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Nuklearmedizin: Reaktoren für den Kampf gegen Krebs

Um Krebskranke zu untersuchen, brauchen Ärzte radioaktive Substanzen. Doch das Material wird immer knapper. Mitunter müssen Patienten wochenlang warten. Ein Katastrophe, denn ihre Chancen auf Heilung schwinden mit jedem Tag. Wie Forscher die Knappheit überwinden wollen.
Injektion einer Markersubstanz
Trauriger Alltag beim Frauenarzt: Er entdeckt einen Knoten in der Brust und ertastet geschwollene Lymphknoten unter der Achsel. Die Patientin hat Brustkrebs, wie sich herausstellt. Nun soll sie radiologisch untersucht werden, um festzustellen, ob es Metastasen gibt. Eigentlich muss in einer solchen Lage alles sehr schnell gehen, denn jede Verzögerung mindert die Erfolgschancen der Behandlung. Doch derzeit müssen viele Krebspatienten oft wochenlang auf die Untersuchungen warten, weil ein entscheidendes Hilfsmittel immer schwerer zu beschaffen ist: Technetium, der Stoff, der Metastasen sichtbar macht.

Die Wächterlymphknoten-Szintigrafie ist einer der wichtigsten Tests: Eine Flüssigkeit mit schwach radioaktivem Technetium wird rings um den Knoten gespritzt. Die Substanz kann durch ihre Strahlung mit einer Gamma-Kamera verfolgt werden, während sie vom Geschwür zum nächstliegenden Lymphknoten, dem Wächterlymphknoten, driftet.

"Falls Tumorzellen aus der Brust weggeschwemmt wurden, müssen wir sie im Wächterlymphknoten finden. Wenn wir nichts entdecken, hat der Krebs in der Regel noch nicht gestreut", erklärt Andreas Bockisch, Direktor der Klinik für Nuklearmedizin an der Universität Essen. Der Wächterknoten wird dann herausgeschnitten und auf Tumorzellen abgesucht.

Stockender Nachschub

Als bewährtes Frühwarnsystem für Metastasen wird der Test auch bei Prostata- und Hautkrebs praktiziert. Mit der Szintigrafie lässt sich sogar das Skelett auf Tumor-Ableger durchforsten. Außerdem kann man mit ihr die Funktion von Schilddrüse und Nieren prüfen oder Blutungen orten. Täglich werden weltweit rund 70 000 Menschen szintigrafiert. Bei vier Fünfteln der Fälle ist Technetium die Markierungssubstanz.

Doch seit Sommer 2008 stockt die Versorgung. Wer zur Szintigrafie will, muss oft wochenlang warten. "Etliche Kollegen haben Patienten nach Hause geschickt", berichtet Bockisch. Die nuklearmedizinischen Zentren in Deutschland erhielten im ersten Quartal 2009 nur zwei Drittel des benötigten Technetiums. Der Grund: Weltweit liefern nur fünf Forschungsreaktoren radioaktives Molybdän, aus dem Technetium gewonnen wird, drei in der Europäischen Union, je einer in Kanada und Südafrika.

Doch die Anlagen fallen immer wieder aus. "Zwischen einem und vier waren zeitweilig außer Betrieb", klagt Bockisch, der auch Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin ist. Die fünf Reaktoren sind alle über 40 Jahre alt. Sie kränkeln. "Die Ausfälle werden sich noch häufen", fürchtet der Mediziner.

Altersschwache Anlagen

Am 18. Mai 2009 musste die kanadische Anlage heruntergefahren werden. Es gab ein Leck. "Das ist ein typischer Fall von Altersschwäche", kommentiert Winfried Petry, Leiter des Garchinger Forschungsreaktors bei München, "das wird sich nicht so schnell beheben lassen." Er fürchtet, dass die Technetium-Versorgung in den USA einbrechen wird. Schon einmal mussten auf Grund eines Ausfalls 2007 Patienten ohne vorherige Untersuchung des Tumors operiert werden. Auch Europa wird die Folgen zu spüren bekommen. "Das Technetium wird jetzt verstärkt nach Amerika abgezogen", warnt Petry.

