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Angemerkt!: Organe als bedachtes Geschenk

Tanja Krämer
Im Jahr 2005 bekamen 2700 Menschen eine zweite Chance: Ihnen wurde eine neue Niere eingepflanzt. Eine Niere, die der Spender oder seine Angehörigen zuvor explizit zur Organspende freigegeben hatten. Über 8800 andere Patienten hatten weniger Glück: Sie standen auf der Warteliste, doch für sie konnten die Ärzte kein Spendernieren bekommen. Auch auf Herz- und Lungentransplantationen warteten doppelt so viele Menschen, als es Spender gab. Im vergangenen Jahr mussten sogar Organe aus anderen Ländern importiert werden. Der Bedarf an Leber, Nieren oder Herzen ist eindeutig größer als das Angebot – weil zu wenige Menschen sich als Organspender registrieren lassen.

Dabei ist der Zuspruch zu Organspende in der deutschen Bevölkerung eigentlich hoch. Etwa achtzig Prozent der Bürger geben in Befragungen an, sie seien prinzipiell dafür, dass bei Verstorbenen Organe entnommen werden, um damit das Leben anderer zu retten. Zwei Drittel sind selbst zur Organspende bereit. Aber nur ein Fünftel dieser Menschen besitzt einen Organspende-Ausweis. Und die Erfahrung zeigt, dass die Angehörigen, die im Zweifelsfalle zu Rate gezogen werden, eher verhalten auf die Frage reagieren, ob der Verstorbene einer Spende zugestimmt hätte. Wenn er sich selbst nicht darum gekümmert hat, ist die gängige Annahme, wird er es wohl nicht gewollt haben.

Spenderpotenziale werden verschenkt

Genau dies ist nach Meinung des Nationalen Ethikrates die Krux der deutschen Rechtssprechung: Das Transplantationsgesetz von 1997 sieht vor, dass nur solchen Verstorbenen ein Organ entnommen werden darf, die vorher explizit zugestimmt und dies auch dokumentiert haben. Doch in der Praxis ist der Nachweis meist nicht zur Hand, die Hinterbliebenen sind nicht informiert. Zahlreiche potenzielle Spender gehen den bedürftigen Kranken so verloren.

Das Problem ist seit Jahren bekannt. Geändert hat sich indes nichts. Zwar wurden in der Vergangenheit zahlreiche Vorschläge gemacht, wie man den Engpass beheben könnte. Es wurde über finanzielle Anreize diskutiert, oder darüber, ob nur solche Menschen von Organspenden profitieren sollten, die sich selbst als Spender registrieren ließen. Als Sanktionen für Unwillige wurden sowohl ein Ausschluss von Organtransplantationen als auch ein Herabstufen auf der Warteliste erörtert. Doch all diese Ideen waren mit starken ethischen Problemen belastet. Kritiker befürchteten einen "Ausverkauf des Körpers", andere warnten, der gleichberechtigte Zugang zu lebenswichtigen Behandlungen werde untergraben. Eine Alternative zur gängigen Praxis boten die Vorschläge daher nicht.

Der Nationale Ethikrat hat nun gewagt, über den deutschen Tellerrand hinaus zu blicken. Denn im internationalen Vergleich sind die Spenderzahlen der Deutschen auffallend abgeschlagen. Den Grund hierfür sehen Experten in einer leicht anderen Zustimmungspraxis in Ländern wie Spanien, Italien oder Finnland. Dort gilt man grundsätzlich als Organspender – es sei denn, man widerspricht. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied zur deutschen Rechtsprechung, wo beim Schweigen des Bürgers genau die entgegen gesetzte Vermutung gilt. Die Spenderzahlen bescheinigen der so genannten Widerspruchsregelung einen klaren Vorteil: Während in Deutschland im Schnitt 15 Spender je Eintausend Bürgern ausgemacht werden, sind es in Spanien beispielsweise 30.

Organspende als Chance zu helfen

Die Experten des Nationalen Ethikrats plädieren daher für ein ausgeklügeltes Stufenmodell: In einem geregelten Verfahren solle der Staat alle Bürger mit Informationen zur Organspende versorgen und sie dazu auffordern, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sie zu einer solchen Spende willens sind. Vielleicht, so hoffen die Ethiker, könnte das Thema so einem breiteren Publikum nahe gebracht werden. Denn Untersuchungen zeigen, dass die Bereitschaft zur Organspende mit dem Wissen über das Verfahren und die Chancen für die Empfänger steigt. Dennoch soll die Erklärung zur Bereitschaft oder eben der Ablehnung einer Organspende nicht zwingend sein. Wer sich nicht äußern will, kann schweigen. Doch dieses Schweigen solle dann eben als stillschweigende Zustimmung gelten – sofern die Angehörigen im Falle des Todes einer Organentnahme nicht widersprechen.

Mit diesem Schritt geht der Nationale Ethikrat eindeutig in die richtige Richtung. Denn wenn jemand seinen Körper nach seinem Tode dazu nutzt, anderer Menschen Leben zu verlängern, ist das ein Geschenk. Und Geschenke kann man nicht erzwingen. Die Menschen müssen diesen Schritt freiwillig tun. Dennoch ist es nur fair, sie einmal mit Nachdruck auf ihre Chance und auch ihre Verantwortung hinzuweisen, anderen Menschen mit einer Organspende zu helfen. Wenn man ein so wertvolles Gut wie das Leben nicht verschenken will, dann sollte dies zumindest wohl überlegt sein. Gründe, sich der Organspende zu verweigern, gibt es viele. Das Misstrauen vor dem Kriterium des Hirntodes etwa, das bei Organspenden zugrunde gelegt wird, aber auch religiöse Riten oder weltanschauliche Bedenken. Bequemlichkeit jedoch sollte keiner sein.

Der Staat in der Pflicht

Aber der Ethikrat hat sich in seiner Stellungnahme nicht nur der Bürger angenommen. Er prangert auch die gängige Praxis in Krankenhäusern an, wo viele mögliche Spender aus Kostengründen nicht ermittelt werden. Denn die Pauschalen etwa zur Feststellung des Hirntodes oder zur Messung der Organqualität werden momentan nicht in ausreichendem Maße finanziert. Gerade mittlere und kleine Krankenhäuser scheuen sich daher, am Austauschprogramm mit den Transplantationszentren teilzunehmen.

Im vergangenen Jahr waren dem Ethikrat zufolge daher nur 45 Prozent der Krankenhäuser mit Intensivstation an Organspenden beteiligt. Das ist ein Unding – und die Forderung des Nationalen Ethikrates an die Bundesregierung, hier für Abhilfe zu schaffen, mehr als gerechtfertigt. Denn man kann nicht einerseits den Bürgern eine Moralpredigt zum Wert des Lebens und ihrer Organspende halten, und dann bei der Organisation von deren Übermittlung an notwendigen Kosten sparen.

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