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Sinne: Notenbank

Liegt einem der Vater ständig in den Ohren, scheint es wenig verwunderlich, wenn er bleibenden Eindruck hinterlässt. Doch Vermutung ist nicht gleich Tatsache, mag sie auch noch so einleuchtend klingen. Erst strikter Gesangsunterricht und ein tiefer Blick ins Zebrafinkenhirn schafften Klarheit.
Ob Zweijährige manchmal verzweifeln möchten? Da strengen sich die Knirpse an wie nichts, um voller Begeisterung der Welt um sie herum ihre neuesten Entdeckungen mitzuteilen – doch nur wenige verstehen ihr besonderes Kauderwelsch. "Eiaba!", tönt es da. "Wie bitte?", fragt die überforderte Tante. Verzweifelter Blick von klein zu groß, tiefer Seufzer – Erwachsene sind sowas von begriffsstutzig. "Eiaba!!", mit mehr Nachdruck. Hm. Ratloses gegenseitiges Mustern. Die Mutter, lächelnd, übersetzt: "Eisenbahn". Aha. Zum Glück untermalt der Sprössling die folgende Aufforderung "Buh leh!" mit dem Objekt seiner Begierde: Ein Bilderbuch mit Zug und Co – damit Tante auch kapiert. Funktioniert doch.

Sprechen lernen heißt für Kinder vor allem nachahmen: Sie nehmen die Laute ihrer Mitmenschen auf und versuchen, Ähnliches hervorzubringen. Und da aller Anfang schwer ist und nur Übung den Meister macht, dauert es eben eine Weile, bis aus den ersten Ahs und Ohs eine Eisenbahn mit Schaffner und Kelle wird. Ein ganz ähnlicher Lernprozess steht auch Singvögelküken bevor, die sich das elterliche Zwitschern und Schmettern als Vorlage für eigene spätere Sangeskünste nehmen. Sie sind damit ein optimales Modell, die Feinabstimmung von kindlicher Sprachwahrnehmung und der Umsetzung in eigene Worte zu erforschen.

Ganz in diesem Sinne sollen die Zebrafinken im Labor von David Vicario an der Rutgers-Universität auch nicht für entspannendes Hintergrundzwitschern sorgen. Die Wissenschaftler dort wollen vielmehr wissen, wo die Jungvögel wie vermutet den elterlichen prägenden Eindruck als Langzeiterinnerung ablegen und wie sie durch den ständigen Vergleich der eigenen Töne mit der abgespeicherten Vorlage ihren Gesang vervollkommnen. Und was eigentlich mit der Erinnerung geschieht, wenn die frisch erwachsenen Finken ihre eigene Melodie gefunden haben. Denn die Imitationen sind zwar gut, aber nie perfekt – jeder hat letztendlich ein ganz individuelles Lied.

Die Phase, in der die kleinen Zebrafinken erst einmal nur zuhören und vertraute Laute womöglich speichern, liegt irgendwann zwischen dem 25. und 60. Tag nach dem Schlüpfen, in der Zeit zwischen dem 35. und dem 90. Lebenstag versuchen die Jungvögel erste eigene Zwitscherexperimente. Also zogen die Forscher ihre Tiere ab dem zehnten Tag ganz ohne Vater auf, damit deren Gesang die Kleinen nicht beeinflusste. Drei bis vier Wochen nach dem Schlüpfen setzten Vicario und seine Kollegen die Jungfinken dann in Einzelkäfige, die nur von einer Plastikattrappe bewohnt wurde und einem Hebel, der auf Schnabeldruck manche mit einer Lehrmelodie beschallte, bei anderen aber funktionslos blieb. Nach etwa drei Monaten wurde die Übungsphase beendet, und die Vögel fristeten ein stilles Dasein in Isolation, um etwaige Kurzzeiterinnerungen wieder gründlichst zu vergessen – in früheren Experimenten dauerte das höchstens vier Tage.

Darum wurde es spannend: Würden sich die Tiere auch nach dreißig Tagen noch an ihre Lehrstücke erinnern? Und ob, stellten die Wissenschaftler fest – bestens sogar. Wie sie anhand der Hirnaktivität feststellten, erkannten die ausgewachsenen Zebrafinken trotz der langen Pause mühelos die prägenden Melodien ihrer Kindheit. Je besser sie darin waren – das Feuern der beobachteten Neuronen sank bei ihnen schneller als bei Artgenossen mit schlechterem Gedächtnis, ein typischer Effekt beim Wiedererkennen vertrauter Laute –, desto besser war auch ihre Imitationsleistung: Ihre Lieder ähnelten der Vorlage also stärker als die der vergesslicheren Gesangskollegen. Tiere, denen die Forscher operativ die Stimme verschlagen hatten, schnitten dagegen beim Wiedererkennen schlechter ab – ein Hinweis darauf, dass wohl auch die eigenen Übungsstunden mit den ständigen Wiederholungsversuchen die Sequenzen regelrecht einzubrennen scheinen. Fehlt der Höreindruck des eigenen Gesangs, wird damit offenbar auch die Erinnerung nicht so gründlich gespeichert.

Aber erkennen die Vögel in der vorgespielten Passage nun die prägende Vorlage oder ihre eigene Melodie, die dieser ja nun sehr ähnlich ist? Eindeutig Ersteres, stellten die Forscher fest: Obwohl ein Vogel nichts häufiger hört als den eigenen Gesang, reagiert er auf dessen Wiedergabe kein bisschen gelangweilt – die Neuronen feuern, als hätten sie das Stück noch nie zuvor vernommen. Derselbe Effekt zeigte sich bei den Artgenossen ohne assistierten Gesangsunterricht: Auch für sie war die Tutorenmelodie, die ihre Nachbarn geschult hatte, völlig neu. Es gibt also keine fest verdrahtete Grundmelodie bei den Zebrafinken.

Verblüffend ist dazu noch der Ort des Geschehens: Die Wissenschaftler hatten die Hirnaktivität nicht in den üblichen Regionen untersucht, die sonst mit dem Gesangsstudium von Singvögeln assoziiert werden, sondern die Elektroden im caudalen medialen Nidopallium (NCM) – früher Neostriatum – eingesetzt. Dieses Areal im Vorderhirn der Vögel spielt eine entscheidende Rolle, wenn die Tiere zwischen den komplexen Lauten verschiedener Artgenossen unterscheiden und sich die Eindrücke merken. Ein durchaus geeigneter Platz also für die Langzeitspeicherung der eigenen Gesangsvorlage. Unterstützung dafür kommt von anderen Studien: Gerade im NCM zeigt sich schon bei sehr jungen Vögel rege Genaktivität, sobald die Kleinen von außen beschallt werden – lange bevor sie eigene Zungenschläge wagen.

Und was heißt das nun für die Tante? Nichts Neues, eigentlich: Beim gemeinsamen Schmökern im Bilderbuch kommt es darauf an, dass sie die Worte deutlich, aber trotzdem ganz normal ausspricht. Hilfreich dürfte auch sein, wenn sie Knirpsens Ausspracheversuche berichtigend wiederholt. Und auch sonst ein möglichst gutes sprachliches Vorbild liefert. Aber das versteht sich schließlich eh von selbst.

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