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Fuchsbandwurm: Perfekt getarnter Eindringling

Gegen den Fuchsbandwurm ist kein Kraut gewachsen. Nistet er sich in der Leber ein, kann man ihn nur am Weiterwachsen hindern. Seine DNA soll nun Schwachstellen enttarnen.
Füchse können den Fuchsbandwurm auf Menschen übertragen

Sie sind sehr klein – mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Doch wenn sie sich einmal eingenistet haben, sind sie quasi unsterblich. Sie bilden eine Finnengewebe genannte Struktur, die wächst und wächst und als Tumor vorzugsweise die menschliche Leber befällt. Man kann den Tumor chemisch bekämpfen, um das Wachstum in Schach zu halten. Doch zerstören kann man ihn nicht. Sobald man den Kampf einstellt, wuchert er weiter.

Was wie eine Szene aus einem Alien-Film klingt, beschreibt nur, was passieren kann, wenn die Eier des Fuchsbandwurms in den Menschen gelangen. Dabei ist der Mensch gar kein typischer End- oder Zwischenwirt des Parasiten – im Gegensatz zu infizierten Nagetieren oder vereinzelt auch Hunden. Anders ist es beim harmlosen Rinderbandwurm (von dem meistens die Rede ist, wenn es heißt, jemand habe "einen Bandwurm"). Während der Mensch einen Rinderbandwurm als Endwirt nämlich irgendwann komplett wieder ausscheidet, ohne dabei nennenswerte Schäden davonzutragen, wird er die infektiösen Eier beziehungsweise Larven des Fuchsbandwurms (Echinococcus multilocularis) nicht mehr los.

Die Folge ist eine alveoläre Echinokokkose. So lautet der Fachbegriff für die Fuchsbandwurmerkrankung. Betroffene Patienten mit inoperablen Tumoren in der Leber (seltener in anderen Organen) müssen in der Regel lebenslang Parasiten bekämpfende Wirkstoffe wie Albendazol und Mebendazol einnehmen. Ein Problem ist jedoch, dass knapp zehn Prozent von ihnen nach längerer Einnahme Unverträglichkeiten entwickeln und unter Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Durchfall und Bauchschmerzen leiden.

Meister im Verstecken

Forscher arbeiten darum an effektiveren und besser verträglichen Medikamenten. Einer von ihnen ist Klaus Brehm, Professor für Medizinische Parasitologie im Institut für Hygiene und Mikrobiologie an der Universität Würzburg. »Nur in 20 bis 30 Prozent der Fälle ist es möglich, die Tumoren chirurgisch zu entfernen und den Parasiten durch eine sich anschließende, zeitlich begrenzte Medikamenteneinnahme restlos zu entfernen. Dann nämlich, wenn die Erkrankung frühzeitig diagnostiziert wurde und die Tumoren noch klein sind«, erklärt Brehm. »Doch oft vergehen nach der Infektion 10 bis 15 Jahre, bis sich eindeutige Symptome zeigen – dann ist es für eine Operation meist zu spät.« Zu spät auch dafür, den genauen Infektionsweg zu rekonstruieren.

»Das Larvengewebe steckt wie ein perfekt transplantiertes Organ im Körper des Menschen«Klaus Brehm

Für Brehm und sein Team aus Postdocs, Doktoranden und Masterstudierenden ist der Parasit, der zur Familie der Plattwürmer gehört, eine harte Nuss. Die Grundlagenforscher wollen im Labor die Genfunktionen des Fuchs- und des verwandten Hundebandwurms knacken und anschließend so manipulieren, dass sich später aus diesen Erkenntnissen effektivere Medikamente oder Impfstoffe entwickeln lassen. Die sollen dann dem Parasiten schnell den Garaus machen. »Der Fuchsbandwurm hat eine unter den Lebewesen einzigartige Regenerationsfähigkeit. Und wir wollen herausfinden, wie er dabei mit seinem Wirt interagiert«, erläutert Brehm. Vor ein paar Jahren hat er mit seinem Team die Basis dafür gelegt: Sie haben das Erbgut verschiedener Bandwurmarten entziffert und eine Methode entwickelt, den Parasiten im Labor so heranzuzüchten, wie er auch in der Leber eines Patienten wächst.

