System für eine hohe sprachliche und kulturelle Diversität und gegen die Ausbreitung kulturell dominierender Hegemonien in der Vergangenheit des betreffenden Landes.

Tatsächlich zeigte sich der vermutete Zusammenhang – wenn auch nur schwach – in den Daten, wobei er von anderen, schon länger bekannten Einflussfaktoren, wie der erwähnten Breitengradabhängigkeit der Sprachenvielfalt, überlagert war. Der Effekt blieb selbst dann erhalten, wenn die Forscher künstliche Staatengebilde schufen, indem sie jeweils zwei benachbarte Länder zusammenlegten und so der historischen Zufälligkeit von Ländergrenzen entgegenwirkten.

Der Grund für die bevorzugte Ost- beziehungsweise Westexpansion früherer Völker dürfte ebenfalls in den geografischen Bedingungen zu suchen sein: Diese ähneln sich in den meisten Fällen entlang eines Breitengrads, so dass etablierte Techniken etwa des Ackerbaus leichter ins neue Siedlungsgebiet übertragen werden könnten, so die Autoren. Wer mit seiner Volksgruppe hingegen nordwärts wandert, müsse größere Anpassungsleistungen erbringen.

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