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Verhaltensforschung: Rückzug in die Kühle

Um warmblütige Beutetiere selbst im Dunkeln zu erkennen und anzupeilen, sind Grubenottern mit sehr temperaturempfindlichen Organen ausgerüstet. Doch offenbar sind diese Infrarotaugen nicht nur bei der nächtlichen Jagd nützlich, sondern auch bei brütender Hitze am Tage.
<i>Bitis arietans</i>
Zur Grundausstattung von Grubenottern zählt neben den Giftzähnen eine deutliche Eintiefung, die sich auf jeder Kopfseite mittig zwischen Auge und Nasenloch befindet: das etwa drei Millimeter breite Grubenorgan (Infrarotauge). Es reagiert sensibel auf geringfügige Temperaturänderungen in der Umgebung, selbst Unterschiede von 0,003 Grad Celsius kann es noch wahrnehmen. Seine Bauweise entspricht dem Prinzip einer Lochkamera, denn durch seine Öffnung fällt die Infrarotstrahlung auf eine am Grunde liegende, stark durchblutete Membran mit Wärmerezeptoren. Diese Anordnung und das paarweise Auftreten ermöglichen den nachtaktiven Jägern, warme Mahlzeiten – kleine Vögel und Säuger – auch in völliger Dunkelheit aufzuspüren.

Schlangenkopf mit Grubenorgan | Grubenottern besitzen auf jeder Kopfseite mittig zwischen Auge und Nasenloch ein etwa drei Millimeter breites Grubenorgan (Infrarotauge). Es reagiert empfindlich auf geringfügige Temperaturänderungen und ermöglicht den nachtaktiven Jägern, warmblütige Beutetiere auch in völliger Dunkelheit zu orten.
Bislang schrieben Forscher den Grubenorganen lediglich einen einzigen Zweck zu, nämlich den Beuteerwerb, der vermutlich auch ihre Entwicklung steuerte. Doch könnten diese speziellen Strukturen nicht auch allgemeinere Funktionen übernehmen, fragten sich Aaron Krochmal von der Indiana State University und seine Kollegen. In früheren Studien hatten die Forscher bereits enthüllt, dass die Texas-Klapperschlange (Crotalus atrox) mit Hilfe ihrer Infrarotaugen kühle Rückzugsgebiete entdeckt und sich so vor übermäßiger Hitze schützt. Rätselhaft blieb indes, ob alle Grubenottern dieses Verhalten zeigen, oder ob es sich um eine besondere Anpassung an heiße Umgebungen handelt.

Um dieser Fragestellung nachzugehen, wählten die Wissenschaftler 12 Grubenotter-Arten der amerikanischen Kontinente sowie Asiens aus, die Schlüssel-Knotenpunkte in der Evolution dieser Schlangen darstellen. Zudem repräsentieren sie ein breites Spektrum von Lebensräumen, bewohnen sie doch typischerweise Wüsten, Weideland, Laubwälder, Berge, tropische Regenwälder und Sümpfe. Als Vertreter der Echten Vipern, einer eng verwandten Unterfamilie, gesellte sich die Puffotter (Bitis arietans) zur Schar der Versuchstiere. Diese Schlange sucht häufig heiße Gegenden auf, besitzt aber keine Infrarotaugen. Möglicherweise dienen ihr kleine Organe mit schlitzähnlichen Öffnungen, angrenzend und dorsal zu jedem Nasenloch gelegen, als Rezeptoren für Wärmestrahlung.

Bitis arietans | Die Puffotter (Bitis arietans), die zu den Echten Vipern zählt, sucht häufig heiße Gegenden auf, besitzt aber keine Infrarotaugen. Möglicherweise dienen ihr kleine Organe mit schlitzähnlichen Öffnungen, angrenzend und dorsal zu jedem Nasenloch gelegen, als Rezeptoren für Wärmestrahlung.
Ob die Reptilien zwischen warmen und kalten Umgebungen zu unterscheiden vermögen, überprüften die Forscher in einem Y-förmigen Labyrinth aus Rohrleitungen, das sie in einer 40 Grad Celsius heißen Kammer platzierten. Das Ende eines Armes kühlten sie jedoch auf 30 Grad Celsius ab – annähernd der bevorzugten Körpertemperatur einer Vielzahl von Grubenottern – und schufen somit einen kühleren Rückzugsraum für die Versuchstiere. Nachdem die Wissenschaftler die Probanden einzeln im Eingang des Labyrinths ausgesetzt hatten, beobachteten sie, durch welchen Gang sich die Individuen schlängelten.

Alle getesteten Spezies von Grubenottern bewegten sich auf den "Kühlraum" zu, die warme Abzweigung vermieden sie indes. Offenbar vermögen sie aus der Entfernung Hitzeunterschiede wahrzunehmen. Und für die Wahl zwischen dem heißen und kälteren Arm des Röhrensystems setzten sie tatsächlich ihre wärmeempfindlichen Organe ein, wie ein weiterer Versuch eindrucksvoll demonstrierte: Um die Infrarotaugen vorübergehend auszuschalten, verstopften die Forscher die charakteristischen Löcher am Kopf der Tiere mit kleinen Styroporkugeln und dichteten sie anschließend mit einem Stückchen Aluminiumfolie ab.

Ohne funktionierende Grubenorgane versagten die Schlangen, den kühleren Zufluchtsort im Y-Labyrinth gezielt anzusteuern. Auch die Puffotter war nicht in der Lage, den kälteren Rückzugsraum zu lokalisieren – weder mit zugeklebten noch mit intakten vermeintlichen Wärmerezeptoren. In dem kühleren Gang landete sie rein zufällig.

Da die Körpertemperatur von Schlangen von den äußeren Bedingungen abhängt, spielt die kühlere Zuflucht insbesondere in heißen Gebieten eine wichtige Rolle in der Thermoregulation. Doch ist diese einzigartige Fähigkeit offenbar keine Anpassung an heiße Umgebungen oder ein evolutionäres Erbe, das auf bestimmte Abstammungslinien beschränkt ist. Vielmehr könnte es sich um eine Eigenschaft der Vorfahren handeln, spekulieren die Forscher um Krochmal. Möglicherweise hat sich dieses Verhalten zur gleichen Zeit wie die Grubenorgane selbst entwickelt. Vielleicht sind die Infrarotaugen letzten Endes doch mehr als reine Beutedetektoren.

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