Brehms Arbeit geht jedoch über Grundlagen für die Entwicklung besserer Therapiemöglichkeiten hinaus: Sie könnte ebenfalls große Fortschritte für die Transplantationsmedizin bedeuten. »Das Larvengewebe steckt nämlich wie ein perfekt transplantiertes Organ im Körper des Menschen, das Immunsystem kann ihm nichts anhaben«, erläutert der Mikrobiologe.

Zerfressene Leber | Befallene Nagetiere (wie diese Baumwollratte) entwickeln Zysten beziehungsweise Tumoren voller Larven in ihrer Leber. Die Krankheit schwächt sie, und sie werden schneller Futterbeute von Füchsen als ihre gesunden Artgenossen. Im Darm der Füchse entwickeln sich dann aus den Larven geschlechtsreife Würmer, die reife Glieder, gefüllt mit dutzenden Eiern, abstoßen. Diese scheidet der Fuchs, für den der Befall meistens harmlos verläuft, über den Kot wieder aus. Daraufhin infizieren sich erneut Zwischenwirte. Der Mensch ist für den Fuchsbandwurm ein Fehlwirt – da wir nicht zum üblichen Nahrungsspektrum der Füchse zählen, endet der Zyklus bei Befall von uns.

Diese für Laien gruselige und für Forscher faszinierende Eigenart lässt dem Mikrobiologen und seinen Kollegen keine Ruhe. Brehm: »Wie schaffen es die Würmer, sich so gut zu tarnen? Mit welchen Strategien halten sie sich das Immunsystem vom Leib?« Gelingt es, den Mechanismus der Tarnkappe zu durchschauen, könnte man diese Erkenntnis beispielsweise konstruktiv nutzen, um transplantierte Organe entsprechend zu verbergen und vor dem Angriff des Immunsystems zu schützen. Profitieren könnten theoretisch auch Allergiker und Patienten mit Autoimmunkrankheiten.

Es sind also mehrere Baustellen, auf denen die Würzburger Forscher die Genanalyse des Bandwurms vorantreiben wollen. Für seine Arbeit hat die Organisation Ärzte ohne Grenzen Brehm 2016 den Memento-Forschungspreis für vernachlässigte Krankheiten verliehen. Zudem ist seine Arbeitsgruppe Teil eines internationalen Forschungskonsortiums, das neue Strategien für die Bekämpfung von Bilharziose und Bandwürmern finden will. Der britische Wellcome Trust fördert das Gesamtvorhaben mit insgesamt fünf Millionen Euro. 750 000 Euro davon fließen in Brehms Teilprojekt nach Würzburg.

Der Fuchs geht um

Die für Menschen gefährlichere und bei Nichtbehandlung lebensbedrohliche Fuchsbandwurmkrankheit ist (noch) nicht sehr weit verbreitet – und spielt deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich eine »vernachlässigte« Rolle. Während der besser behandelbare Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) auf Grund schlechter hygienischer Verhältnisse hauptsächlich in Entwicklungsländern in Afrika und Südamerika jährlich weltweit bis zu 300 000 Menschen neu infiziert, ist der Fuchsbandwurm jedoch direkt vor unserer Haustür endemisch: In Deutschland und in anderen west- und mitteleuropäischen Ländern, vermehrt seit einiger Zeit auch in China und Japan. In Deutschland finden sich die meisten Patienten in Baden-Württemberg und Bayern. Wegen ihrer schwer wiegenden Folgen ist die Infektion mit dem Fuchsbandwurm mittlerweile sogar meldepflichtig.

Pro Jahr werden dem Robert Koch-Institut in Berlin und dem Uniklinikum Ulm, einem der Standorte des Europäischen Echinokokkose-Registers, zirka 40 neue Erkrankungsfälle gemeldet. Experten schätzen jedoch, dass tatsächlich mindestens dreimal so viele Menschen erkranken. Das Ansteckungsrisiko könnte gerade in Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten gewachsen sein, denn durch die Erfolge bei der Tollwutbekämpfung leben heute mehr Füchse in Deutschland als früher. Der Fuchsbandwurm wird nicht von Mensch zu Mensch, sondern ausschließlich durch direkten Kontakt mit ausgeschiedenen Wurmeiern im Fuchskot übertragen.

