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Unbemannte Roboterschiffe: Geisterschiffe mit Containern

Kreuzen bald unbemannte Frachtschiffe die Ozeane? Wenn es nach Rolls-Royce geht, ja: Die Schiffe seien nicht nur günstiger, sondern auch sicherer.
Eine Flotte von Containerriesen

Das Frachtschiff tuckert durch die Meerenge. Es ist vollgeladen mit Containern. In einigem Abstand folgen weitere, völlig identische Schiffe. Doch etwas ist seltsam: An Bord spaziert kein Mensch umher. Es ist nicht einmal Platz für eine Besatzung vorgesehen. Die Flotte besteht aus Geisterschiffen. Ihre Crew sitzt einige tausend Kilometer entfernt in einer Zentrale an Land, von wo aus sie die Fahrt überwacht und Navigationsbefehle schickt. Das Schiff reagiert allerdings auch selbstständig, wenn es einem Hindernis ausweichen muss oder sich der Seegang plötzlich ändert.

Solche unbemannten Frachtschiffe könnten bald zur Realität werden, zumindest wenn es nach Rolls-Royce geht. Die britische Firma hat ein Konzept für eine unbemannte Schiffsflotte vorgestellt. Damit liegt Rolls-Royce im Trend: Die EU finanziert derzeit mit 3,5 Millionen Euro das Projekt Maritime Unmanned Navigation through Intelligence (MUNIN), in dem Forscher autonome Überwasserschiffe bauen. Doch es gibt ernsthafte Zweifel, ob sich die visionären Technologien durchsetzen können.

Wie die Technik aussehen soll, hat das Entwicklerteam von Rolls-Royce, "Blue Ocean", nicht im Detail verraten. Das Team stellte im norwegischen Ålesund nur einen virtuellen Prototypen vor. Die Schiffsmodelle sind komplett mit Containern bedeckt. Einheiten für die Crew, zum Beispiel die Brücke, fehlen. Auch Einrichtungen wie die Strom- und Wasserversorgung für die Besatzung sind verschwunden. Die Schiffe seien dadurch fünf Prozent leichter, sagt Rolls-Royce-Manager Oskar Levander. Das bringe 12 bis 15 Prozent Treibstoffersparnis. Außerdem sparen die Reeder Personalkosten, da eine einzelne Crew mehrere Schiffe parallel fernsteuern könnte. Die Personalkosten betragen auf den größeren Schiffen durchschnittlich knapp 2000 bis 3000 Euro am Tag.

Überwasserschifffahrt hinkt technologisch hinterher

Das Rolls-Royce-Team präsentiert seine Visionen zu einem frühen Zeitpunkt. Vermutlich möchte der Konzern die Reedereien schon einmal von einem technologischen Wandel überzeugen und sich als dessen Garant positionieren. Fliegende Drohnen und selbstfahrende Autos sind weltweit auf dem Vormarsch, und die Marinetruppen vieler Länder setzen bei der Suche nach Minen längst autonome Unterwasserboote ein. Die Überwasserschifffahrt hinkt somit technologisch hinterher. Levander sagt, es sei an der Zeit, eine Roadmap für unbemannte Schiffe vorzulegen. Die Drohnenschiffe wären nicht nur ökonomisch, sondern auch sicher und umweltfreundlich.

Eine Flotte autonomer Containerriesen | Die von Rolls-Royce konzipierten Roboterschiffe bieten keinerlei Platz mehr für eine Besatzung. Stattdessen übernimmt ausgefeilte Technik das Ruder – was die Schifffahrt günstiger und sogar sicherer macht, sagt die Firma.

Der Bedarf scheint vorhanden zu sein: Die International Maritime Organization (IMO), eine Einrichtung der Vereinten Nationen, schätzt, dass 90 Prozent des Welthandels über die Meere läuft. Es sind etwa 100 000 Handelsschiffe in der Welt unterwegs, bei der Hälfte davon handelt es sich um Frachtschiffe. Sie verstopfen regelrecht die Wasserstraßen und Häfen. Dennoch stecken insbesondere die westeuropäischen Reeder seit Jahren in der Krise. Die Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PwC) hat 100 deutsche Reeder über ihre wirtschaftliche Situation befragt. Nur 43 von ihnen sahen ihr Unternehmen 2013 auf Wachstumskurs. Die asiatische Konkurrenz macht ihnen zu schaffen.

