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Kunststoffe: Radikalfänger gegen elektrostatische Aufladung

Zum Harre zu Berge stehen lassen

Jeder kennt das Problem: Vor allem an kalten Wintertagen lädt sich der in der Hosentasche getragene Kamm elektrostatisch auf – und lässt beim Haarekämmen diese eher zu Berge stehen, als sie zu bändigen. Oder man bekommt einen kleinen Stromschlag, wenn man mit seinen gummibesohlten Schuhen über einen Teppich läuft und dann die Türklinke drückt. Was gesundheitlich nur für kleine Unannehmlichkeiten sorgt, verursacht jedoch wirtschaftliche Schäden, denn die Aufladung kann Elektronik beschädigen oder die Produktionsprozesse von Kunststoffen stören. Physiker suchen daher nicht nur nach den Ursachen der elektrostatischen Dissonanzen, sondern auch nach Lösungsmöglichkeiten.

Bartosz Grzybowski von der Northwestern University in Evanston und seine Kollegen haben nun wohl herausgefunden, warum die elektrostatische Entladung eines Materials so konsistent ist – und wie man sie womöglich durch eine simple Beschichtung verhindert. Eigentlich sollten sich geladene Partikel, die sich beispielsweise an einem Polymer anlagern wollen, gegenseitig abstoßen, so dass sie sich entweder großflächig über das Material verteilen oder wieder zurück in die Umgebung gestoßen werden. Stattdessen ordnen sie sich zu stabilen, geladenen Konglomeraten an, die sich plötzlich entladen können, wenn sich ein leitfähiger Pfad öffnet – wie beispielsweise eine Türklinke aus Metall. Grzybowski und Co beobachteten daher mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskops, welches Muster elektrostatisch und magnetisch aufgeladene Partikel auf einem Polymer hinterlassen. Dabei entdeckten sie, dass freie Radikale – stark reaktive Moleküle, an deren Bruchstellen so genannte ungepaarte Elektronen sitzen – die Ansammlungen der geladenen Teilchen stabilisierten und so erst deren starke Akkumulation ermöglichten. Die Radikale, zumeist Peroxide, neutralisieren einen Teil der Aufladung nach innen, so dass sich die Partikel nicht mehr oder weniger stark abstoßen.

Beim Test der Hypothese, ob die Radikale die unerwünschte Entladung tatsächlich mitbegünstigen, entdeckten die Materialwissenschaftler nun zugleich ein potenzielles Gegenmittel: Antioxidanzien, wie sie auch von Ernährungsforschern gegen freie Radikale im menschlichen Körper angepriesen werden – etwa Vitamin-E-Lösungen. Nachdem Grzybowskis Team seine Kunststoffe mit derartigen Mitteln behandelt hatte, verschwand die Aufladung innerhalb kürzester Zeit. Die Antioxidanzien hatten mit den Radikalen reagiert und so deren stabilisierende Wirkung zerstört – die geladene Partikel stießen sich in der Folge ab und lagerten sich nicht mehr auf der Oberfläche an. Als die Forscher schließlich einen Transistor mit einer Schutzhülle aus Antioxidanzien versahen, konnten sie diesen sogar mit elektrostatischen Teilchen beschießen, ohne dass er Schaden nahm.

Bereits heute werden bestimmte antioxidativ wirkende Substanzen Kunststoffen zugefügt: Sie sollen Radikale neutralisieren, die durch UV-Bestrahlung im Material entstehen. Allerdings verwendet man sie bislang nicht als Schutzüberzug, so dass hier nun eine relativ kostengünstige Lösung für ein weit verbreitetes Problem zur Verfügung stehen könnte. Grzybowski ist jedenfalls fest davon überzeugt: Er hat bereits eine Patentanmeldung dazu eingereicht.

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