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Tierische Fähigkeiten: Raupen folgen ihrem Darm

Raupenmodell
Eine der spaßigeren Fortbewegungsweisen im Tierreich haben sich Raupen angeeignet: Die vor allem als veritable Fressmaschinen designten Jugendstadien der Schmetterlinge schleppen sich mit einer unnachahmlichen, über die gesamte Länge ihres komprimierbar-flexiblen Körperschlauchs hinweglaufenden Wellenbewegung von Blattrand zu Blattrand. Das wird wohl so sein, weil bei der Anforderungsliste der Evolution für die Grundausstattung der Raupen Geschwindigkeit und Eleganz nicht ganz oben standen, hatten Biologen lange gedacht, ohne viel darüber nachzudenken: Der als Fresssack konstruierte Körperentwurf lässt, so die Idee, eben nicht mehr viel Spielraum für lange Beine, flinke Beweglichkeit und Wohlgestalt. Wie stark der Raupenverdauungsapparat die Körperlokomotion wirklich dominiert, ist dabei aber trotzdem noch unterschätzt worden – bis nun ein Forscherteam einer kriechenden Raupe in die Eingeweide geschaut hat.

Michael Simon von der Tufts University in Medford und seine Kollegen hatten sich zunächst eigentlich nur für die neurosensorische Regulation der Raupenbewegung interessiert – also etwa dafür, wie das Tier die segmentalen Kontraktionen des Körperschlauchs so koordiniert, dass dabei eine gerichtete Bewegung herauskommt. Zu diesem Zweck hatten sie die Raupen von Tabakschwärmern (Manduca sexta) auch im Röntgenlicht beim Kriechen gefilmt und durchleuchtet. Von diesem Blick in das Körperinnere hatten sie sich kaum weitere spannende Erkenntnisse erhofft: Wahrscheinlich, so dachten sie, schwappt dort einfach Körperflüssigkeit passiv herum.

© Michael Simon/Tufts University
Raupenbewegung: Ein Darm als Kolben
Bei Raupen ist eine kolbenartige Darmbewegung mit der Bewegung der Abdominalbeine synchronisiert. Das System arbeitet, stark vereinfacht, als Zwei-Körper-System mit einer Masseverlagerung des Körperinneren nach vorne, der dann der Rest des Körpers nachfolgt. Das Modell zeigt dies anschaulich: Ein Körpersegment (grüne Kugeln) kontrahiert sich in einer longitudinalen Wellenbewegung, die von vorne nach hinten ausläuft, während gleichzeitig der Darm (hier als langer Zylinder dargestellt), seine Ausdehnung ständig verändert.

Doch weit gefehlt: Die Aufnahmen belegen, dass sich die Eingeweide im Inneren des Mittelsegmentes bei vorwärts kriechenden Raupen koordiniert und eigenständig vom sie umgebenden Rest des Körpers bewegen. Dabei nimmt der Darmschlauch jede später auch vom Körper äußerlich nachvollzogene Bewegung vorweg: "Der Darm eilt typischerweise einen ganzen Schritt voraus, bevor die Körperwand aufschließt", erklären die Forscher. Tatsächlich erinnert das Ganze an die Bewegung eines Kolbens, der im Tier vor- und zurückstößt.

Mit der kolbenartigen Darmbewegung ist die Bewegung der Abdominalbeine der Raupen eng verknüpft. Diese bauchseits ausgestülpten Hautsegmente gelten anatomisch nicht als echte Beine, sind aber mit eigenen, wenn auch schwachen Muskeln versehen. Wie die Forscher nun zeigen konnten, beginnt immer mit dem Ausschwingen des hinteren Abdominalbeins die Vorwärtsverlagerung des Darms: Wahrscheinlich verlagert sich eben dabei der Körperschwerpunkt des Tieres, während es rein äußerlich auf den gerade abgesetzten Beinen ruht. Dieser Masseverlagerung folgt dann der nächste, auch äußerlich sichtbaren Schritt des ganzen Körpers.

Den Mechanismus beschreiben die Forscher als funktionales "Zwei-Körper-System aus einem Behältnis (dem äußeren Raupenkörper) und seinem Inhalt (dem Darm)". An dem Raupensystem ließe sich sogar einiges lernen, finden Simons und Kollegen: Sie konstruieren nach dem Prinzip derzeit bereits einen Roboter aus Weichmaterialien, der prädestiniert dafür sein könnte, sich flexibel durch Engstellen zu zwängen. (jo)

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  • Quellen
Trimmer, B. et al.: "Report: Visceral-Locomotory Pistoning in Crawling Caterpillars." In: Current Biology 20, S. 1–6, 2010.

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