Einige Reeder suchen ihr Glück einerseits in Kooperationen. Das dänische Unternehmen Maersk hat sich Ende 2013 für seine Asienrouten mit zwei großen Mitbewerbern zusammengetan. Andererseits geht der Trend zu immer größeren Schiffen. Maersk stellte im Juni 2013 ein Schiff vor, das 18 000 Standardcontainer fasst. Das Schiff ist so groß, dass es zwei Fußball-, zwei Eishockey- und zwei Basketballfelder aufnehmen könnte. In Branchenzeitschriften ist bereits davon die Rede, dass in den nächsten Jahren Schiffe für 24 000 Container gebaut werden. Doch Größe ist nicht alles: Laut PwC will jeder dritte deutsche Reeder Schiffsneubauten in Auftrag geben – und 93 Prozent der Reeder halten die Energieeffizienz für die wichtigste Eigenschaft.

Skepsis bei den Reedern

Trotz der guten Voraussetzungen für die Einführung von unbemannten Schiffen sind die Reeder bisher wenig angetan von solchen Ideen. Hapag-Lloyd-Sprecher Rainer Horn sagt: "Die von Rolls-Royce angegebenen Energieeinsparungen sind nicht unbedingt realistisch." Hapag-Lloyd setzt bereits seit einigen Jahren auf intelligentes Flottenmanagement und so genanntes Slow-Steaming, das absichtlich langsame Fahren. Fährt zum Beispiel ein Schiff gerade in einen Sturm und im Zielhafen herrscht noch Stau, meldet das Flottenmanagement dem Schiff, dass es langsam weiterfahren soll. Im Sturm bedeuten hohe Geschwindigkeiten einen besonders hohen Energieverbrauch. Rainer Horn sagt: "Wir haben zwischen 2009 und 2013 den Verbrauch je Containerstellplatz um 30 Prozent durch solche Maßnahmen senken können – da bleibt nicht mehr viel Luft für weitere 15 bis 30 Prozent."

Horn bezweifelt zudem, dass die Reeder durch den Verzicht auf Bordpersonal viel Geld sparen würden: "Wir haben je 24 Fachkräfte an Bord. Die führen während der Fahrt Instandhaltungsarbeiten durch, die wir sonst in der Werft machen müssten – dadurch reduzieren sich die Werftzeiten der Schiffe erheblich. Die Personalkosten auf See zahlen sich also aus." Horn sieht bei unbemannten Schiffen zudem Risiken beim Transport von Kühlcontainern. Fallen diese aus, kann eine Besatzung sie umgehend reparieren, da sie Ersatzteile stets mitführt. Ein ferngesteuertes Schiff müsste mit Ladungsverlusten in Millionenhöhe rechnen, wenn nicht rechtzeitig Hilfe eintreffe.

Sicherheit ist ein gutes Argument für unbemannte Schiffe

Oskar Levander geht dennoch davon aus, dass die Umstellung auf Fernsteuerung und Teilautonomie nach und nach kommen werde. Er stellt sich das wie folgt vor: Erst übernimmt eine Software mehr und mehr Anteile an der Steuerung der Schiffe und ihrer Kräne. Containerschiffe und Schiffe mit Massengutladung wie Kohle werden dann die Ersten sein, die komplett ohne Crew auskommen. Bei Schiffen, die Öl oder flüssiges Gas transportieren, wird es länger dauern, bis Reeder und Öffentlichkeit das Gefühl haben, dass Schiffe ohne Besatzung genauso sicher sind wie mit. Levander behauptet, dass sie sogar sicherer sein werden, da Kameras und Sensoren Hindernisse besser erkennen als das menschliche Auge.

"Man kann niemals Augen, Ohren und Gedanken professioneller Seeleute ersetzen"Dave Heindel

Sicherheit ist ein gutes Argument für unbemannte Schiffe. Die Allianz Global Corporate & Specialty SE, die viele Frachtschiffe versichert, erstellt einen jährlichen Bericht über den maritimen Schiffsverkehr. Demnach sind menschliche Fehler die Hauptursache für Unfälle auf See. Sie machen 80 Prozent aus. Laut Allianz-Bericht gingen 2013 insgesamt 94 Schiffe verloren, davon 32 Frachtschiffe. Außerdem gab es etwa 2600 Verletzte. Hinzu kommen Piratenangriffe: Laut IMO geht die Zahl der Überfälle zwar zurück, dennoch zählte die Organisation im vergangenen Jahr 264 Angriffe, hauptsächlich bei Nigeria und Somalia. Bei Nigeria wurden 13 Schiffe lahmgelegt, ein Crewmitglied getötet, 36 Seeleute wurden entführt. Rolls-Royce wirbt damit, dass unbemannte Schiffe nicht in das Visier der Piraten geraten würden. Das ist jedoch fragwürdig. Die ferngesteuerten Schiffe könnten gehackt werden. Zwar wäre die Besatzung in Sicherheit, aber ein beladenes Schiff wäre für Lösegeldforderungen ebenso geeignet.

