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Erdnahe Asteroiden: Rote Linien für kosmische Gefahren

Das Risiko ist ein globales, denn Gesteinsbomben aus dem All können das Leben auf der gesamten Erde bedrohen. Nun sammeln sich die Asteroidenjäger unter dem Dach der UNO.

"Tscheljabinsk hat uns eines Besseren belehrt", erzählt Detlef Koschny von der ESA: "Bis zu diesem Meteoritenfall waren wir der Auffassung, Objekte mit einem Durchmesser von bis zu 30 oder 50 Metern wären harmlos." Das Ereignis hat den Leiter der Abteilung für erdnahe Objekte (Near Earth Objects, NEOs) der ESA, also Asteroiden die sich in relativer Nähe zu unserem Planeten bewegen, ebenso überrascht wie viele andere Fachleute."

Als am 15. Februar 2013 über der russischen Region Tscheljabinsk ein rund 20 Meter großer Asteroid bei seinem Eintritt in die Erdatmosphäre in 40 bis 20 Kilometer Höhe detonierte und zerbrach, brachte die dabei entstandene Druckwelle in der Provinzhauptstadt vor allem Fenster zum Zerbersten; zahlreiche Menschen wurden durch herumfliegende Glassplitter verletzt. Schließlich ging der Asteroid in mehreren Teilen in der Umgebung über weitgehend unbewohntem Gelände nieder – ein abschreckendes Beispiel für eine Kollision mit einem Gesteinsbrocken aus dem All mit noch einmal glimpflichem Ausgang.

Asteroidenfänger auf dem Weg zum Zielobjekt | Mittels Ionentriebwerken soll sich die geplante Einfangsonde der NASA zu einem kleinen Asteroiden jenseits des Erdorbits begeben und sich allmählich dessen Bahn annähern.

Und Ansporn für Detlef Koschny: Immer wenn er Nachtschicht schiebt, sucht er nach erdnahen Asteroiden und Kometen. In diese Kategorie an NEOs fallen alle Objekte, die in einem Abstand von 1,3 Astronomischen Einheiten (AE) oder weniger um die Sonne kreisen. Als potenziell gefährlich werden vor allem solche Brocken eingestuft, die der Erde näher als 0,05 AE kommen und größer als 140 Meter sind. Für diese Objekte gilt es, sie möglichst frühzeitig zu entdecken und herauszufinden, ob sie auf ihrem Weg durch das Sonnensystem vielleicht einmal direkten Kurs in Richtung Erde nehmen und so der Menschheit gefährlich werden könnten.

Auch Amateure helfen bei der Suche

Von seinem Wohnzimmer in Holland aus skypt Koschny mit seinen Kollegen, die auf Teneriffa das Ein-Meter-Teleskop der Optical Ground Station der ESA bedienen. An dem Projekt namens TOTAS (Teide Observatory Tenerife Asteroids Survey) sind neben der ESA auch Amateurastronomen an verschiedenen Standorten in Europa beteiligt. Seit Ende des letzten Jahres stellt außerdem die Europäische Südsternwarte ESO einige Stunden pro Monat an Beobachtungszeit am Very Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste zur Verfügung. Dies ist vor allem für Nachbeobachtungen hilfreich, gerade um neu entdeckte Objekte besser charakterisieren zu können und um insbesondere kleinere Objekte zu identifizieren.

Ganz neu ist die gezielte Suche nach NEOs nicht. Denn schon Anfang der 1990er Jahre führte die NASA auf politische Anordnung eine Studie zu potenziell gefährlichen Asteroiden durch. Schließlich resultierte daraus das Spaceguard Survey Project. Und 1998 gab der US-Kongress die Direktive an die NASA aus, in internationaler Zusammenarbeit mit anderen Raumfahrtagenturen 90 Prozent aller erdnahen Objekte mit einem Durchmesser von mindestens einem Kilometer zu identifizieren. Im Jahr 2005 wurde diese Maßgabe noch ausgeweitet, damit neun von zehn Objekten ab einer Größe von 140 Metern aufgespürt werden.

