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Naturschutz: Rattenjagd

Lebend-, Gift- und Schlagfallen, abgerichtete Spürhunde und Radioüberwachung - mit mächtigen Kanonen zielten Wissenschaftler auf eine kleine, einsame Wanderratte. Die ließ sich nicht beeindrucken und führte ihre hochtechnisierten Feinde monatelang an der Nase herum.
Wanderratte
Eingeschleppte Räuber, wie Katzen oder Ratten, machen der angestammten Bevölkerung neuseeländischer Inseln das Leben schwer: Häufig langsam, arglos und flugunfähig, hat sie keine Chance, den hungrigen Neubürgern zu entkommen. Da Erziehungsmaßnahmen hier wenig helfen und friedlich-versöhnliche Kontaktaufnahme seitens der Ureinwohner für diese meist tödlich endet, heißt der Schluss schlicht: Ausweisung für die Eindringlinge.

Dafür aber brauchen Kiwi, Kakapo und Co menschliche Hilfe. Die sie auch bekommen – doch leider häufig mit nur mäßigem Erfolg. Zu schnell haben sich die Neulinge eingelebt, zu wohl fühlen sie sich im undurchdringlichen Dickicht, zu gut entgehen sie den Nachstellungen selbst extra dafür ausgebildeter und ausgerüsteter Zwei- und Vierbeiner. Und sind sie doch einmal vertrieben, kommen sie einfach wieder. So steht am Ende häufig zwar wirklich eine Ausbürgerung, doch nicht etwa der unerwünschten Einwanderer, sondern der bedrohten Verfolgten, die auf – noch – nicht eroberte weitere Inseln umgesiedelt werden.

Wie prächtig sich solche Invasoren auf neuem Terrain behaupten, erlebten James Russell von der Universität im neuseeländischen Auckland und seine Kollegen. Sie hatten sich die Geschichte selbst eingebrockt: Mit Schokoladestückchen in einer Lebendfalle hatten sie sich ein Wanderrattenmännchen (Rattus norvegicus) geschnappt, ihm eine DNA-Probe entnommen und ein Halsband mit Radiosender verpasst. Dann verfrachteten sie den Nager auf die unbewohnte, bewaldete und vor allem seit zwei Jahren rattenfreie Motuhoropapa-Insel vor Nordost-Neuseeland und ließen ihn laufen. Die Jagd war eröffnet.

In den ersten vier Wochen – da genoss Rattus noch Schonzeit –, durchquerte der geübte Wanderer zunächst einmal die ganze, etwa 9,5 Hektar große Insel, bevor er sich in einem Revier von etwa einem Hektar häuslich niederließ. Nach einem Monat jedoch begann es für ihn ungemütlich zu werden: Die Forscher spickten seine Umgebung mit dreißig Lebendfallen, zwanzig Schlagfallen, 15 vergifteten Wachsködern und 15 Rattentunneln, um des Nagers wieder habhaft zu werden. Alles bewährte Methoden, sogar in doppelter Dichte als normal ausgebracht – der Fang schien gesichert, und das bald.

Mit mir nicht, dachte sich aber wohl Rattus – und zog wieder um, diesmal aus freien Stücken. Wahrscheinlich war es ihm auch einfach zu einsam auf seiner Insel. So brach er buchstäblich auf zu neuen Ufern und eroberte nach 400 Meter Schwimmmarathon über den freien Ozean die mit knapp 22 Hektar deutlich größere Nachbarinsel Otata. Die Wissenschaftler zollen Respekt: Dass Wanderratten gut schwimmen können, ist nicht neu, aber quer übers Meer? Nicht schlecht. Wenig Glück allerdings für Rattus: Auch Otata bot keine Artgenossen.

Verblüfft mussten die Forscher also nun ihre Jagdanstrengungen in die neue Heimat verlegen. Überhaupt hatten ihnen erst typische Rattenhinterlassenschaften verraten, wo sich ihre Nagerbeute befand, denn der Radiosender hatte nach zehn Wochen den Betrieb aufgegeben. Jetzt aber spürten ihr Russell und Co mit zwei ausgebildeten Suchhunden und fünfzig weiteren Fallenanlagen nach, davon manche vergraben oder mit vergifteten Ködern ausgestattet. Rattus erkundete die Gerätschaften offenbar, ließ sich aber nicht täuschen – selbst Erdnussbutter ging er nicht auf den Leim. Die Jagd zog sich hin.

Was lernen wir daraus? Ratten sind verflixt schlaue Tiere. Und es ist verflixt schwierig, sie wieder loszuwerden. Beides war bereits bekannt und dürfte jeder damit beschäftigte Naturschützer seufzend bestätigen.

Verwunderlich aber ist, dass Ratten, die in Massen auftreten, leichter zu regulieren sind als kleinere Bestände. Und wie Rattus eindrucksvoll zeigte, beißen sich die Jäger gerade an den letzten Exemplaren gern die Zähne aus. Warum? Vielleicht weil der fehlende Nahrungsdruck, der bei artgenossenschaftlicher Konkurrenz herrscht, die Tiere nicht in die Fallen treibt, spekulieren Russell und seine Kollegen. Denn dann gibt es ja genug anderes Leckeres zu fressen, das keiner wegschnappen kann – wozu dann Schokolade, Erdnussbutter und Co. Etwas ratlos hoffen die Forscher daher zwar, dass ihre Beobachtungen die Bekämpfungsstrategien verbessern könnten, nur wie, wissen sie auch nicht so genau.

Vielleicht auch gar nicht nötig. Denn letztendlich zeigten die althergebrachten Methoden doch Erfolg – aus Kiwisicht: 18 Wochen nach seiner Freilassung entdeckten die Wissenschaftler Rattus tot in einer Falle in einer Gegend, in der er sich wohl ganz gern aufgehalten hatte – Suchhunde hatten dort häufiger Duftspuren erkannt. Zur Strecke gebracht hatte ihn schließlich ein Happen Pinguinfleisch.

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