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News: Sauer neutralisiert

Säuren fressen sich täglich weiter durch unersetzliche Zeugnisse altertümlicher Buchdruckkunst. Eine flüchtige Lösung feinverteilter Chemikalien soll diesem Säurefraß nun ein Ende setzten.
Der Zahn der Zeit nagt gewaltig an vielen Papieren vergangener Jahrhunderte. Größter Feind alter Bücher, Manuskripte und Dokumente ist dabei der Säurefraß. Hervorgerufen wird er, unter anderem, durch chemische Reaktionen der Inhaltsstoffe alter Papiere – etwa des Alauns, welcher von alters her als Fixiermittel bei der Papier-Leimung eingesetzt wurde. Reagiert dieses Aluminiumsulfat mit Wasser, so entsteht Schwefelsäure, welche die Faserstruktur der Papiere angreift, schwächt und zerstört – und damit unschätzbar wertvolle Kulturgüter in unleserliche braune Masse verwandeln kann.

Moderne Verfahren der Papierherstellung vermeiden solche potenziell zerstörerischen Inhaltsstoffe und setzen Puffersubstanzen zu, um von außen einwirkende Säuren zu binden. Gegen das säurebedingte Sterben alter Bücher aber führen die Restaurateure einen Kampf gegen die Zeit. Ein bekanntes Terrain für Piero Baglioni und seine Kollegen von der Università di Firenze: Sie stürzten sich nun mit einer Methode ins Gefecht, mit der sie bereits anderen alten, vom Verfall bedrohten Kunstwerken zu Hilfe geeilt waren. So hatten die Forscher im vergangenen Jahr aus der florentinischen Renaissance-Kapelle in Alkohol gelöste Kleinstpartikel von Calciumhydroxid eingesetzt, um die abplatzenden Grundierungen wertvoller Fresko-Meisterwerke zu restaurieren. Prinzipiell ähnliches sollte nach Ansicht der Wissenschaftler auch zur Rettung säurebedrohter Manuskripte beitragen können.

Durchaus eine nahe liegende Idee, denn Calciumhydroxid, gelöschter Kalk also, reagiert mit Wasser stark alkalisch, sollte damit zerstörerische Säuren neutralisieren und so letztlich das säurebedingte Büchersterben bremsen. Ganz neu ist diese Idee übrigens keineswegs: Von Manuskript-Restauratoren werden bereits seit längerem etwa Magnesiumoxid-Krümel über bedrohte Papiere gestreut, die dann an die Cellulose-Fasern binden und wässrige Säuren neutralisieren sollen.

Im Kampf um den Erhalt der Papierwerke gibt es allerdings eine Reihe methodischer Probleme. Als schwierig erweist es sich beispielsweise, die Puffer-Chemikalien sowohl in ausreichender Menge als auch möglichst feinverteilt in die fragilen "Altpapiere" einzuarbeiten. Wässrige Chemikalien-Lösungen sind dabei kontraproduktiv, können sie doch Tinte und Farben der alten Manuskripte auflösen oder verwischen. Zu starke Basen, wie beispielsweise in Wasser gelöstes Calciumhydroxid, können zudem leicht zuviel des Guten bewirken, indem sie extrem alkalische Bedingungen schaffen – die dann die empfindlichen Dokumente ebenso schädigen wie ursprünglich der Säurefraß.

Inspiriert von ihrer erfolgreichen Fresken-Rettungsaktion machten sich Baglioni und seine Kollegen nun daran, diese Probleme zu umgehen. Statt Wasser verwendeten sie flüssigen Propanol, in dem der gelöschte Kalk nicht gelöst wird, sondern die Partikel fein verteilt erhalten bleiben. Mit einer solchen Alkohol-Dispersion könnten auch empfindliche Dokumente großzügig getränkt werden – was noch weiter fördert, die winzigen Nanopartikel der Pufferchemikalie tief in der Faserstruktur des Papiers zu verteilen, wo sie an die Cellulosefasern des Papiers binden. Dort reagieren sie nach und nach mit dem Kohlendioxid der Luft zu Calciumcarbonat – Kalk also, einem idealen, dauerhaften und nicht zu alkalisch reagierenden Puffer.

Ihre derart imprägnierten Test-Dokumente aus dem 19. Jahrhundert lagerten die Wissenschaftler dann, zusammen mit einem unbehandelten Vergleichsexemplar, in heißer, feuchter Umgebung, einer für säureempfindliches Papier unsäglichen, extrem Verfall fördernden Atmosphäre.

Während das unbehandelte Exemplar sich innerhalb von drei Wochen erwartungsgemäß in einen tiefbraunen Säureschaden verwandelte, waren an dem behandelten Papier kaum Verfallserscheinungen zu beobachten. Nach diesem erfolgreichen Testlauf behandelten die Forscher weitere Dokumente des 14. bis 20. Jahrhundert mit ihrem Puffersystem und stellten deren pH-Werte fest: Tatsächlich wurden alle zuvor leicht sauren Papiere durch den chemischen Prozess mild alkalisch – wahrscheinlich auf Dauer, vermuten die Wissenschaftler. Ein langfristiger Pufferschutz also gegen den Zahn der Zeit.

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