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Mutige Wissenschaft: Keine Scheu vor fernen Ländern, fremden Fächern und eigener Bastelei

Erik Schäffer verlässt sich gern auf sich selbst, egal ob er alleine reist oder seine Mikroskope selbst baut. Der Physiker, der jetzt an Pflanzen forscht, hat in seiner Karriere weder Fachwechsel gescheut noch wissenschaftliche Umwege. Jetzt bekommt er einen "Preis für mutige Wissenschaft".
Preisträger Erik Schäffer

Als Erik Schäffer 30 war, hatte er zwischen Promotion und Postdocstelle drei Monate Zeit. Die nutzte er, um allein mit dem Rucksack durch Papua-Neuguinea zu reisen. Schäffer wusste, dass er in dem Urwaldparadies am anderen Ende der Welt kaum touristische Infrastruktur erwarten konnte. Also vertraute er auf die Eingeborenen und ihr Wantok-System: Es sorgt in dem vielsprachigen Land dafür, dass man beim Reisen immer irgendwo einen Verwandten findet, der die gleiche Sprache spricht wie man selbst. Ist man von ganz weit her wie der abenteuerlustige Deutsche, vermittelt einen jeder weiter – egal, wohin man als Nächstes reisen will.

So kam Erik herum und fühlte sich manchmal "wie in einem Dokumentarfilm von National Geographic". Einmal wurde er ausgeraubt – "Geld oder Leben" – und hatte hinterher nur noch seine Hose am Leib. Ein anderes Mal wurde er zu einer Hochzeit eingeladen. Die Einheimischen trugen ihre traditionellen Trachten – mit wenig Textil, viel Schmuck und viel Körperbemalung. Erik fand es wunderschön. Allerdings fing er sich auf seiner Tour auch Malaria ein, die ihn bei seiner Heimkehr erst einmal aufs Krankenlager warf.

"Da hatte ich reichlich Zeit, mich in die Biologie einzulesen", sagt Erik Schäffer, heute 45 und Professor für Nanowissenschaften in Tübingen. "Molecular Biology of the Cell" (Molekularbiologie der Zelle) heißt das Lehrbuch, zu dem er griff. Es hat 1268 Seiten plus Anhang und leistet ihm heute noch gute Dienste.

Und es ist der Anlass, warum er überhaupt auf die Neuguinea-Reise zu sprechen kommt. Denn sein damaliger Fachwechsel – von einem erfolgreichen Doktoranden der Polymerphysik zu einem neugierigen, aber doch noch recht ahnungslosen Postdoc der Zellbiologie – war eine mindestens ebenso große Mutprobe wie die Rucksackreise.

"So ein Physiker, der kann das ausrechnen!"Klaus Harter

Erik Schäffer ist ein Wissenschaftler, der beruflichen Mutproben nicht aus dem Weg geht, sondern sie mit Überlegung, Geduld und Hartnäckigkeit besteht. Weil das auch seine Kollegen zu schätzen wissen und ihn vorgeschlagen haben, bekommt er Anfang Dezember 2016 den neu geschaffenen "Preis für mutige Wissenschaft" des Landes Baden-Württemberg. Er teilt sich die Auszeichnung, welche "Spektrum der Wissenschaft" als Medienpartner unterstützt, mit dem Baubotaniker Ferdinand Ludwig.

Ausgedacht hat sich den Preis Theresia Bauer, die amtierende Wissenschaftsministerin des Landes. Davor hatte sie sich intensiv mit der Vita von Stefan Hell auseinandergesetzt, dem Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2014. Auch der Erfinder superauflösender Fluoreszenzmikroskopie-Verfahren ist nämlich nicht auf geradem Weg zu seinen Erkenntnissen gelangt, sondern auf vielen Umwegen. "Wissenschaft lebt davon, dass Forscherinnen und Forscher den Mut haben, neue Wege zu gehen – auch auf die Gefahr hin, sich ein wenig zu verlaufen", sagt Hell, den Bauer als Jurymitglied gewinnen konnte. Erik Schäffer folgt in zweierlei Hinsicht Hells Vorbild: Erstens hat er keine Angst, sich zu verlaufen, wie schon sein Neuguinea-Trip beweist. Zum Zweiten hat er ebenfalls ein Faible für hochauflösende Mikroskope.

Im Keller des Zentrums für die Molekularbiologie der Pflanzen auf der Tübinger Morgenstelle kann man sie bewundern: Fantastische Konstruktionen, in denen Laserlicht um viele Ecken geleitet, gespiegelt und in unterschiedliche Farben aufgespalten wird. So raffiniert werden diese Laser eingesetzt, dass man mit ihnen Biomoleküle, etwa bewegliche Proteine (Motorproteine) der Zelle, nicht nur sichtbar machen, sondern auch einklemmen und festhalten kann – mit "optischen Pinzetten". Erik Schäffer und seine Mitarbeiter können damit winzigste Kräfte mit Einheiten wie Nano-, Pico- und Femtonewton messen. Ein Nanonewton ist der milliardste Teil eines Newtons (also der Gewichtskraft einer Tafel Schokolade), Pico- und Femto- sind jeweils nochmals um einen Faktor 1000 kleiner.