Die Seeleute treibt unterdessen die Sorge um, dass unbemannte Schiffe Arbeitsplätze zerstören. "Man kann niemals Augen, Ohren und Gedanken professioneller Seeleute ersetzen", sagte Dave Heindel von der britischen Gewerkschaft ITF gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Bloomberg". "Die Gefahren, die unbemannte Vehikel für die Umwelt bedeuten, kann man sich leicht vorstellen." Die deutschen Kapitäne sehen die Rolls-Royce-Ankündigung gelassener. "Das Thema ist sehr abstrakt und geistert schon Jahrzehnte durch die Gazetten", sagt Wilhelm Mertens vom Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere. "Wir sehen zurzeit keinen Handlungsbedarf."

Der Computer muss nicht die volle Kontrolle übernehmen

Nichtsdestoweniger fördert auch die EU die unbemannte Schifffahrt, indem sie das MUNIN-Projekt finanziert. Die europäischen Forscher um Hans-Christoph Burmeister vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen in Hamburg entwickeln derzeit einen Prototypen, der in verschiedenen Modi betrieben werden kann: Im autonomen Modus fahren die Schiffe selbstständig. Im Problemlösungsmodus versucht ein intelligentes Bordsystem, technische Mängel auszugleichen, soweit das möglich ist. Im ferngesteuerten Modus lenkt eine Crew das Schiff von der Küste aus, im Sicherheitsmodus gehen die Motoren aus, und das Schiff lässt den Anker herunter. Der Anker soll sich festhaken, sobald das Schiff in flache Gewässer driftet. Schließlich gibt es noch einen Modus, in dem eine Besatzung an Bord das Schiff komplett übernehmen kann.

Auch Tanker sollen auf die Besatzung verzichten | Sind unbemannte Öl- und Gastanker zu anfällig für Havarien? "Die Gefahren für die Umwelt kann man sich leicht vorstellen", sagt Kritiker Dave Heindel.

Die autonome Steuerung im Meer ist keine völlig neue Technik. Laut der US-amerikanischen Marine Technology Society gibt es bereits mehr als 60 verschiedene autonome Unterwasserboote. Die meisten sehen aus wie Torpedos. Hersteller sind unter anderem Kongsberg Maritime in Schweden und in Deutschland Atlas Elektronik, ein Gemeinschaftsunternehmen von ThyssenKrupp und EADS. Das amerikanische Militär setzt bereits autonome Unterwasserdrohnen ein, insbesondere bei der Minenräumung. Auch die Bundeswehr kauft solche Drohnen ein.

Drohnen wie HUGIN von Kongsberg Maritime können mit ihren Sensoren am Boden Gegenstände von der Größe eines Tischtennisballs ausfindig machen. Sie weichen auch einem Fischschwarm aus. Dabei suchen sie innerhalb kurzer Zeit große Gebiete völlig selbstständig ab. Zur Orientierung nutzen sie unter anderem Beschleunigungsmesser und – durch kurzzeitiges Auftauchen – GPS. Sie fahren wie ein Rasenmäher Streifen für Streifen im Suchgebiet ab und melden die genaue Position eines verdächtigen Objekts. Solche Drohnen werden auch von Meeresforschern, Öl- und Gaskonzernen eingesetzt, um etwa auf See eine Infrastruktur zur Rohstoffgewinnung aufzubauen oder Pipelines zu überwachen.

Die autonome Technik zu See ist also weit fortgeschritten – nur ist es ein Unterschied, ob die seefahrenden Roboter lediglich auf Tauchgang gehen oder ob man ihnen tausende beladene Container anvertraut. Bis die ersten voll autonomen Geisterschiffe die Meere kreuzen, werden also noch einige vertrauensbildende Maßnahmen vonnöten sein.

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