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Chromosomen: Schafft sich der kleine Unterschied ab?

Karyogramm des Menschen

Im Erbgut des Menschen fällt das männliche Geschlechtschromosom Y aus dem Rahmen: Vergleichsweise winzig und hochspezialisiert auf typisch männliche Geschlechtsgene, ist es auf sich allein gestellt unzureichend. Zellen mit zwei Y-Chromosomen sind demnach nicht lebensfähig; Männer existieren nur durch die Mithilfe eines von der Mutter vererbten X-Chromosoms. Und manchen Hypothesen zufolge scheint die Evolution das Y-Chromosom immer weiter zu miniaturisieren und degenerieren – ob das stimmt, haben nun David Page vom MIT in Boston und seine Kollegen mit einem Chromosomenvergleich von Rhesusaffen, Schimpansen und Menschen überprüft.

Die beiden heute so unterschiedlichen Geschlechtschromosomen von Mann und Frau begannen sich vor 200 bis 300 Millionen Jahren auseinanderzuentwickeln: Das Y-Chromosom verlor dabei eine Reihe von Genen des gemeinsamen autosomalen Vorläufers. Entscheidend waren dabei vor allem fünf auffällige genetische Umbauereignisse, bei denen Bruchstücke von Y sich durch eine Inversion größerer Abschnitte so veränderten, dass ihre Sequenz danach nicht länger beim so genannten crossing over mit dem Gegenstück X-Chromosom abgeglichen werden konnte. Die in den Bruchstücken enthaltenen Gene degenerierten dann im weiteren Verlauf der Evolution schnell, waren oft bald nicht länger funktionsfähig und wurden so verzichtbar, das Chromosom schrumpfte und wird offenbar immer mehr auf einen für den männlichen Geschlechtsentwurf notwendigen Kern an Genen konzentriert.

Das trifft aber, so nun Page und seine Kollegen nach den Genanalysen, nicht auf alle Bereiche und Gene gleichermaßen zu. Die Auswertung zeigt, dass einige Gene sogar über die lange Zeit hinweg erstaunlich stabil geblieben sind, die vergangen ist, seitdem sich die Entwicklungslinien von Rhesusaffen und Menschen vor etwa 25 Millionen Jahren aufspalteten. Schnell verändert haben sich seitdem nur jene Gene, die dort liegen, wo das letzte größere chromosomale Umbauereignis stattgefunden hatte. Diese jüngste Inversion ereignete sich vor rund 30 Millionen Jahren und war demnach noch relativ neu, als sich die Linien von Mensch und Altweltaffe trennten.

Die Forscher schließen daraus, dass eine Degeneration im Chromosom offenbar immer nur kurz nach den fünf Inversionen stattgefunden hat – danach dann aber die genetische Struktur der Chromosomen erhalten blieb. Dies könne gut daran liegen, dass einige der Gene eben schnell völlig unverzichtbar sind, weil sie nicht durch eine weibliche Version auf dem X-Chromosom gepuffert werden. Somit entstehen keine lebensfähigen männlichen Organismen, die die Veränderung an männliche Nachkommen weiter vererben könnten. Diese Ausschließlichkeit der Selektion konserviert schließlich viele Gene auf dem Chromosom, so die Forscher – und demnach münde nach jedem radikalen Umbau des Chromosoms eine Phase des exponentiellen Genverlusts und der Degeneration schnell in ein anschließende Phase, in der die verbliebenen, weil lebensnotwendigen männlichen Gene extrem konservativ erhalten bleiben. Abschaffen wird sich das männliche Geschlechtschromosom demnach wohl kaum.

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