Erik Schäffer | Prof. Dr. Erik Schäffer, Träger des Preises für "Mutige Wissenschaften" des Landes Baden-Württemberg.

Erik Schäffers erste Großtat nach dem Wechsel in die Biologie war die Entwicklung einer optischen Pinzette zur Erforschung der Mechanik von Motorproteinen. Er nahm dieses Projekt in Dresden in Angriff – unter der Anleitung von Joe Howard. Der hatte zuvor in San Francisco und Seattle geforscht – und den jungen Physiker Schäffer in einem Vortrag für die biologischen Nanomaschinen begeistert, die beispielsweise bei der Zellteilung eine wichtige Rolle spielen. Howard hat Schäffer sozusagen in die Biologie gelockt.

"Ich kannte die amerikanische Ostküste ja schon von meinem Physikstudium, weil ich in Amherst in Massachusetts meinen Masterabschluss gemacht habe", erzählt Erik Schäffer. "Nun freute ich mich darauf, eine gewisse Zeit an der Westküste zu verbringen." Aber als er anlässlich eines Kongresses in Seattle an Howards Tür klopfen wollte, dem er bereits seine Bewerbungsunterlagen geschickt hatte, hing dort nur ein Zettel: "Habe einen Ruf ans Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden angenommen." Also wurde es Sachsen statt Seattle für Erik Schäffer.

Er hat den Umweg nicht bereut. Denn nachdem er mit der selbst optimierten optischen Pinzette erstmals die Kraft gemessen hatte, die ein Minimotor aus Kinesin aufbringt, wenn er etwa ein Flüssigkeitströpfchen entlang einer Schiene, einem Mikrotubulus, in der Zelle transportiert (bis zu acht Piconewton), nahm er die zweite Großtat in Angriff: Der Physiker klärte auf, welche Rolle die Reibung bei solchen Transportprozessen spielt.

"Man muss sich das Kinesin wie einen Läufer vorstellen, der mit zwei Beinchen von Schwelle zu Schwelle auf dem Mikrotubulus entlangläuft", erklärt Erik Schäffer gerne. Jeder Schritt ist gerade mal acht Nanometer lang. Der Flüssigkeitstropfen, der transportiert wird, ist vergleichsweise riesig; es sieht wie bei manchen Ameisen aus, die ein Vielfaches ihres Eigengewichts transportieren können. Im Experiment ersetzen die Nanoforscher den Tropfen durch eine kleine Glasperle, die sie mit der optischen Pinzette gut festhalten können. Danach können sie den Kinesinmotor über die Schiene ziehen, genauer: die Schiene unter dem Motor entlang.

Dabei entsteht tatsächlich Reibung: bei passiver Bewegung (Diffusion) weniger, nämlich genau so viel, wie Einstein in einer berühmten Gleichung vorhergesagt hat, bei aktivem "Schreiten" mehr. "Ungefähr die Hälfte der Energie, die Kinesin aus dem Treibstoff ATP der Zelle gewinnt, geht als Reibung zwischen Motor und Untergrund verloren", so fasste es 2009 Joe Howard zusammen, nachdem er zusammen mit Schäffer und zwei weiteren Autoren die Ergebnisse in "Science" publiziert hatte. "Das ist alles in allem effizienter als bei den meisten großen Maschinen", findet Erik Schäffer.

In seiner Postdoczeit etablierte sich Erik Schäffer als Wissenschaftler. Außerdem reiste er mit seiner Freundin und künftigen Frau durch Kirgisien. Indien, Südamerika und Neuseeland kannte er schon. Ein Emmy-Noether-Stipendium ermöglichte ihm von 2007 bis 2011 die Leitung einer eigenen Arbeitsgruppe am Biotechnologischen Zentrum der Universität Dresden. Mit einem ERC-Stipendium der Europäischen Union nahm er Verbesserungen an optischen Pinzetten vor, bei denen er Erfahrungen aus seiner physikalischen Doktorarbeit über Entspiegelungsschichten nutzen konnte. Er heiratete, drei Söhne kamen in Dresden zur Welt. Dann bewarb er sich auf eine Professur in Tübingen. Warum Tübingen? "Es gibt nicht so viele Biophysikprofessuren in Deutschland", sagt Erik Schäffer schlicht.

Klaus Harter ist Professor für Pflanzenphysiologie am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen. Er ist begeistert, den erfindungsreichen Physiker seit 2012 als Kollegen zu haben. "Man kommt im Gespräch mit ihm auf Ideen, die man sonst niemals gehabt hätte." Zusammen wollen sie jetzt an lebendigen Pflanzenzellen deren Innendruck, den Turgor, messen. "Der Turgor ist wichtig bei vielen Wachstums- und Regulationsprozessen einer Pflanze", erklärt Harter. "Aber wir haben keine Ahnung, wie die Pflanze ihn selbst misst."

