Sonneneruptionen: Auf die Polarlichter könnten noch schwerere Sonnenstürme folgen
In den Nächten zum 11. und 12. Mai 2024 konnten Menschen an ungewöhnlichen Orten spektakuläre Polarlichter sehen – die Leuchterscheinungen waren deutlich weiter südlich zu beobachten als normalerweise. Wissenschaftler hatten solche Auroren, die durch heftige Eruptionen auf der Sonnenoberfläche ausgelöst wurden, schon lange erwartet. Sie belegen eindrücklich, dass sich die Sonne dem Maximum ihres etwa elfjährigen Aktivitätszyklus nähert.
Der Sonnensturm war der stärkste seit dem Jahr 2003. Noch sind die Betreiber von Satelliten, Stromnetzen und anderer wichtiger technischer Infrastruktur dabei, die Auswirkungen dieses historischen Ereignisses zu erfassen. Die meisten größeren Systeme scheinen es jedoch gut überstanden zu haben.
Das ist tröstlich, denn wahrscheinlich werden noch mehr solcher Stürme folgen: Die stärksten geomagnetischen Stürme innerhalb eines Sonnenaktivitätszyklus können auch nach dem solaren Maximum ausbrechen. Diesen Höhepunkt erwarten Fachleute später im Jahresverlauf. Was ist aber genau im Mai passiert – und womit rechnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Nächstes?
Warum treten starke Sonnenstürme gerade jetzt auf?
Der direkte Grund für die starken Stürme ist eine Ansammlung von Sonnenflecken, bekannt als AR3664 (»active region 3664«). Sie ist unter dem Sonnenäquator auf der derzeit erdzugewandten Seite aufgetaucht. Die Region ist rund 17-mal so breit wie die Erde. Sie ist vermutlich die größte und umfassendste Sonnenfleckenregion, die im Lauf des aktuellen Sonnenzyklus beobachtet wurde. Das erklärt Shawn Dahl, Experte für Weltraumwetter am Space Weather Prediction Center der US-amerikanischen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA.
Seit etwa dem 8. Mai 2024 hat AR3664 mindestens sieben Stöße magnetisierten Plasmas – so genannte koronale Massenauswürfe oder Sonneneruptionen – mit Geschwindigkeiten von bis zu 1800 Kilometern pro Sekunde in Richtung Erde gesandt. Zusammen mit weiteren Wellen geladenen Plasmas prasselten die koronalen Massenauswürfe auf die Messgeräte ein, die das so genannte Weltraumwetter verfolgen. Es sei ein hypnotisierendes Erlebnis gewesen, erst die Daten hereinrauschen zu sehen und anschließend ehrfürchtig die Aurora zu beobachten, erzählt der Sonnenphysiker Ryan French, der am National Solar Observatory in Boulder im Bundesstaat Colorado forscht.
Wie stark war der Sonnensturm?
Gemessen an verschiedenen Kriterien war die Eruption enorm. Auf der fünfstufigen Skala, die geomagnetische Stürme klassifiziert, fiel er unter »extrem«; gemäß einem Index für Änderungen des Erdmagnetfelds war er ein Supersturm.
Und dann waren da noch die Auroren. Das Magnetfeld der Erde schützt die Lebewesen auf der Oberfläche vor den Auswirkungen der Sonnenstürme, indem es die potenziell gefährlichen, energiereichen Partikel von ihrem direkten Weg auf den Planeten ablenkt. Doch wenn das Material aus koronalen Massenauswürfen auf das Erdmagnetfeld trifft, überträgt es große Mengen Energie in die obere Atmosphäre. Elemente wie Sauerstoff oder Stickstoff werden dadurch ionisiert und senden in der Folge verschiedenfarbiges Leuchten aus. So entstehen die Polarlichter. Für gewöhnlich sind sie in der Nähe der Pole zu sehen. Doch vom 10. Mai 2024 an waren sie durch die Stärke des Sturms in bemerkenswert niedrigen Breiten zu bewundern, außer in Deutschland beispielsweise sogar in Mexiko.
Als unvergesslich beschreibt sie Steph Yardley, Astrophysikerin an der Northumbria University in Newcastle-upon-Tyne. Um die Auroren zu sehen, musste sie von ihrem Beobachtungspunkt in Schottland aus nach Süden blicken statt wie sonst nach Norden.
Welche Folgen hatte die Sonneneruption?
