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Anthropologie: Rattenreisen

Lapita heißt die rätselhafte Kultur, die sich vor 3000 Jahren in der Südsee ausbreitete. Im Gepäck hatten die damaligen Seefahrer Haustiere, die heutigen Genetikern wertvolle Hinweise zur Besiedlungsgeschichte liefern: Ratten.
Rattenreisen
Für den französischen Maler Paul Gauguin war es schlicht das Paradies, und auch heute noch prägen seine Bilder die europäischen Vorstellungen von der Südsee. Dabei war der Alltag für die Bevölkerung Polynesiens wohl nie so paradiesisch, sondern – wie überall auf der Welt – durch die Sorgen um das täglich Brot geprägt.

Erreicht hat der Mensch das vermeintliche Südseeparadies erst spät. Während die Inselwelt um Neuguinea bereits vor 40 000 Jahren besiedelt wurde, sind vielleicht höchstens 3000 Jahre vergangen, seitdem sich die ersten Seefahrer mit Doppelrumpfkanus bis in die fernsten Winkel Ozeaniens vorwagten. Nach einem Fundort auf Neukaledonien, wo in den 1950er Jahren typische muschelverzierte Keramiken auftauchten, wird diese Kultur Lapita genannt.

Vermutlich entstand die Lapita-Kultur auf Neuguinea, aber auch das heutige Taiwan wird als Ursprungsort genannt. Viele Anthropologen gehen davon aus, dass Polynesien sehr rasch – quasi per Express – vom Lapita-Volk erobert worden ist. Andere Wissenschaftler nehmen dagegen an, dass die Besiedlung sehr viel langsamer erfolgte. Demnach hätten sich die Seefahrer aus dem Westen zunächst mit der einheimischen Bevölkerung auf dem Bismarck-Archipel östlich von Neuguinea vermischt und sind erst nach und nach weiter Richtung Osten gesegelt. Wer hat Recht?

Die Frage ist schwierig zu beantworten, da archäologische Spuren rar gesät sind. Auch genetische Vergleiche der heutigen Insulaner – eine von Anthropologen gerne verwendete Methode – bieten keine eindeutigen Antworten, da sich die Bevölkerung in den letzten Jahrhunderten – nicht zuletzt seit der Ankunft der Europäer – vielfältig vermischt hat.

Ratten an Bord | Die Holzschnitzerei aus Ozeanien zeigt einen polynesischen Seefahrer mit Ratten auf seiner Schulter.
Genetiker müssen jedoch nicht unbedingt auf das Erbgut des Menschen zurückgreifen, um das Dunkel der Besiedlungsgeschichte zu erhellen. Denn die damaligen Seefahrer waren nicht allein, sondern hatten ihre Haustiere mit an Bord. Während sich bei Hunden, Schweinen und Hühnern allerdings dasselbe Problem wie beim Menschen ergibt – eine spätere genetische Durchmischung mit Neuankömmlingen – gibt es eine Tierart, die in Polynesien heimisch, aber mangels Schwimmkunst auf die Transportdienste des Menschen angewiesen ist: die Polynesische Ratte (Rattus exulans). Archäologischen Funde deuten daraufhin, dass sie absichtlich von den Lapita-Leuten, die ihr Fleisch zu schätzen wussten, mitgenommen worden sind. Mit ihren europäischen Verwandten Rattus rattus und Rattus norvegicus – eher unfreiwillig von europäischen Seefahrern in Polynesien eingeschleppt – kreuzen sich die Südsee-Nager dagegen nicht; in ihren Genen sollten sich also Spuren längst vergangener Schiffsreisen widerspiegeln.

Und diese Reisen konnten Elizabeth Matisoo-Smith und Judith Robins von der neuseeländischen Universität Auckland jetzt tatsächlich am Rattengenom nachvollziehen. Der Vergleich der mitochondrialen DNA von Rattus exulans – isoliert aus archäologischen Knochenfunden – ergab ein eindeutiges Bild: Die beiden Anthropologinnen konnten drei Untergruppen der prähistorischen Rattenpopulationen ausmachen, die nicht mit einer schnellen Besiedlung der Inselwelt in Einklang stehen.

Damit scheint das zweite Modell der Besiedlung Ozeaniens zuzutreffen: Polynesier, die sich bereits mit der Urbevölkerung der Bismarck- und Solomon-Inseln vermischt hatten, verbreiteten die Lapita-Kultur in der Südsee. Matisoo-Smith und Robins vermuten, dass sich bereits im Zeitraum von 6000 bis 3500 Jahren vor unserer Zeit einige Seefahrer Richtung Osten vorwagten. Erst in einer zweiten Periode vor 3100 Jahren erfolgte dann die rasche Besiedlung der weiter entfernt liegenden Südseeparadiese durch Menschen – und Ratten.

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