Einige der derzeit laufenden Himmelsdurchmusterungen, die in das Near-Earth Observation Programm der NASA integriert sind, sind der Catalina Sky Survey, geleitet von der University of Arizona, das Projekt LINEAR, bei dem unter anderem Beobachtungstechnologien eingesetzt werden, die ursprünglich zur Überwachung von Satelliten in der Erdumlaufbahn entwickelt wurden, oder die Suche mit dem 2012 in Hawaii in Betrieb genommenen Teleskop Pan-STARRS.

Aus all diesen einzelnen Programmen ist mittlerweile ein loses internationales Netzwerk entstanden, über das sich die Wissenschaftler und Amateurastronomen über Neuentdeckungen informieren und unterstützen. Eine zentrale Anlaufstelle ist dabei das Minor Planet Center, das von der Internationalen Astronomischen Union das Mandat dafür erhalten hat. Dorthin werden alle Neuentdeckungen von Asteroiden und Kometen gemeldet und Nachbeobachtungen veranlasst, um mehr über potenziell gefährliche Objekte zu erfahren und deren Bahn zu berechnen.

Was tun bei Gefahr?

Sollte tatsächlich einmal ein Asteroid ins Visier für eine potenzielle Kollision mit der Erde geraten, so stellt sich die Frage, wie mit einer solchen möglichen Bedrohung für die Bevölkerung umzugehen sei. Immerhin arbeiten einige Raumfahrtbehörden bereits an der Erforschung und Entwicklung entsprechender Technologien zur Prävention eines größeren Asteroideneinschlags. Die NASA beispielsweise untersucht mit ihrer Asteroid Redirect Mission, ob und wie sich kosmische Geschosse einfangen ließen. Auch die ESA studiert mit ihrem Asteroid Impact & Deflection Assessment (AIDA), wie sich Asteroiden abwehren ließen. Die japanische Raumfahrtagentur JAXA schickte bereits erfolgreich die Forschungssonde Hayabusa zum Asteroiden Itokawa, die dort Staub vom Brocken gesammelt hat. Aktuell soll die Kometenmission Rosetta der ESA auf diesem Gebiet nützliche Erkenntnisse liefern.

Wer handelt für die gesamte Menschheit?

Jedoch handelt es sich dabei um eine Angelegenheit, welche die gesamte Menschheit betrifft. Die Vorbereitung und vor allem eine Entscheidungsfindung, wie im Ernstfall letztlich zu handeln sei, gehören daher in die Hände internationaler Verantwortungsträger. "Da die Bedrohung durch NEOs ein globales Problem ist, sind die UN die geeignete Ebene, um diesen Gefahren zu begegnen", so Detlef Koschny.

Bereits im Jahr 1999 erlangte das Thema NEOs im Rahmen der Konferenz UNISPACE III bei den Vereinten Nationen erstmals Aufmerksamkeit. Daraufhin bildete sich auf Empfehlung des UN-Komitees für den friedlichen Nutzen des Weltraums (UNCOPUOS: UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space) zunächst ein "Action Team NEOs" mit Experten aus Raumfahrt, Wissenschaft und Politik, dem auch Koschny angehörte, um die UN mit ihrer Expertise zu beraten und Richtlinien für eine langfristige Strategie im Umgang mit potenziell gefährlichen NEOs auszuarbeiten. Inzwischen ist die Beratungs- und Sondierungsphase abgeschlossen, Ende 2013 gab auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen für die in mehrjähriger Arbeit entwickelten Empfehlungen grünes Licht. Das Ergebnis: Die Etablierung eines internationalen Netzwerks als Frühwarnsystem IAWN (International Asteroid Warning Network) sowie eines dauerhaften Gremiums zur Missionsplanung und Beratung zur NEO-Abwehr SMPAG (Space Mission Planning and Advisory Group).