Neue Anlagen wurden in den letzten Jahrzehnten nicht gebaut. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl wuchs die Kritik an der Atomenergie und mit ihr auch der Widerwille gegen neue Anlagen für die Forschung. Dass dadurch die medizinische Versorgung gefährdet wird, kam nur am Rande zur Sprache. "Wir haben das Debakel vorhergesehen", sagt Petry. Aber die Umwelt- und Gesundheitsministerien befassen sich erst allmählich mit dem Problem.

Petry wittert in der Misere jetzt seine große Stunde. Denn er ist Herr eines ausnehmend jungen Forschungsreaktors, der erst 2004 in Betrieb ging. Allerdings liefert die Garchinger Anlage zurzeit kein Molybdän und damit kein Technetium. Doch Petry hat mit dem belgischen Institut National des Radioéléments eine Machbarkeitsstudie zum Ausbau des Reaktors erstellt, die demnächst vorgestellt werden soll. So viel verrät Petry schon: "Wir können nahezu den gesamten Bedarf der EU an Technetium decken." Die Kosten für die Aufrüstung betrügen 5,4 Millionen Euro. "Das sind Peanuts, verglichen mit den Ausgaben von rund 300 Millionen Euro für den Neubau", behauptet er. Bayern habe ihm bereits Geld zugesagt. Die Bundesregierung hält sich indes noch zurück. "Das wird sich mit der Veröffentlichung der Studie schlagartig ändern", hofft Petry.

Die Aufrüstung des Garchinger Reaktors zur Molybdänproduktionsstätte sei unproblematisch, versichert Petry. Es müsste eine Vorrichtung eingebaut werden, in der angereichertes Uran vorgelegt wird. Dieses würde mit Neutronen beschossen, Elementarteilchen, die aus dem Reaktorkern freigesetzt werden. Wie eine mit der Axt gespaltene Wassermelone wird das Uranatom durch die Neutronen in zwei kleine Atome gespalten. Die Energie der Neutronen wird so eingestellt, dass sich unter den Bruchstücken unter anderem kleinere Molybdänatome finden. Doch selbst wenn die Gelder bewilligt wären, würde der Ausbau fünf Jahre dauern.

Teilchenbeschleuniger als Lösung?

Zu Anfang des Jahres meldete sich ein kanadischer Physiker aus Vancouver zu Wort. Er verkündete im Fachjournal "Nature", die Lösung des Technetium-Mangels gefunden zu haben. Diese läge nicht etwa in den Forschungsreaktoren, sondern in Teilchenbeschleunigern. In solchen Anlagen lassen sich Elektronen im Kreis beschleunigen, die nachfolgend in Lichtteilchen (Photonen) überführt werden könnten. Auch die Photonen können Uranatome spalten. Diese Kernspaltung kann so gesteuert werden, dass als Hauptprodukt Molybdän gebildet wird. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Uranatom gespalten wird, nachdem es mit Photonen beschossen wurde, ist allerdings viel, viel kleiner als nach dem Beschuss mit Neutronen. Deshalb bräuchten wir einen extrem leistungsstarken Teilchenbeschleuniger. Solch einen gibt es auf der ganzen Welt noch nicht", gibt Ruth freimütig zu.

Leser überschütteten ihn mit neugierigen, aber auch sehr kritischen Briefen. Petry zählt zu den Kritikern. "Das Verfahren ist sehr ineffizient. Ich wünsche Ruth viel Spaß." Politisch hat der Kanadier aber etliche Argumente auf seiner Seite. Seine Anlage würde im Unterschied zu den Forschungsreaktoren kein angereichertes, waffenfähiges Uran benötigen. Das beugt dem Missbrauch durch Staaten und Terroristen vor, die angereichertes Uran für Atombomben abzweigen wollen. Außerdem wäre die radioaktive Strahlung auf einen kleineren Teil der Anlage begrenzt. "Nach dem Abschalten ließe sie sich leichter dekontaminieren", versichert Ruth.

Selbst wenn Ruth die benötigten Gelder erhielte, würden bis zum Bau einer Pilotanlage sicher zehn bis zwanzig Jahre verstreichen. So oder so werden Brustkrebspatientinnen in naher Zukunft um einen Termin für die Szintigrafie bangen müssen.

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