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Durham: Opfer aus Cromwells Massengrab

Sie überlebten den Todesmarsch, nicht aber die katastrophalen Haftbedingungen: In Durham wurden jetzt Opfer einer Tragödie aus dem englischen Bürgerkrieg identifiziert.
Durham

2013 entdeckten Archäologen der Durham University unweit ihrer Kathedrale ein Massengrab. Nun sind sie sicher, die Herkunft der Bestatteten geklärt zu haben: Es handelt sich offenbar tatsächlich um schottische Soldaten, die 1650 in der Schlacht von Dunbar dem Engländer Oliver Cromwell und seiner Parlamentsarmee unterlagen. Dafür haben die Forscher jetzt umfangreiche Belege zusammengetragen. Zum ersten Mal sind damit menschliche Zeugnisse einer grausamen Episode aus dem englischen Bürgerkrieg greifbar geworden, berichten die Wissenschaftler des "Scottish Soldiers Project".

Nach Überzeugung des Teams stammen die sterblichen Überreste aus einer Schar von rund 3000 Gefangenen, die von Cromwell nach der siegreichen Schlacht im schottischen Dunbar nach Durham gebracht wurden, wo sie in der entweihten Kathedrale eingepfercht worden waren.

Die Hintergründe des Vorfalls sind aus der geschichtlichen Überlieferung bekannt: Der kurzen, aber heftigen Schlacht zwischen den königstreuen Schotten und der Parlamentsarmee fielen rund 3000 bis 5000 Kämpfer zum Opfer. Rund 6000 schottische Soldaten wurden gefangen genommen, von denen etwa 1000 wegen ihrer Verletzungen wieder frei gelassen wurden. Die verbliebenen wurden anschließend zu einem fast 170 Kilometer langen Marsch entlang der schottisch-englischen Ostküste nach Durham gezwungen. In der dortigen Kathedrale sollten sie inhaftiert werden. Schätzungen zufolge überlebten mehr als 1000 Gefangene diesen Marsch nicht.

Die Mangelernährung und schlechten hygienischen Bedingungen unter den 3000 in Durham eingekerkerten Soldaten kosteten anschließend wohl weitere 1700 Menschen das Leben. Die etwa 17 Individuen, die 2013 bei Bauarbeiten zum Vorschein kamen, stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Reihen dieser Unglücklichen, sind die Forscher überzeugt. Die Leichen wurden damals im Abstand von Tagen in zwei Gruben verscharrt. Dadurch sind die Knochen so durchmischt, dass die Wissenschaftler nicht sicher sein können, ob die sterblichen Überreste nicht sogar von noch mehr Menschen stammen – möglicherweise handelt es sich um bis zu 28 Individuen. In jedem Fall dürften unter den umliegenden Gebäuden noch deutlich mehr Skelette begraben sein.

Um sicherzugehen, dass sie tatsächlich einst inhaftierte schottische Soldaten gefunden haben, unterzogen die Teammitglieder die Knochen zahlreichen Analysen. Die Bestattungsbedingungen deuteten bereits darauf hin, dass es sich nicht um eine normale Grablege handelte; dagegen sprach auch die Tatsache, dass die Skelette ausschließlich von jungen Männern stammten. Einige von ihnen ließen Spuren von regelmäßigem Pfeifentabakkonsum erkennen, folglich müssen die Toten aus einer Zeit nach 1620 stammen. Erst ab jenem Jahr etablierte sich das Pfeiferauchen auf der Insel. Radiokarbondatierungen und weitere Indizien führten nun zur festen Überzeugung, dass die Skelette nur aus der fraglichen Zeit stammen können. "Wir wussten, diese Menschen müssen hier irgendwo sein. Aber wo, konnte bisher niemand sagen. Nun haben wir zumindest für einige von ihnen Gewissheit", erklärt der Archäologe Richard Annis.

Von zahlreichen der schottischen Gefangenen ist überliefert, dass sie in die englischen Kolonien in der Neuen Welt verfrachtet wurden, wo sie jahrelang als "Indentur-Arbeiter" unbezahlt Dienst taten – so lange, bis sie ihrem Arbeitgeber die Kosten für die Überfahrt abbezahlt hatten. Danach konnten sie in Amerika als freie Menschen ihr Glück suchen.

Wie mit den sterblichen Überresten der exhumierten Schotten weiter verfahren werden soll, ist noch offen. Sie könnten erneut bestattet werden – dann aber wohl abseits der Kathedrale, ihres ehemaligen Gefängnisses.

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