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News: Prionenphysik

Prionen heißen die fehlgefalteten Proteine, welche die tödlichen Hirnerkrankungen wie die Rinderseuche BSE oder die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen. Inzwischen beschäftigen sich auch Physiker mit der Seuche: Sie stellten ein statistisches Modell auf, das die lange Inkubationszeit auf die Keimbildung veränderter Prionen zurückführt und eine neue Therapiemöglichkeit aufzeigt.
Transmissible spongiforme Encephalopathien (TSE) heißen die rätselhaften Erkrankungen, die Europas Verbraucher in Angst und Schrecken versetzten. Denn der Rinderwahnsinn BSE, die Schafskrankheit Scrapie und die neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit des Menschen beruhen höchstwahrscheinlich auf der gleichen Ursache. Demnach lösen nicht Bakterien oder Viren, sondern krankhaft veränderte Proteine – Prionen genannt – die tödlichen Zerstörungen des Nervengewebes aus. Diese Prionen liegen in zwei verschiedenen Formen vor: Das normale PrPC-Protein, dessen Funktion noch unbekannt ist, befindet sich auf der Oberfläche verschiedener Zellen, unter anderem auch des Nervengewebes. Sobald es sich in die pathogene Form PrPSc umwandelt, löst dies eine Kettenreaktion aus, denn PrPSc faltet autokatalytisch weitere PrPC-Proteine in neue PrPSc-Prionen um.

Diese Umfaltung geschieht im Reagenzglas sehr schnell, die Inkubationszeiten der TSE sind jedoch extrem lang. Es kann Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis die Krankheit ausbricht. Jetzt beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe von Physikern der University of California in Davis mit diesem Problem.

Unter der Leitung von Daniel Cox entwickelten die Forscher ein statistisch-mechanisches Modell der Prionen-Erkrankungen. Sie setzten dabei voraus, dass wenige PrPSc-Prionen genügen, um als Keim das Wachstum weiterer Prionen auf einer infizierten Nervenzelle auszulösen. Sobald der Prionenkeim eine bestimmte Größe erreicht hat, bricht er auf, verteilt sich auf andere Nervenzellen und faltet hier weitere PrPC-Proteine in die PrPSc-Form um, sodass hier eine neue Keimbildung stattfindet. Dadurch werden nach und nach immer mehr Nervenzellen zerstört – bis schließlich der Tod dem Ganzen ein Ende setzt.

Die Physiker spielten bei ihrem Modell mit verschiedenen Anfangskonzentrationen der keimbildenden Prionen und ermittelten daraus die Inkubationszeiten. Nahmen sie beispielsweise an, dass 0,003 Prozent der Prionen in der pathogenen PrPSc-Form vorlagen, dann sagte das Modell eine Inkubationszeit von 108 Umfaltungszyklen voraus. Bei einer Umfaltdauer von etwa einer Sekunde läge die Inkubationszeit bei etwa fünf Jahren – und damit in der gleichen Größenordnung der Inkubationszeiten der BSE-Infektion, die 1987 britische Rinder heimsuchte.

Das Modell vermochte jedoch noch mehr. Die Physiker testeten mit ihm auch, was geschieht, wenn Prionen verschiedener Arten zusammenkommen. Sie nahmen dabei an, dass PrPSc-Prionen von Hamstern die PrPC-Proteine in Mäusen nicht umfalten kann. Doch was geschieht, wenn die Mäuse zusätzlich normale Hamster-PrPC-Proteine erhalten? Das Modell sagt dann eine Veränderung der Inkubationszeit mit steigender Konzentration der artfremden PrPC-Proteine voraus: Zunächst geht die Inkubationszeit leicht zurück. Sobald die Konzentration der Fremdproteine die der arteigenen übersteigt, wächst die Inkubationszeit jedoch immer weiter an. Die Wissenschaftler erklären dieses Verhalten mit einer wachsenden Konkurrenz der ungefährlichen Hamster-PrPC-Proteine mit denen von der Maus. Dadurch können weniger Maus-PrPC-Proteine in die pathogene PrPSc-Form ungewandelt werden.

Damit zeigt das Modell eine ungewöhnlich erscheinende Therapiemöglichkeit auf: Man könnte Prionen mit Prionen bekämpfen. Eine genügend hohe Dosis artfremder PrPC-Proteine könnte eine Prionen-Erkrankung zwar nicht heilen, jedoch ihr Ausbrechen verzögern. Nach den Physikern haben jetzt die Mediziner das Wort.

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