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News: Saubere Bilanzen

Seit Jahren zeigen die Bilanzen des Stoffumsatzes in den Meeren, dass hier offenbar riesige Mengen Stickstoff aus der Atmosphäre gebunden werden. Allein, es fehlten die Organismen. Im offenen Ozean kannte man bislang nur ganz wenige unterschiedliche Mikroogranismen, die dazu in der Lage sind. Jetzt stießen Forscher auf ein Cyanobakterium, das 100-mal so groß ist wie ein typischer Stickstofffixierer und womöglich die ganze Stickstoffbilanz der Ozeane ausgleicht - und damit auch die Klimaforscher auf den Plan ruft.
80 Prozent der irdischen Atmosphäre bestehen aus Stickstoff, und dennoch können höhere Organismen damit kaum etwas anfangen. Sie sind darauf angewiesen, dass der Stickstoff an andere Elemente gebunden ist, beispielsweise im Nitrat oder Ammonium. An Land gibt es zahllose Mikroorganismen, die sich auf diese Aufbereitung spezialisierten - zum Beispiel in den Wurzeln von Bohnen -, in den Meeren jedoch sind die Stickstofffixierer überaus artenarm. Während die Cyanobakterien in den flachen Küstenregionen noch einigermaßen häufig vorkommen, gibt es im offenen Ozean nur zwei oder drei Arten, die wesentlich zur Bindung von Stickstoff aus der Luft beitragen.

Vor einer Weile hatten Forscher, darunter auch Jonathan Zehr von der University of California in Santa Barbara, den Umfang der Stickstofffixierung in den Ozeanen abgeschätzt und waren zu dem Schluss gekommen, dass hier offenbar viel größere Mengen von Stickstoff gebunden werden als bis dahin angenommen. Selbst der mit Abstand umsatzstärkste Stickstofffixierer, das koloniebildende Cyanobakterium Trichodesmium, hat nur einen Anteil von zehn Prozent am gesamten Stickstoffumsatz. Daran mussten sich also noch andere Organismen beteiligen.

Zehr und seine Mitarbeiter machten sich also erneut auf die Suche. Dabei fahndeten sie in den Wasserproben nicht nach den Organismen selber, sondern nach deren Erbmaterial. Oder genauer: nach einem bestimmten Gen, welches das für die Stickstoffbindung notwendige Protein Nitrogenase codiert. Und tatsächlich stießen die Forscher vor Hawaii auf entsprechende DNA-Abschnitte, und um herauszufinden, zu welchen Organismen sie gehören, gaben sie die Bakterien der Wasserprobe in ein Nährmedium. Ein Nährmedium, in dem alles war, was die Mikroorganismen zum Leben brauchten - außer Stickstoff. Da der aber für den Aufbau organischer Substanz lebensnotwendig ist, konnten nur die Bakterien überleben, die in der Lage waren, den Stickstoff aus der Atmosphäre zu binden.

Übrig blieben Cyanobakterien der Gattung Synechocystis, und es sind die ersten, welche sich im Labor züchten ließen. Sie sind rund 100-mal so groß wie der typische Stickstofffixierer Trichodesmium. Da dieses neu entdeckte Bakterium so groß und außerdem so zahlreich ist, leistet es wohl auch einen bedeutsamen Beitrag zum marinen Stickstoffkreislauf. Zehr schätzt, dass allein diese Mikroorganismen genauso viel Biomasse auf die Waage bringt, wie die anderen bedeutsamen Stickstofffixierer zusammen. Außerdem lebt Synechocystis in tiefen Schichten des Ozeans, so ungefähr 100 bis 200 Meter unter dem Meeresspiegel. Er bildet als Nanoplankton keine Kolonien, und zu guter Letzt beschränkt sich seine Aktivität nicht auf die warmen Zeiten. In Hawaii war das neue Bakterium auch im Februar noch mächtig umsatzfreudig.

Alles in allem, so vermutet Zehr, könnte Synechocystis allein die bislang unausgeglichene Stickstoffbilanz der Ozeane ausgleichen. Und dies hätte weitreichende Folgen. Denn Synechocystis bindet den Stickstoff zum Aufbau eigener organischer Substanz und entzieht der Atmosphäre somit auch Kohlendioxid. Die Stickstoffbindung ist also indirektes Maß - ein so genannter Proxy - für die Fähigkeit der Ozeane, die steigenden Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre auszugleichen.

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