Spuren davon können sich am Fell herumstromernder Hunde und Katzen, auf Pflanzen oder auch in der Erde befinden. Hauptsächlich betroffen sind deshalb vor allem Personen, die in der Land- und Forstwirtschaft arbeiten. Die genauen Übertragungswege sind allerdings noch nicht im Detail erforscht. Fest steht jedoch: In dem Maß, wie der anpassungsfähige Wald- und Wiesenbewohner Fuchs sich in städtischen Parks wohlfühlt, rückt der gefährliche Parasit näher auch an Städter heran.

Zu den klassischen Symptomen einer Echinokokkose gehören unter anderem Schmerzen und ein starkes Druckgefühl im Oberbauch, Fieber, Müdigkeit und Gewichtsverlust. Die Tumoren sind dann meistens schon deutlich bei einer klärenden Ultraschalluntersuchung zu erkennen. »Hausärzte, die noch nie mit einer Echinokokkose konfrontiert worden sind, stellen möglicherweise trotzdem zunächst eine Fehldiagnose und überweisen ihre Patientin oder ihren Patienten an die Onkologie«, sagt Beate Grüner, Internistin mit Spezialgebiet Infektiologie im Uniklinikum Ulm. Sie betreut die dortige Echinokokkose-Ambulanz.

Nachweis über Antikörper

Diagnostiziert wird die Infektion durch eine Kombination von Ultraschalluntersuchung und speziellen Antikörpertests. Doch nicht immer können diese Antikörper gegen den Fuchsbandwurm zweifelsfrei nachgewiesen werden. Umgekehrt bedeutet ein positives Testergebnis nicht automatisch, dass es tatsächlich zu einer Erkrankung kommt. Zusätzliche Sicherheit bringt die feingewebliche Untersuchung von Operationspräparaten und Gewebeproben der Leber oder anderer Organe durch Pathologen. Außerdem lässt sich durch DNA-Untersuchungen in Gewebeproben die Erbinformation der Erreger nachweisen. Und: Eine immunhistochemische Methode, die der Ulmer Pathologe Thomas Barth entwickelt hat, ermöglicht die Unterscheidung von Fuchs- und Hundebandwurminfektion, was vor ein paar Jahren noch nicht treffsicher möglich war.

»Aber das gehört natürlich nicht zur Routinediagnostik in einer Hausarzt- oder Internistenpraxis«, sagt Beate Grüner. Sie schätzt, dass die Echinokokkose etwa bei der Hälfte der Fälle zufällig bei einem normalen Vorsorge-Check-up entdeckt wird. Es sei also vielfach Glückssache, in welchem Stadium die Echinokokkose entdeckt werde. Wie viele Mediziner wünscht sich Grüner bessere Therapiemöglichkeiten: »Wir haben heute noch die gleichen Therapeutika wie vor Jahrzehnten. Zwar können die Patienten, die die Mittel gut vertragen, damit sehr alt werden. Dennoch wären Medikamente wünschenswert, die nur zeitlich befristet gegeben werden müssten und den Organismus weniger belasten.« Ein weiteres Argument sind die beträchtlichen Kosten: Derzeit schlägt die Therapie eines Patienten mit rund 590 Euro im Monat zu Buche – also knapp 7200 Euro pro Jahr, sagt Grüner.

»In der Infektionsforschung liegen wir mit dem Wissen über Wurmparasiten weit zurück«, bestätigt auch der Fuchsbandwurmforscher Klaus Brehm. »Der wichtigste Grund ist sicherlich, dass das Erbgut der Erreger lange nicht entschlüsselt war. Außerdem fehlen nach wie vor Methoden, um die Genfunktionen der Würmer im Labor noch besser analysieren zu können. Das aber wäre nötig, um Angriffspunkte für Medikamente oder Impfstoffe zu finden.«

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