Dabei wird IAWN im Grunde auf die bereits vorhandenen Strukturen der internationalen Kooperationen zur NEO-Suche zurückgreifen. In diesem neuen Rahmen soll die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Forschungseinrichtungen weiter gestärkt und der Informationsfluss innerhalb des Netzwerks vereinheitlicht werden. Zudem wird IAWN in Kontakt mit Regierungsbehörden sowie Katastrophenschutzeinrichtungen stehen, um im Ernstfall rechtzeitig eine Warnung ausgeben zu können. Ende Januar 2014 hat IAWN nun offiziell seine Arbeit aufgenommen. Die vorläufige Koordination leitet derzeit die NASA.

Die Arbeitsgruppe SMPAG hatte am 6./7. Februar 2014, ihr Gründungstreffen, das die ESA gemeinsam mit dem UN-Action Team für NEOs am Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt ausrichtete. Daran nahmen rund 30 Vertreter von 13 nationalen und internationalen Raumfahrtorganisationen sowie Regierungsvertreter teil, legten die künftige Struktur des Gremiums fest und setzten ihre Statuten auf. Dabei ist eine Mitgliedschaft nicht auf die derzeit bei SMPAG vertretenen Institutionen beschränkt; es wäre wünschenswert, wenn sich langfristig alle Raumfahrteinrichtungen auf diesem Planeten an den Aktivitäten von SMPAG beteiligten. Der Vorsitz wird zwischen den Mitgliedern rotieren, vorläufig hat ihn die ESA kommissarisch inne.

Die Aufgabe von SMPAG wird es zunächst sein, all das bei den verschiedenen Raumfahrtagenturen bereits vorhandene technische Wissen für Missionen etwa zur Ablenkung eines Asteroiden zusammenzutragen und dieses zu koordinieren. Mittelfristig sollen in Fallstudien verschiedene Szenarien von Asteroidenkollisionen mit der Erde untersucht werden, um mögliche Konsequenzen besser einschätzen zu können. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen als Entscheidungsgrundlage dienen, für den Fall, dass tatsächlich einmal Präventionsmaßnahmen nötig würden. Dies kann zum Beispiel bedeuten, eine Raummission zu einem Asteroiden zu starten, um ihn von seiner Zielgeraden etwas abzulenken, so dass er Kurs auf eine unbesiedelte Region der Erde nimmt anstatt auf eine Metropolregion. Es mag auch heißen, einen größeren Asteroiden zu zerstören, so dass er in kleineren Teilen niedergeht und weniger Schaden anrichtet. Vielleicht wird man sich auch darauf beschränken, Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten, etwa wenn die Vorlaufzeit – und diese kann mehrere Jahre betragen! – nicht ausreicht, um eine Mission zum Asteroiden zu starten oder der Aufwand einer solchen Mission nicht im Verhältnis zu dem zu erwartenden Schaden durch einen Einschlag steht.

Jedoch wird man auch mit den besten Beobachtungs- und Raumfahrttechnologien nicht in der Lage sein, die Gefahr durch drohende Kollisionen mit NEOs vollständig abzuwenden. Mit dem UN-Mandat für IAWN und SMPAG ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer globalen Antwort auf eine globale Bedrohung gelungen. Welche Instanz im Ernstfall letztlich autorisiert sein wird, eine Handlungsentscheidung treffen, steht jedoch noch nicht fest. Gerade ein Ablenkmanöver könnte politisch hoch brisant werden, wenn Landesgrenzen überschritten würden. "Wir benötigen ein internationales Abkommen. Und das wird nicht ganz einfach sein", sagt Sergio Camacho, Leiter des NEO-Expertenteams bei den Vereinten Nationen. "Denn sobald man einen Asteroiden von Menschenhand ablenkt, bedeutet das eine enorme Verantwortung". Es bleibt zu hoffen, dass ein solches Abkommen im Konsens der Vereinten Nationen getroffen und ein Handeln zum Wohl der gesamten Menschheit ermöglichen wird.

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