Um den natürlichen Sensor irgendwann zu finden, konstruieren Harter, Schäffer und ihre Helfer einen künstlichen: ein gentechnisch erzeugtes Protein, das wie eine Feder in der starren Zellwand einhakt, aber auch im Inneren der weichen Zelle verankert ist. Mit fluoreszierenden Farbstoffen, von denen einer den anderen anregen kann, soll es signalisieren, ob die Feder straff gespannt oder schlaff ist – ein Maß dafür, ob die Pflanzenzelle gerade schrumpft oder sich ausdehnt. Es klingt sehr kompliziert – und ist es auch. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat das Projekt jedenfalls abgelehnt. "Zu riskant, weil es keine Vorarbeiten gibt", sagt Harter verständnisvoll; er war auch schon Gutachter für die DFG. Nun soll das Preisgeld für den wissenschaftlichen Mut die Vorarbeiten finanzieren.

Auch andere riskante Projekte wurden begonnen: Die Kollegin Sabine Müller möchte beispielsweise wissen, wie sich die Platten zwischen zwei Pflanzenzellen bilden, wenn sie sich teilen. Schäffer arbeitet daran. "Ich finde es wirklich mutig, dass Erik nach dem Wechsel in die Biologie auch noch den Wechsel von den Tier- zu den Pflanzenzellen vollzogen hat", sagt Harter. "Wir Biologen wissen, dass man an Pflanzenzellen wegen ihrer Zellwand schwerer herankommt. Wir wissen oft gar nicht, ob das überhaupt geht, was wir uns vorgenommen haben. Aber so ein Physiker, der kann das ausrechnen!"

Der Physiker fährt mit dem Fahrrad ins Labor – jeden Tag elf Kilometer hin und zurück. Das Klettern und Mountainbiken hat er nicht ganz aufgegeben, obwohl Beruf und Familie ihn beanspruchen. Die Sommerbleiche ist auch im November noch nicht ganz aus seinen hellen Haaren verschwunden. "Im Umgang mit Doktoranden und Mitarbeitern nimmt er sich immer Zeit", lobt Anita Jannasch. Die Nanophysikerin folgt schon seit ihrer Diplomarbeit Schäffers Spuren. Er war auch ihr Betreuer bei der Doktorarbeit. Nur die Postdoczeit hat sie in einem anderen Labor absolviert, allzu viel Anhänglichkeit wird in wissenschaftlichen Karrieren nicht belohnt. Als sie hörte, dass in Tübingen bei Erik Schäffer eine permanente Wissenschaftlerstelle frei wird, hat sie sich gleich beworben. Seit 2015 sind sie wieder vereint – gut für Jannasch, denn sie findet: "Ich könnte mir keinen besseren Chef wünschen."

Als Frau vom Fach kann sie auch erklären, warum Erik Schäffer all seine Messapparaturen selbst baut und programmiert, auch wenn das auf den ersten Blick nach Bastelarbeit aussieht. "Da kommt bei ihm der Physiker durch", sagt sie. "Diese Haltung: Das können wir besser." Kommerziell erhältliche Geräte seien zwar gut, die Marke Eigenbau sei aber präziser. "Unsere Versuchsaufbauten gehören zu den genauesten weltweit." Auch wenn das viel Entwicklungs- und Wartungsarbeit koste und sich manche Doktorarbeit länger als vier Jahre hinzieht.

Ein Doktorand hat jedenfalls die Geduld verloren. Er will nicht in der Wissenschaft bleiben, sondern Lehrer werden, berichtet sein Doktorvater Schäffer. In einer hervorragenden Arbeit hatte er gezeigt, wie Hefezellen Doppelbrüche in ihrer DNA reparieren – aber was er herausfand, verstieß gegen die herrschenden Vorstellungen. Sechs Fachzeitschriften lehnten die Publikation ab, erst im August 2015 konnte sie in "PLOS Biology" erscheinen.

"Das können wir besser"Erik Schäffer

Wie geht Erik Schäffer selbst mit solchem Frust um? "Manchmal muss man sich wehren und verhandeln", sagt er. Das ist ihm selbst bei der Redaktion des Magazins "Science" einmal erfolgreich gelungen. Ansonsten helfe nur, die Enttäuschung wegzustecken und es anderswo zu probieren. "Gute Arbeiten setzen sich durch, auch wenn sie in einem weniger renommierten Journal erscheinen. Hauptsache, die Messdaten stimmen und die Statistik ist korrekt." Das bestätigt auch Anita Jannasch: "Erik kommt es nicht darauf an, in großen Journalen zu publizieren. Ihn interessiert zuallererst die wissenschaftliche Fragestellung."

Und davon gibt es reichlich bei den Pflanzenforschern in Tübingen. Klaus Harter freut sich jedenfalls sehr über den Preis des Kollegen. "Es ist toll, dass es jetzt eine Anerkennung für Leute gibt, die so mutig sind, in ihrer Karriere solche Sprünge zu machen wie Erik Schäffer."

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