Der Sonnensturm unterbrach Funk- und GPS-Verbindungen rund um den Globus. Der Breitband-Internetanbieter Starlink – der zu SpaceX gehört, einem Dienst, der sich auf über 5000 Satelliten stützt – berichtete, dass die Qualität seiner Signale einige Zeit lang schlechter war. Unterbrechungen der Kommunikation könnten der Grund dafür sein; oder, wie die Weltraumwetter-Physikerin Tamitha Skov auf der Social-Media-Plattform X schrieb, der Sturm hat möglicherweise die Dichte der Erdatmosphäre verändert und damit die Reibung vergrößert, die sie auf die Satelliten ausübt.
Thanks for this report! I've been hearing a lot of this over the past 24 hours. It will likely get worse before it gets better. Those poor #Starlink birds are slamming on their thrusters right now, fighting to stay in the sky. Please keep us apprised of your conditions! https://t.co/Pv8QfaewkJpic.twitter.com/Sq57e1UVZ2
— Dr. Tamitha Skov (@TamithaSkov) May 11, 2024
Stromnetzbetreiber hatten im Vorfeld der erwarteten extremen Sonnenaktivität bereits Schutzmaßnahmen ergriffen. Denn geomagnetische Stürme können zusätzliche Stromflüsse und damit Ausfälle hervorrufen. Die neuseeländische Gesellschaft schaltete einige Stromkreise in Teilen des Landes ab, um die Geräte vor Schäden zu schützen.
Am 10. Mai 2024 gab die NASA an, sie sehe keine Bedrohung für die vier US-amerikanischen sowie die drei russischen Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Auf der chinesischen Raumstation Tiangong befinden sich ebenfalls drei Personen, doch auch dort wurden keine weiteren Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Einige Satelliten nahmen keine wissenschaftlichen Daten mehr auf. Das Röntgenobservatorium Chandra der NASA etwa unterbrach die astronomischen Beobachtungen vorsichtshalber vor dem Sturm und verbarg seine Instrumente vor der Strahlung. Laut eines Sprechers der NASA unterbrach der Satellit ICESat-2, der die Eisbedeckung der Erde vermisst, seine Datenaufnahme während des Sonnensturms automatisch, als er eine unerwartete Rotation erfuhr, vermutlich auf Grund höheren atmosphärischen Luftwiderstands.
Was kann die Wissenschaft noch aus dem Sturm lernen?
Das Ereignis könnte neue Erkenntnisse mit sich bringen. Die Sonnensonde Solar Orbiter der Europäischen Weltraumagentur ESA befindet sich derzeit, von der Erde aus gesehen, fast hinter der Sonne und hat damit einen anderen Blick auf den Sonnensturm. Die Sonnenfleckenregion AR3664 dreht sich momentan von der Erde weg und kommt ins Blickfeld des Solar Orbiter. David Williams, einer der Wissenschaftler, der für den Betrieb der Instrumente der Raumsonde zuständig ist, gibt sich zuversichtlich: »Wir sollten in den nächsten Tagen eine bessere Vorstellung davon erhalten, ob dieser Sonnenfleck auf der anderen Seite der Sonne weiterhin aktiv sein wird.« Außerdem befindet sich die Parker Solar Probe der NASA, die wiederholt in die Korona der Sonne eintaucht, derzeit am äußersten Punkt ihrer Umlaufbahn und könnte so eine weitere Perspektive beisteuern. Es wird allerdings eine Weile dauern, bis ihre Daten die Erde erreichen.
Laut der Planetenwissenschaftlern Shannon Curry von der University of Colorado in Boulder erwarten Fachleute außerdem, dass demnächst ein koronaler Massenauswurf auf den Mars trifft. Diese Kollision ließe sich mit der Raumsonde Maven der NASA beobachten, die den Roten Planeten umkreist.
Wann könnte der nächste Sonnensturm die Erde treffen?
Angesichts der Zahl der beobachteten Sonnenflecken erwarten Expertinnen und Experten, dass der aktuelle Sonnenzyklus noch 2024 seinen Höhepunkt erreicht. Die schwersten Stürme ereignen sich in der Regel Monate oder Jahre nach diesem offiziellen Maximum, es kann aber jederzeit zu Eruptionen kommen. Außerdem tauchen Sonnenflecken mit fortschreitendem Sonnenzyklus zunehmend näher am Sonnenäquator auf. Dahl zufolge wird es damit wahrscheinlicher, dass ein koronaler Massenauswurf direkt auf die Erde zurast statt ins All.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.