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Zellbiologie: Proteine bauen ohne Plan

Jahrzehntelang war das Dogma: Proteine werden ausschließlich nach genetischer Vorgabe synthetisiert. Dabei können Proteine offenbar auch ohne.
Ribosom

Lehrbücher der Biologie beschreiben recht dogmatisch, wie Zellen Proteine herstellen: Aminosäuren (die Bausteine) werden am Ribosom (der Produktionsstätte) zur Proteinkette, und zwar nach einer Vorgabe, die in der DNA festgeschrieben ist und durch Boten-RNA vermittelt wird. Spannender als das Dogma ist aber natürlich immer eine Abweichung davon. Zum Beispiel der nun entdeckte Alternativweg, den Zellen einschlagen können, um Aminosäureketten ohne die Anleitung von DNA und Boten-RNA zusammenzubasteln: "Hier spielt ein Protein die Rolle, die sonst eigentlich die mRNA übernimmt", fasst Adam Frost von der University of Utah verblüfft zusammen.

Im Zentrum der von Frost und seinen Kollegen an Hefezellen durchgeführten Forschungsarbeit stand das Protein Rqc2p. Man kannte es bisher als Mitarbeiter in der zellulären Qualitätskontrolle: Es tritt in Aktion, sobald beim Proteinsyntheseprozess etwas schiefläuft und das Ribosom die Verknüpfung von Aminosäuren zur Proteinkette stoppt, um dann in seine beiden Hälften zu zerfallen. Rqc2p springt dann in die Rolle der Boten-RNA. An diese docken im Normalfall der Proteinsynthese – je nach Sequenz – tRNAs an und liefern dabei die passenden Aminosäure-Bausteine der wachsenden Kette.

Das nach dem Stocken der Synthese aktivierte Rqc2p rekrutiert nun ebenfalls tRNAs – allerdings nur jene zwei, die die Aminosäure Alanin oder Threonin transportieren. So sorgt Rqc2p für eine gewisse Zeitspanne dafür, dass die beim fehlgeschlagenen Syntheseprozess noch unfertige Aminosäurekette nach dem Zufallsprinzip mit einigen Alanin- und Threonin-Bausteinen verlängert wird. Dabei ist noch völlig unklar, warum die Zelle dies nötig hat, anstatt den fehlgeschlagenen Vorgang einfach so abzubrechen.

Markierung oder Stresstest?

Klar ist, dass sich das halb fertige Protein mit seinem zufällig dazugestrickten Alanin-Threonin-Anhang ganz anders verhalten wird. Vielleicht ist der unter der Anleitung von Rqc2p angefügte Rest eine Markierung, anhand derer die Müllabfuhr der Zelle erkennen kann, welches Protein wieder in Aminosäuren zerlegt werden muss? Womöglich könnte der Rcq2p-Prozess aber auch dazu da sein, das Ribosom auf seine Funktion zu testen und im Zweifelsfall ein schlecht arbeitendes Ribosom aus dem Verkehr zu ziehen. All diese Mechanismen – von Proteinmarkierung und -recycling bis zur Ribosomenkontrolle – stehen jedenfalls im Verdacht, bei neurodegenerativen Krankheiten von Alzheimer über ALS bis Chorea Huntington eine Rolle zu spielen.

Daniel Wilson von der Ludwig-Maximilians-Universität in München findet es "faszinierend zu sehen, dass Aminosäuren ohne einen mRNA-Bauplan an ein Protein gehängt werden können". Allerdings gelte das nur für zwei von 20 – und "sehr spezifisch ist der Prozess auch nicht". Nichtsdestotrotz könne diese Entdeckung beispielsweise dazu führen, dass man solche Systeme in Zukunft künstlich herstellt – als neues Werkzeug der Biochemie. Letztlich stellt der mRNA-Protein-Rollentausch erst einen kleinen Einblick in alternative Zellmechanismen dar. Immerhin, so der Erstautor der Studie Peter Sheen, "zeigen unsere Beobachtungen auch, wie wenig wir bisher über zelluläre Mechanismen wissen".

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